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»Der Teufel soll Sie und Ihre Gummischuhe holen!«

Aber damit war die Kunst für diesen Abend erledigt, und man sprach wieder von realeren Dingen.

Gregory St. Vincent brachte Frona nach Hause. Als sie allein in der eiskalten Winterluft standen, schüttelte er sich, als müßte er alles abwerfen, was ihn da drin umgeben hatte, und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Endlich!«

»Was endlich?«

»Endlich kann ich Ihnen sagen, wie wundervoll Sie die Nora gespielt haben! Vielleicht haben Sie Perlen vor die Säue geworfen, aber ich wenigstens war so ergriffen, daß ich selbst kaum weiterspielen konnte. Bei der großen Szene, in der Sie für immer aus meinem Dasein verschwinden.«

».was war da?«

»Ja, da waren Sie nicht Nora, und ich war nicht Thorwald, sondern wir waren Frona und Gregory. Wie Sie da auf einmal in Hut und Mantel vor mich treten und mit der Reisetasche in der Hand abgehen, da hat mir das Herz geblutet.«

Frona antwortete nicht. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Der Zauber dieses Abends lag noch über ihnen; von der Begeisterung, mit der sie der Kunst gedient hatten, war noch etwas in ihrem Blut. Es war ein klarer Abend, nicht übermäßig kalt für zwei junge Menschen in dicken Wolfspelzen, die beide auf die Umwelt nicht achteten. Das Land lag ringsum in Licht gebadet, ein weiches Licht, dessen Quelle weder Stern noch Mond war. Am Horizont spannte sich von Südost nach Nordwest ein blaßgrünes, leuchtendes Band, von ihm ging der matte Strahlenglanz aus. Plötzlich zeichnete sich, wie das Licht eines Scheinwerfers, ein Bündel weißer Strahlen auf dem nachtschwarzen Himmel ab. Für einen Augenblick war gespenstischer Tag; dann senkte sich noch tiefer die schwarze Nacht auf die Erde herab. Nur im Osten gärte es aus einem grünlichen, leuchtenden Nebelschleier, lichte Dämpfe brodelten empor, fielen wieder, als versuchten mächtige, körperlose Hände, den Äther an sich zu reißen. Einmal schoß eine zyklopische Rakete in feuriger Bahn vom Horizont bis zum Zenit empor und fiel wie in zitternder Flucht wieder auf die Erde herab.

Im Augenblick dieses flammenden Triumphes brach die Stille auf der Erde. Zehntausend Wolfshunde heulten zugleich all ihre Sehnsucht und ihren Hunger in die Luft. Frona schauerte zusammen. St. Vincent legte den Arm um sie. Jetzt jammerten die Wolfshunde nur noch leise, ihr Winseln war noch fürchterlicher als das einstimmige Klagegeheul. Es war, als ginge durch diese ganze Welt eine große unbezwingbare Furcht.

Frona legte sich fester in St. Vincents Arm und schloß die Augen. Da spürte sie die Furcht der Kreatur nicht mehr. Es zitterte in ihren Nerven von einem ganz neuen, fremden Gefühl, und das war Wonne.

»Muß ich noch Worte zu dir sprechen?« fragte er mit seiner tiefen Stimme, die eben erst alle Zuhörer im Theater entzückt hatte und die jetzt so gedämpft, so ganz allein für sie klang.

»Nein, Gregory!«

»Ich kann dir so wenig bieten, Geliebte!« sagte der Mann, als er Frona bis zur Tür ihres Vaterhauses gebracht hatte.

»Das unsichere Los eines immer wandernden Zigeuners...«:

Sie nahm seine Hand, preßte sie an ihr Herz und sprach die Worte, die eine große Frau vor ihr gesprochen hatte: »Ein Zelt und eine Brotkruste, die ich mit dir teile! Damit werde ich immer glücklich sein!«

*

»Herein!«

Matt McCarthy drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür und schloß sie sorgfältig wieder hinter sich.

»Ach, Sie sind’s!« St. Vincent betrachtete seinen Gast mit einem düsteren, zerstreuten Blick, dann aber nahm er sich zusammen und reichte ihm die Hand.

»Hallo, Matt, Alter! Meine Gedanken waren tausend Meilen weit von hier, als Sie kamen. Nehmen Sie sich einen Stuhl, und machen Sie es sich bequem! Dort neben Ihnen steht Tabak. Versuchen Sie ihn und lassen Sie uns hören, was Sie wollen!«

»Ja, da hat er schon recht, daß seine Gedanken tausend Meilen weit von hier sind«, sagte Matt bei sich. Aber laut sagte er: »Nun ja, Sie waren wohl in süße Träume versunken. Und das ist ja auch kein Wunder.«

»Wieso?« fragte der Geograph heiter.

»Sie sind ein verfluchter Kerl, Vincent, und haben ein mächtiges Glück bei den Mädchen - darüber ist nicht zu streiten. Sie haben manchen Kuß im Vorbeigehen geschnappt und manches Herz gebrochen. Aber, Vincent, mein Junge, haben Sie je das Richtige gekannt?«

»Wie meinen Sie das?«

»Das Richtige, das Richtige, das heißt - nun ja, sind Sie je Vater gewesen?«

St. Vincent schüttelte den Kopf.

»Ich glaube nicht. Aber haben Sie je väterliche Liebe gefühlt?«

»Das weiß ich nicht recht. Ich glaube nicht.«

»Da haben wir’s ja. Und das ist das Richtige, sag’ ich Ihnen. Wenn ein Mann je ein Kind gesäugt hat, dann habe ich’s getan, oder doch jedenfalls so was Ähnliches. Es war ein Mädel, und jetzt ist sie ausgewachsen, und wenn möglich liebe ich sie noch mehr als ihr leiblicher Vater. Außer ihr habe ich leider nur eine einzige Frau getroffen, die ich hätte lieben können, und die war schon mit einem anderen verheiratet, als ich sie traf. Ich habe keinem Menschen je ein Wort davon gesagt, o nein, nicht einmal ihr selbst. Aber sie ist tot. Gott sei ihrer Seele gnädig.«

Das Kinn sank ihm auf die Brust, und seine Gedanken gingen zurück zu der blonden Frau, die sich einst wie ein Sonnenstrahl in die Hütte am Dyea-River verirrt hatte. Er blickte plötzlich auf und sah St. Vincent mit leeren Blicken vor sich hinstarren, als dächte er an ganz etwas anderes.

»Aber lassen Sie es jetzt genug sein mit den Dummheiten, Vincent!«

Der Geograph nahm sich zusammen, und er merkte, daß die kleinen blauen Augen des Iren sich in die seinen bohrten.

»Sind Sie ein tapferer Mann, Vincent?«

Eine Sekunde lang sahen sie sich an, als wollte einer die Seele des anderen erforschen. Und in dieser Sekunde hätte Matt schwören können, daß er es ganz leise in den Augen des andern flackern sah. Triumphierend schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß es klatschte. »Weiß Gott, das sind Sie nicht.«

Der Geograph zog die Tabaksdose zu sich heran und drehte sich eine Zigarette. Er drehte sie sich mit großer Sorgfalt, und das feine Reispapier knisterte in seiner geübten Hand; dabei stieg ihm Zornesröte unter dem Hemdkragen empor und verbreitete sich, stärker an den Höhlungen und wieder schwächer an den Backenknochen, immer mehr über seine Wangen, bis sein Gesicht flammte.

»Nun gut. Vielleicht erübrigt es sich, daß ich meine Finger mit einer ekelhaften Arbeit beschmutze. Vincent, das Mädel, das jetzt ausgewachsen ist, schläft diese Nacht in Dawson. Gott helfe uns, Ihnen und mir, aber wir werden nie unsern Kopf so rein und unbeschmutzt wie sie auf die Kissen legen können. Vincent, ich will Ihnen einen vernünftigen Rat geben, strecken Sie nie die Hand nach ihr aus, weder mit noch ohne Segen der Kirche! Sie sind mir unsympathisch. Meine Gründe behalte ich für mich, die sind ja auch einerlei. Aber hören Sie jetzt, was ich sage: Wenn Sie je so töricht sein sollten, sie zu Ihrer Frau zu machen, so werden Sie nie das Ende des verfluchten Tages sehen oder sich über den Anblick Ihres Brautbettes freuen. Mensch, ich könnte Sie mit meinen bloßen Fäusten erschlagen, wenn es nötig wäre. Aber ich hoffe, daß ich es ein wenig eleganter tue. Seien Sie ganz ruhig - das verspreche ich Ihnen.«

»Du irisches Schwein!« Ganz plötzlich war in St. Vincent der Teufel wach geworden.

McCarthy sah plötzlich in den Lauf eines Revolvers hinein. »Ist er geladen?« fragte er ruhig.

»Gewiß«, sagte St. Vincent zornig.

»Ich glaube Ihnen. Aber worauf warten Sie? Drücken Sie ab, hören Sie!«

Der Finger, der abdrücken sollte, bewegte sich, und ein verdächtiges Klicken ertönte.

»So ziehen Sie durch. Ziehen Sie durch! Als ob Sie das könnten, beim Flackern in Ihren Augen.«