Выбрать главу

»Herr Harney? Dave Harney, wenn ich nicht irre?«

Der Bonanza-König nickte, und Herr Gregory St. Vincent wandte sich an Frona.

»Die Welt ist wirklich nicht groß, Fräulein Welse. Denken Sie, Herr Harney und ich sind alte Bekannte.«

Jetzt ging dem Goldkönig ein Licht auf.

»Warten Sie, junger Mann, ich komme schon drauf. Damals waren Sie glatt rasiert. Warten Sie - das war im Jahre sechsundachtzig, dann - Herbst siebenundachtzig, Sommer achtundachtzig - jawohl, damals war es! Im Sommer achtundachtzig kam ich auf meinem Floß den Strom herunter. Ich hatte Elchhäute geladen und hatte es eilig. Aufs Haar wäre mir damals die ganze Ladung verdorben. Ja, und da kamen Sie in einem Ruderboot vom Lindermansee an. Ich behauptete, es wäre Mittwoch, mein Kamerad sagte Freitag, und Sie behaupteten Sonntag. Jawohl Sonntag! Stimmt absolut. Vor neun Jahren! Dann haben wir getauscht, Elchbraten gegen Mehl, Backpulver und Zucker! Sakrament, war das eine Freude! Das ist schön, daß wir uns wiedersehen!«

Sie schüttelten einander die Hände, der Alte schlug dem Jungen auf die Schultern.

»Ich habe eine nette kleine Bude oben auf dem Hügel und dann noch eine am Eldorado. Der Schlüssel hängt immer draußen vor der Tür, Sie kommen, wann Sie Lust haben, und bleiben, solange es Ihnen paßt. Meine einzige Bedingung ist: bald! Es tut mir leid, heute muß ich gehen, ich wäre gern noch geblieben.«

»Vor neun Jahren waren Sie schon hier, Herr St. Vincent?« fragte Frona erstaunt. »Erzählen Sie doch, damals war das Land ja noch eine vollkommene Wildnis. Was haben Sie da alles erlebt?«

St. Vincent zuckte die Achseln: »Erlebt? Einen elenden Mißerfolg, das ist alles, was ich erlebt habe. Nichts, worauf man stolz sein könnte.«

»Einen Mißerfolg? Dann müssen Sie doch etwas versucht haben? Was hatten Sie damals für Pläne?«

St. Vincent bemerkte mit Genugtuung, daß Frona sich für ihn interessierte.

»Ich hatte damals die verrückte Idee, möglichst genau auf dem Polarkreis rings um die Welt zu reisen. Im Interesse der Wissenschaft. wissen Sie, ich bin Geograph. Es sollte durch Alaska gehen, auf dem Eis über die Beringstraße, dann durch Nordsibirien nach Europa zurück. Eigentlich war es ein prachtvolles Unternehmen, zum größten Teil führte der Weg über damals noch jungfräuliches Land. Aber die Sache ging schief. Über die Beringstraße kam ich gut hinüber, aber in Ostsibirien hatte ich Pech. alles wegen Tamerlan, wegen dieses mausetoten Tamerlan, das muß ich zu meiner Entschuldigung sagen.«

»Der reinste Odysseus!« rief Frau Sheffield und klatschte in die Hände. »Ein moderner Odysseus, ach, wie romantisch!«

»Aber geizig mit seinen Abenteuern, das war Odysseus nicht«, widersprach Frona. »Auf einmal stocken Sie, Herr St. Vincent, gerade im spannendsten Moment. Wieso hat Tamerlan Ihre Reise gestört?«

Er lachte und hatte offensichtlich keine Lust, von dieser Expedition zu erzählen. Aber er ließ sich von den neugierigen Frauen bewegen, ein Opfer zu bringen.

»Als Tamerlan mit Feuer und Schwert durch Ostasien zog«, berichtete er, »wurden Länder verwüstet, Städte zerstört und Völker wie Staub in die Winde zerstreut. Ein großes Volk wurde aus dem Lande gejagt; die Schwärme von Menschen suchten auf ihrer Flucht vor der sinnlosen Mordlust des Siegers Zuflucht in Sibirien. Sie bogen nach Norden und Osten ab und bildeten einen Saum von mongolischen Stämmen um das Land am Polarmeer. - Aber jetzt merken Sie, wie langweilig die Geschichte ist, meine Damen?«

»Nein! Nein!« rief Frau Sheffield. »Das ist ja so himmlisch spannend. Und Sie erzählen so lebendig! Er erinnert mich direkt an.«

»Also, dann will ich weitererzählen. Also, ohne diese Mongolenstämme hätte ich meine Reise durchgeführt. Zweifellos! Statt dessen bin ich gezwungen worden, eine fette Prinzessin zu heiraten und in Stammesfehden, beim Renstehlen und anderen Eingeborenensports eine Rolle zu spielen.«

»Sie sind ein Held! Ist das nicht himmlisch, Frona? Erzählen Sie mehr vom Renstehlen und von der fetten Prinzessin!«

»Die Bevölkerung der Küste bestand aus Eskimos, aus heiteren und gutartigen Menschen. Sie nennen sich selber Ukilions. das heißt: Meeresleute. Ich kaufte ihnen Hunde und Proviant ab, wir kamen gut miteinander aus. Aber die Ukilions waren einem Binnenlandstamm Untertan, den Tschautschuins. das heißt in unserer Sprache: Hirschmenschen. Die Tschautschuins sind ein wildes, unbezwingbares Volks, ungezähmt und boshaft. Kaum hatte ich die Küste hinter mir, da überfielen sie mich, nahmen mein Hab und Gut und machten mich zum Sklaven.«

»Waren denn keine Russen da? Soldaten? Polizei?«

»Russen? Unter den Tschautschuins?« Er lachte. »Geographisch gehörten sie allerdings zum Reiche des Zaren, aber ich bezweifle, daß er je von diesen Untertanen gehört hatte. Vergessen Sie nicht: Das Innere von Nordsibirien liegt in der Polarnacht, ein unerforschtes Land. Wenige Europäer sind je dort hingekommen, kaum je einer ist zurückgekehrt.«

»Aber Sie.«

»Ich bin zufällig die Ausnahme, mit der sich die Regel bestätigt. Warum ich verschont wurde, weiß ich nicht. Aber es ist eine Tatsache, sonst könnte ich Ihnen nicht davon erzählen.

Anfangs wurde ich schrecklich behandelt, von Frauen und Kindern geschlagen, in räudige Felle voller Ungeziefer gekleidet, mit Abfall ernährt. Sie hatten überhaupt kein Herz. Wie ich das überstand, ist mir heute noch ein Rätsel, ich hätte tausendmal Selbstmord begangen, aber es fand sich kein Weg dazu. Dann war ich, infolge von soviel Leiden und Mißhandlungen, ganz vertiert und viel zu schlaff, um mir das Leben zu nehmen. Halbtot vor Hunger und Kälte, verprügelt, daß ich manchmal kaum noch denken konnte. nein, damals war ich kein Mensch mehr, und nur der Mensch begeht Selbstmord! Heute scheint mir diese Zeit wie ein gräßlicher Traum. Vieles ist meinem Gedächtnis ganz entfallen. Ich weiß noch dunkel, daß ich, auf einen Schlitten gebunden, von Lager zu Lager geschleppt wurde, eine Art Ausstellungsgegenstand, ein Stückchen zoologischer Garten auf Reisen. Wie weit ich in die Öde vorgedrungen bin, weiß ich nicht, aber es müssen Tausende von Meilen gewesen sein. Als ich wieder zu mir kam, und all das hinter mir lag, befand ich mich jedenfalls reichlich zweitausend Kilometer westlich der Stelle, wo sie mich gefangen hatten. Es war Frühling, und mir war, als knüpfte ich plötzlich an die Vergangenheit wieder an, auf einmal hatte ich wieder offene Augen.

Ich fand mich mit einem Riemen ans hintere Ende eines Schlittens festgebunden, wie der Affe eines Leierkastenmannes. Ich hielt den Riemen mit beiden Händen, denn er hatte mir schon tiefe Wunden ins Fleisch geschnitten. >Was ist das?< fragten die Hirschmenschen und hielten mir ein Spiel Karten unter die Augen. Das mußte auf merkwürdigen Wegen von weißen Leuten über die Meermenschen zu den Hirschmenschen gekommen sein, wahrscheinlich von Walfischfängern. Nun hatte ich als Schuljunge zum Vergnügen meiner Kameraden Kartenkunststücke und ein bißchen Zaubern gelernt. Die alten Kunstfertigkeiten fielen mir plötzlich wieder ein, und ich kann sagen, daß kein Zauberkünstler auf Erden je ein dankbareres Publikum gefunden hat. Im Augenblick wurde ich von einem Ausstellungsgegenstand, der so wenig galt, daß man ihn verhungern und verkommen ließ, ein Mann von unermeßlicher Bedeutung. Greise und Frauen kamen zu mir, um sich in ihren Nöten Rat zu holen, dann auch die Männer und zuletzt sogar die Häuptlinge. Es kam mir zustatten, daß ich von Medizin und Chirurgie eine Ahnung hatte, und so wurde ich Wundermann. Vor wenigen Wochen noch Sklave, saß ich jetzt unter den Häuptlingen im höchsten Rat, ich wurde das unwi der sprechbare Orakel im Kriege wie im Frieden. Dort oben waren Rene das einzige Vermögen, ein Tauschmittel wie bei uns das Gold. Mein Stamm beschäftigte sich hauptsächlich damit, Raubzüge gegen die Nachbarstämme zu unternehmen und ihnen die Rennerden zu stehlen. Ich brachte meinen Leuten neue Kampfmethoden bei, lehrte sie Kriegskunde und Taktik und verhalf ihren Operationen zu einer Stoßkraft, der die Nachbarstämme nicht widerstehen konnten. So war ich zwar ein Herr, fast ein Halbgott geworden, aber meine Freiheit gewann ich dadurch nicht wieder. Es klingt lächerlich: Ich war zu erfolgreich, ich hatte mich unentbehrlich gemacht. Die Hirschmenschen waren jetzt meine Untertanen, aber sie bewachten mich eifersüchtig. Jeder meiner Befehle wurde befolgt, ich konnte kommen und gehen, wie ich wollte. Aber wenn die Handelskarawanen von der Küste kamen, mit denen wir Waren tauschten, durfte ich nicht dabeisein. Unter meinen Häuptlingen war ein einziger, Pi-Une, der sich weigerte, mir die mir zustehenden Ehren zu erweisen. Er rüttelte damit an meiner Allmacht, ich fühlte den Thron unter mir wackeln, denn tatsächlich besaß ich nur so weit Macht, wie man mir Glauben schenkte. Ich war, verstehen Sie das, meine Damen, der Aberglaube des Volkes. Wenn einer an mir zweifelte, und der Blitz ihn nicht strafte, konnte ich plötzlich die ganze Macht wieder verlieren und da sein, wo ich angefangen hatte. Um Pi-Une zu besänftigen, blieb mir nichts übrig, als seine Tochter Ilswunga zu heiraten. Darauf bestand er. Ich bot ihm an, er solle als gleichberechtigter Mitkaiser neben mir herrschen. Aber davon wollte er nichts hören. Und.«