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Dann hatte er viele Stunden warten müssen, bis sein Kamerad ihn zu Fuß einholte.

»Eine feige Bestie!« rief einer aus der Gesellschaft.

»Sagen Sie das nicht«, belehrte ihn St. Vincent. »Persönlicher Mut ist nichts anderes als Nervensache. Man hat ihn, oder man hat ihn nicht, manche Menschen versagen in der Lebensgefahr und finden danach den Mut, sich beispielsweise selbst umzubringen. Ist es nicht merkwürdig, daß jemand um sein Leben zittert und doch stark genug ist, es von sich zu werfen?«

»Aber Sie! Aber Sie!« rief Frau Sheffield. »Wieviel tausendmal haben Sie dem Tod ins Auge gesehen, und man hört es aus jedem Ihrer Worte, daß Sie nicht mit der Wimper gezuckt haben!«

Frau Sheffield lud St. Vincent und den Baron zum Abendessen ein; der Zufall brachte es mit sich, daß Frona und Corliss zusammen den Heimweg antraten. In schweigender Übereinkunft bogen sie zu einem großen Rundweg um Dawson aus, überkreuzten zahllose Fußwege und Schlittenpfade und kamen in die tiefe, schweigende Einsamkeit eines Winterabends in Alaska. Die Sonne hatte an diesem Tag kaum eine Stunde lang ein erbärmliches, blasses Licht gespendet, schon um drei Uhr nachmittags war der Himmel voll von Sternen gewesen, und jetzt zeigten sich am Horizont die phantastischen Feuer des Nordlichts, ein zitterndes, flammendes, funkelndes Licht, erregend und dennoch kalt wie der Weltraum selbst.

Sie schritten in dieser magischen Beleuchtung hin, der Schnee knirschte unter ihren warmen Mokassins, ihr Atem kräuselte sich in weißen Dunstwolken. Zu ihren Füßen lag unter der großen Himmelswölbung ein dunkler Fleck inmitten der grenzenlosen weißen Einsamkeit: die Goldstadt Dawson, wie ein schwacher menschlicher Protest gegen die Unendlichkeit. Keiner von ihnen mochte sprechen, so wundervoll war alles, so unbeschreiblich gut tat es, die Lungen mit jedem Atemzug dieser eisgekühlten, würzigen Luft neu zu beglücken.

Männerstimmen und Rufe durchbrachen die Stille ganz in ihrer Nähe, dann kam heiseres Bellen, Peitschen knallten, ein beladener Hundeschlitten schwankte heran. Den reifbedeckten Wolfshunden hingen die warmen Zungen rot aus den heiß dunstenden Mäulern. Die beiden wußten nicht, welche Fracht man zu dieser Stunde hier um die Stadt herumführte, und blieben stehen. Auf dem Schlitten stand eine lange schmale Kiste aus ungehobelten Kiefernbrettern. Darauf lag ein Kruzifix. Es war ein Leichenbegängnis. Zwei peitschenschwingende Hundetreiber liefen rechts und links des Schlittens. Dahinter schwankte eine fast blindgeweinte Frau, ein Geistlicher im schwarzen Ornat gab dem Sarg das Geleit.

»Ein toter Pionier«, brach Frona das Schweigen, als unter Winseln, Rufen und Knallen der Sarg in der Ferne verschwunden war, einer Art von Totenkammer entgegen, die man irgendwo vor der Stadt in das Eis gehauen hatte.

Corliss’ Gedanken hingen in der gleichen Richtung wie ihre.

»Goldsucher«, sagte er, »aber Pioniere, da haben Sie recht. Sie kämpfen wie Soldaten im Krieg gegen Kälte und Hunger, ihre Waffen sind Zähigkeit und Kraft, zu leiden. Ich kann verstehen, daß alle siegreichen Rassen aus dem Norden gekommen sind, um zu herrschen. Stark im Wagen, stark im Dulden, mit unendlichem Glauben und unendlichem Mut ausgerüstet, mußten sie sich die Welt unterwerfen.« Ein altes nordisches Lied fiel ihm ein: »Wir schwangen unsere Schwerter im Kampf«, sang er. »Da lohte mein Herz, als läge meine weiße Braut bei mir auf dem Ruhebett. Ich schritt den Gefährten voran mit dem blutigen Stahl; uns folgten die Raben. Feuer fraß die Häuser und Menschen!«

»Fühlen Sie das wirklich?« fragte sie, die Hand in seinem Arm.

»Früher war mir all das nur Schulweisheit, unsere ganze Wiking-Vergangenheit hat mir nie etwas gesagt, Frona! Ich war Student, ich hatte Formeln und Logarithmentafeln im Kopf, und von wem ich abstammte, danach habe ich kaum gefragt. Das heißt, wissen Sie, mein Blut hat nicht danach gefragt, nicht einmal ein Traum hat mir davon erzählt.«

»Und jetzt?«

»Hier oben im Norden ist mir das alles plötzlich bewußt geworden.«

Er sah Frona mit bewundernden Augen an, ihre Silhouette zeichnete sich scharf von der flammenden Luft ab. Der Reif in ihren Brauen und Wimpern schimmerte wie Juwelen. Ihr Gesicht stand ganz in diesen Strahlen. Wie ein Genius der nordischen Rasse erschien sie ihm; bei ihrem Anblick standen längst vergangene Generationen in seiner Seele auf. Er empfand, wie seine Väter in Sturmgetöse und Wogenprall kampftüchtige Schiffe mit scharfem Bug aus diesen Breiten hinunter in den Mittag gesteuert hatten, ringsherum um Europa. Wikinger hatte man sie geheißen, die mit eisernen Muskeln und gewaltigen Brustkästen aus dem Element selbst entstanden waren, um plündernd wie Herrgottsgeißeln über die warmen Südlande hinzufahren. Leidenschaftlich griff er nach Fronas Hand.

»Die weiße Braut auf meinem Ruhebett! Frona! Hier unter den Sternen, im Nordlicht.«

Er brach ab; der Schwung seines Herzens wollte sich ihm nicht zu Worten gestalten. Das Nordlicht zerflackerte mit einem letzten, unsicheren, blaßgelben Schein. Jetzt glitzerten nur noch die Sterne, und jetzt erst war wirklich Nacht. Ganz von fern hörte man die Hunde des Leichenschlittens klagend heulen.

Eine Minute lang wurde kein Wort gesprochen. Eine Minute lang beobachtete Corliss, wie von Fronas Gesicht das Siegesgewisse verschwand, ihre Gestalt klein wurde und zusammensank. Er las auf ihrem Gesicht die bittere Notwendigkeit, ein Wort sprechen zu müssen, das ihm weh tat.

»Ich war ein Narr. sagen Sie nichts. ich weiß meine Antwort.«

Frona bat: »Lassen Sie uns gehen!«

Erst als sie den Berg hinter sich gelassen, die Ebene durchschritten hatten und bei der Sägemühle am Fluß ankamen, als geschäftige Menschen rings um sie waren, konnten sie ein Gespräch wieder aufnehmen.

»Es tut mir so leid«, stammelte sie. Und dann, unbewußt sich selbst verteidigend, »und es war alles so schön vorher. so schön. Aber das hatte ich nicht erwartet.«

»Sonst hätten Sie meine Frage verhindert?«

»Ja, ich glaube. Ich wollte Ihnen ja nicht wehe tun.«

»So haben Sie es also erwartet?«

»Vielleicht gefürchtet. Aber zugleich hatte ich gehofft.

Sehen Sie, Vance, ich bin nicht nach Klondike gekommen, um mich zu verlieben. Und erst recht nicht, um zu heiraten. Gefallen haben Sie mir vom ersten Augenblick an, eigentlich gefallen Sie mir immer besser. Und nie haben Sie mir besser gefallen als gerade heute. Aber.«

»Aber meine Frau zu werden, daran haben Sie nie gedacht. Das wollten Sie doch sagen?«

Er sah sie von der Seite an, scharf und forschend, und in diesem Augenblick machte ihn der Gedanke, sie zu verlieren, rasend.

»Ich habe sogar daran gedacht«, antwortete sie. »Ich habe daran gedacht, aber der Gedanke hat keine Gewalt bekommen. Sie haben so viele große Eigenschaften, Vance, so vieles, Herzlichkeit und Güte und Kraft.«

Er versuchte mit einer Handbewegung sie zum Schweigen zu bringen, aber jetzt wollte sie sprechen.

»Ein wundervoller Kamerad sind Sie. Das größte, was ein Mensch dem anderen geben kann, ist eine Freundschaft, wie Sie sie zu geben haben. Wenn das gekommen wäre, was Sie glauben, ach, ich wäre sehr glücklich gewesen. Ist es meine Schuld, daß es nicht kam?«

Er versuchte es mit einem Scherz, so bitter, daß er ihm selbst weh tat.

»Sie hätten gern den unwillkommenen Gast willkommen geheißen?«

»Warum machen Sie mir alles noch schwerer, als es ist, Vance? Warum helfen Sie mir nicht lieber? >Nein< hören müssen ist furchtbar hart, aber >nein< sagen müssen ist noch viel schrecklicher. Ich habe einen lieben, lieben Freund, den will ich nicht verlieren.«