Alle Luken des Dampfers waren offen. Quietschende, kreischende und polternde Kräne tauchten mit spitzen Haken in seinen Bauch ein. Unablässig holten sie Kisten und Lasten der Goldgräber hervor und schwangen sie hinüber in offene Leichter, die zu beiden Seiten längs des Schiffes lagen. Tausend Menschen hasteten auf Deck umher und traten einander auf die Füße. Die Schauerleute waren im Streik, und die Passagiere mußten selbst ihre Ladung löschen. Es war keine Ordnung. Gruppenweise stritten sie sich um das Eigentumsrecht an bestimmten Lasten, die mit »Punkt 2« oder »Punkt 2 Strich« gezeichnet waren. Dann und wann kam es zu Schlägereien.
Der Erste Offizier ging gleichgültig durch das Tohuwabohu und machte ein heiteres Gesicht, als ginge ihn die ganze Sache nichts an.
»Goldgräber sind eine leicht verderbliche Fracht«, sagte er zu Frona Welse. »Sie zittern um jede Minute...«:
»Und ich erst!« rief Frona. »Ich zittere auch um jede Minute. Da, schaun Sie da hinüber! Dort, wo der Fluß mündet, zwischen den Kiefern, sehen Sie das große Blockhaus? In dem bin ich geboren!«
»Dann allerdings, dann hätte ich auch Eile«, lachte er. »Also, dann wollen wir Ihnen mal ein bißchen unter die Arme greifen.«
Sie war das einzige junge Mädchen an Bord, unter mehr als tausend Männern. Er lotste sie galant an die Reling, wo verzweifelte Passagiere standen und mit Schriftstücken winkten. Sie brüllten ihre Frachtzeichen und fluchten wie die Heiden.
»Der Proviantmeister sagt, entweder ist er schon verrückt geworden, oder er wird es augenblicklich«, erzählte der Erste Offizier, während er Fräulein Welse über die Laufplanke half.
»Dabei geht es bei uns noch ganz friedlich her. Sehen Sie da drüben den >Stern von Bethlehem<?« Er zeigte auf einen Dampfer, der eine Meile entfernt vor Anker lag.
»Die Hälfte der Passagiere da drüben hat Packpferde bestellt. Die wollen nach Skaguay und dem Weißen Paß. Dort soll es neue Goldfunde geben. In einem Jahr will jeder von ihnen Millionär sein. Ihre Pferde stehen am Strand und grasen friedlich, und die Leute kommen nicht von dem Schiff weg. Da ist eine Art Meuterei ausgebrochen.«
»He da, Sie!« rief er einem der Ruderboote zu, das sich vorsichtig am äußersten Rande des schwimmenden Wirrwarrs hielt.
Eine winzige Barkasse, die mit heroischem Mut an einer mächtigen Schote zerrte, versuchte, dem Ruderer den Weg abzuschneiden, aber der Mann legte sich einfach vor ihren Bug. Er bekam einen Stoß und fiel der Länge nach in sein Boot. Das Boot drehte sich und stoppte jetzt den ganzen Verkehr. Ein paar lange Kanus, vollgeladen mit Waren, Goldgräbern und Indianern, drängten an ihm vorbei zum Strand und verhedderten sich ineinander. Als der Ruderer wieder auf die Füße kam, ließ er einen Hagel von Flüchen auf alle Kanuleute und Leichterschiffer niederfahren. Ein Mann auf dem Leichter beugte sich zu ihm hinüber und schwor, daß er nie einen armseligeren Sohn einer Hündin gesehen hätte, während die Weißen und Indianer in den Kanus in ein brüllendes Hohngelächter ausbrachen.
»Scher dich zum Satan!« rief einer aus dem Kanu. »Hättest du lieber rudern gelernt!«
Die Faust des Ruderers krachte gegen das Kinn des anderen, der betäubt auf einen Warenstapel fiel. Er war damit aber noch nicht zufrieden. Weiß vor Wut, wollte er sich in das Kanu hinüberschwingen und weiter auf den Mann eindreschen, der behauptet hatte, er könne nicht rudern. Ein Goldgräber im selben Kanu, der in all dem nur Zeitvergeudung sah, nestelte an seiner Revolvertasche, und man konnte große Dinge erwarten. Aber dann wurde dem Ruderer aus dem Kanu heraus ein Riemen über den Schädel geschlagen, so daß er für den Augenblick kampfunfähig war; das Kanu bekam seinen Weg wieder frei, und gerade als Mord und Totschlag unvermeidlich schienen, war die kleine Meinungsverschiedenheit plötzlich zu Ende.
Der Schiffsoffizier warf einen verstohlenen Blick auf das Mädchen. vielleicht wurde sie ohnmächtig, und er mußte sie auffangen? Aber ihr Gesicht war voll vergnügter Spannung. Sie war noch hübscher geworden.
»Es ist mir ja lieb, daß der Revolver nicht geknallt hat«, sagte sie, »aber so etwas macht doch Spaß, finden Sie nicht auch?«
Inzwischen war der Ruderer wieder auf die Beine gekommen und legte sein Boot an die Schiffswand.
»Eine Dame an Land!« schrie der Offizier. »Wieviel?«
»Zwanzig Dollar.«
»Der Kerl ist ein Räuber«, sagte der Offizier zu Frona. »Zwanzig Dollar für die paar hundert Meter! Für einen Mann würde er wahrscheinlich fünfundzwanzig fordern. Richtige Seeräuberei! Eines schönen Tages wird er da drüben hängen an einer von den Kiefern.«
»Halten Sie’s...«, rief der von unten.
»Sie haben verdammt gute Ohren!«
»Mit den Flossen bin ich auch nicht langsam, wenn Sie’s darauf ankommen lassen.«
»Und ganz besonders schnell mit dem Maul!«
»Muß ich auch, bei meinem Geschäft, sonst käm’ ich nicht weit unter all den Haifischen. Ich soll ein Räuber sein? Was seid ihr denn dann? Tausende Passagiere aufeinandergepackt wie die Ölsardinen und für nichts gesorgt! Bezahlen laßt ihr euch zweimal soviel wie in der ersten Klasse, und füttern tut ihr sie mit Zwischendeckfraß! Möchte wissen, wer von uns eigentlich Seeräuber ist!«
»Also, mein verehrtes Fräulein.«, sagte der Offizier zu Frona. »Alles Gute! Ich hätte Sie gern an Land begleitet. Aber Sie sehen ja selbst: ein bißchen muß ich doch hier noch zusehen. Die Leute haben das gern. Jedenfalls können Sie sich darauf verlassen, daß ich für Ihr Gepäck sorgen werde.«
Sie drückte ihm die Hand und kletterte in das Boot. Es schwankte stark, im Augenblick waren die Bodenbretter überspült, und ihre Füße standen im Wasser. Sie blieb ganz ruhig, setzte sich auf die Steuerducht und zog die Beine hoch.
»Das geht ja nicht!« rief der Offizier von oben. »Kommen Sie zurück, Fräulein Welse! Sobald es möglich ist, lasse ich Sie mit einem von unseren Booten an Land bringen.«
Er kletterte die Strickleiter hinunter und wollte das viel zu leichte Boot mit Gewalt zurückhalten, aber der Ruderer hatte für so viel Ritterlichkeit kein Verständnis und schlug ihm über die Knöchel.
»Willst mir meinen Passagier ausspannen? Hast wohl Sehnsucht nach dem Himmel?«
»Ein feierlicher Abschied!« rief Frona Welse strahlend. »Tausend Dank, Sie sind ein Ritter!«
»Das ist ein Weib!« sagte der Ritter vor sich hin und rieb seine getroffenen Fingerknöchel. Er hatte plötzlich Sehnsucht, immer in diese grauen Mädchenaugen zu sehen, hatte Lust, seinen Beruf über Bord zu werfen und mit ihr nach Klondike zu ziehen.
Ein falscher Riemengriff. Platsch! hatte Frona eine dicke Handvoll Wasser mitten im Gesicht.
»Nur nichts übelnehmen!« entschuldigte sich der Bootsmann. »Man tut, was man kann, aber es kommt nicht immer viel dabei heraus.«
»Scheint mir doch so«, lachte sie gutmütig.
»Ich mach’ mir gar nichts aus der See«, sagte der Mann bitter, »aber man muß sehen, wie man’s wieder zu ein paar Dollars bringt. Wäre schon längst in Klondike, hab’ aber verfluchtes Pech gehabt. Auf dem >Windigen Arm< hab’ ich meine ganze Ausrüstung verloren. beinahe hatte ich den Kram schon über den Paß hinübergeschafft.«
Abermals: Schwupp, Platsch! Sie schüttelte sich das Wasser aus den Augen und fröstelte, als eine nasse Ladung ihr den warmen Rücken herunterrann.
»Sie werden’s schaffen!« sagte der Mann. »Sie sind aus dem richtigen Holz für dieses Land geschnitzt. Wollen Sie ganz hierbleiben?«
Sie nickte freundlich.
»Sie werden’s schaffen! Also, wie gesagt, meine Ausrüstung ist da oben zum Teufel gegangen, und jetzt muß ich all das Zeugs neu zusammenbringen. Kann man da billiger rudern als für zwanzig Dollar die Fahrt? Wissen Sie, Fräulein, schlimmer als die andern bin ich auch nicht. Was meinen Sie, für diese alte Badewanne haben sie mir hundert Dollar aus den Zähnen gerissen. Drüben in den Staaten ist sie keine zehn wert. So ist es hier mit allem. Auf dem Weg nach Skaguay zahlt man Ihnen für einen alten Hufnagel einen Vierteldollar. Ein Mann geht in die Kneipe und trinkt einen Whisky, schmeißt zwei Hufnägel auf die Theke, und es ist o. k. Hufnägel sind da oben Scheidemünze.«