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»Meine tausend Pfund Proviant!«

»Für Ihren eigenen Magen?«

Der Minenkönig nickte.

»Sehen Sie, Melton, Sie arbeiten für Ihren eigenen Magen und verlieren die Nerven wie ein Chechaquo. Ich arbeite für zwanzigtausend Mägen!«

»Aber Timm Reddy haben Sie noch gestern ohne Zögern für tausend Pfund gegeben!«

»Die Rationierung ist erst heute in Kraft getreten.«

»Aber warum soll gerade ich darunter leiden?«

»Weil Sie erst heute gekommen sind und Timm gestern.« Jacob Welse sah in Meltons verständnisloses Gesicht und zuckte die Achseln.

»Es wird keiner vorgezogen. Ob Sie eine lumpige Aktie von den Bonanza-Minen oder ein dickes Paket Aktien haben, das gibt Ihnen kein Anrecht auf ein einziges Pfund mehr Futter, als der älteste, ärmste Arbeiter oder der kleinste Säugling bekommt. Hungern werden Sie nicht, solange ich die Zügel führe. Das verspreche ich Ihnen. Mehr verspreche ich Ihnen aber nicht. So, alter Freund, und jetzt geben Sie mir die Hand, und damit Schluß.«

Nach dem Bonanza-König kam ein schlotteriger Yankee hereingeschlurft, angelte mit dem in einem Mokassin steckenden Fuß einen Stuhl heran und setzte sich vertraulich nieder.

»Hallo, Dave, sind Sie es?«

»Natürlich bin ich’s, Welse. Hören Sie, die Geschichte mit dem Proviant hat den Leuten einen Schrecken eingejagt, der ist nicht von schlechten Eltern. Es wird eine tüchtige Abwanderung werden, sobald der Fluß zufriert.«

»Das freut mich zu hören. Wollen Sie mitmachen?«

»Ich? Ich denke nicht dran! Hab’ mein Zeugs gestern schon nach der Mine verfrachtet. War auch höchste Zeit. Aber stellen Sie sich vor, Welse, was mit meinem Zucker passiert ist! Hatte den ganzen Vorrat auf dem letzten Schlitten, und gerade der hat den Einfall, durchs Eis zu brechen! Wissen Sie, gerade da, wo der Weg von Klondike nach Bonanza abgabelt. So was ist mir noch nicht passiert, der allerletzte Schlitten und all mein Zucker! Deshalb bin ich jetzt hier. Hundert Pfund oder so müssen Sie mir geben. Weißen oder braunen - es kommt nicht drauf an.«

Jacob Welse schüttelte lächelnd den Kopf. Dave Harney rückte seinen Stuhl noch näher an ihn heran.

»Ihr Kommis draußen sagt, es hätte keinen Zweck, ihn zu plagen. Schön, sage ich, dann schau’ ich selbst mal beim Chef herein. Sie können meinetwegen doppelte Preise nehmen.«

Als er die ablehnende Haltung Welses spürte, wurde er immer dringlicher.

»Erinnern Sie sich an die Bonbons, die ich Ihnen damals am Preacher-Creek gemacht habe? Ja, das ist auch schon wieder sechs Jahre her. Herrgott, wie die Zeit läuft! Wenn nicht mehr, ich glaube sogar sieben! Also, Sie wissen doch: Eher kann ich auf Tabak und Schnaps verzichten als auf meinen Süßkram. Ich kann einfach nicht! Es ist ein schrecklicher Zustand. Heraus mit dem Zucker, Welse! Meine Hunde stehen draußen, Sie fahren gleich mit mir nach dem Speicher! Famose Idee, was?«

»Nein.«

»Ich will ja nicht happig sein, Welse. Wenn Sie knapp sind, will ich mich mit fünfundsiebzig begnügen. Welse, Welse. geben Sie mir nur fünfzig! Ich verstehe Ihre Lage, ich bin ja nicht der Mann, der einen anderen Mann quält.«

»Nicht soviel Worte, Dave! Wir haben nicht ein einziges Pfund Zucker übrig!«

»Ich bin doch kein Gierschlund, geben Sie mir fünfundzwanzig!«

»Keine Unze!«

»Also dann vergessen Sie, daß ich Sie überhaupt um Zucker gebeten habe. Nur keinen Streit. Ich komme wieder, wenn Sie besserer Laune sind.«

Er überlegte, wie er diese bessere Laune herbeiführen könnte.

»Hören Sie das Pfeifen von der >Laura<? Sie geht gleich ab. Kommen Sie mit!«

Jacob Welse zog sich Pelz und Fausthandschuhe an, und sie gingen zusammen durch eine lange Reihe von Kontoren in den Laden. Wohl zweihundert Käufer standen vor den Theken, aber der Raum war so groß, daß sie kein Gedränge verursachten. Alle Gesichter waren ernst, viele sahen den Chef des Hauses wütend an. Alles wurde verkauft, nur keine Lebensmittel! Und gerade Lebensmittel brauchten sie.

»Preistreiberei, das Ganze! Wenn die Hungerpreise erst erreicht sind, wird die Ware schon auf den Markt kommen!« sagte laut ein rotbärtiger Goldgräber. Jacob Welse hörte es, aber er nahm keine Notiz davon. Das würde er noch oft und in viel gröberem Ton hören, ehe die Krise vorüber war.

Auf dem Bürgersteig blieb er stehen und las die Mitteilungen, die vor seinem Hause angeschlagen waren. Entlaufene Hunde, zugelaufene Hunde, verkäufliche Hunde, vor allem Verkaufsanzeigen für Ausrüstungen. Proviant von fünfhundert Pfund Gewicht wurde zu einem Dollar das Pfund angeboten -den Ängstlichen war der Schreck schon in die Glieder gefahren! Welse sah Melton im Gespräch mit einem besorgten Neuling.

Die zufriedene Miene des Bonanza-Königs bewies, daß es ihm schon geglückt war, sein Depot für den Winter zu ergänzen.

»Warum versuchen Sie nicht hier, Zucker aufzutreiben?«

»Glauben Sie vielleicht, ich hätte es nicht versucht? Von Klondike City bis zum Hospital haben meine Hunde sich fast die Beine abgelaufen. Es gibt nichts, nicht für Geld und nicht für gute Worte.«

Sie gingen die Straße entlang, an den Speichertüren und an wartenden Hundegespannen vorbei. Die Tiere hatten sich wie Wolfe im Schnee zusammengerollt. Auf diesen Schnee, den ersten des Jahres, hatten die Goldgräber am Fluß gewartet, ehe sie anfingen, Proviant einzukaufen.

»Ist das nicht lächerlich?« fing Dave an. »Da habe ich also meine fünfhundert Fuß Goldland am Eldorado und noch was dazu und bin mindestens meine fünf Millionen schwer und kann nicht eine Handvoll Zucker für meinen Kaffee oder meine Grütze kriegen! Jetzt hab’ ich’s satt! Soll das ganze Land zum Teufel gehen! Ich verkaufe! Ich mache Schluß. Ich geh’ nach den Staaten zurück!«

»Ich hab’ Sie am Stuartfluß ein ganzes Jahr lang rohes Fleisch essen sehen, und am Tanana haben Sie Lachseingeweide gefressen; wenn ich mich recht erinnere, auch Hundefleisch. Sie sind damals nicht weggereist und werden auch diesmal nicht reisen. So gewiß, wie die >Laura< jetzt den Anker aufholt, so gewiß werden Sie hier sterben, Dave. Eines schönen Tages werde ich Sie in einer meiner vorzüglichen Bleikisten verschiffen, und mein Kontor in San Franzisko wird Ihren Nachlaß regeln. Sie hängen hier fest, das wissen Sie so gut wie ich.«

Während er sprach, mußte er fortwährend Grüße der Vorübergehenden erwidern.

»Wetten, daß ich 1900 in Paris bin!« protestierte der Eldorado-König.

Mit hallenden Glocken grüßte Kapitän McGregor aus dem Steuerhäuschen seinen Reeder. Die »Laura« löste sich vom Ufer. Die Zurückgebliebenen winkten mit den Mützen und riefen Reisegrüße, aber die dreihundert Proviantlosen an Bord, die ihren Traum vom Gold den Rücken kehrten, antworteten nicht. Die »Laura« backte durch eine Rinne, die in den Eisrand geschnitten war, hinaus, schwang sich dann in die Strömung, stieß einen letzten schreienden Pfiff aus und fuhr mit Volldampf davon.

Nur ein Dutzend Leute blieb an der Brücke zurück, im Kreise um Jacob Welse. Man sprach von der Hungersnot, aber im Ton von Männern. Sogar Dave Harney hörte auf, sein besonders gräßliches Los zu verfluchen. Mitten in diesem Gespräch fiel Welses Blick auf einen schwarzen Punkt, der zwischen Treibeis den Fluß herabkam.

»Das ist ja ein Kanu!« rief einer. »Verflucht kitzlige Fahrt!« Sich drehend und wendend, bald gerudert, bald nur von der Strömung getrieben, kam das Kanu näher. Man erkannte zwei Männer, die es steuerten und beide Hände voll zu tun hatten, um sich die Schollen fernzuhalten. Sie gewannen glücklich das Randeis und ließen sich längs treiben, in der Hoffnung, eine Öffnung zu finden. Dicht vor dem Kanal, der für den Dampfer ins Eis gehauen war, stemmten sie ihre Paddel tief in die Flut und Schossen in den toten Wasserarm.

Viele Hände streckten sich ihnen entgegen, man half ihnen ans Ufer und zog das Boot aufs Trockne. Zwei Postsäcke lagen darin, ein paar Decken, ein schlaffer Proviantsack. Die Männer waren so durchgefroren, daß sie kaum auf den Füßen stehen konnten.