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St. Vincent versuchte, den Kopf abzuwenden.

»Sehen Sie mich an, Mann!« kommandierte McCarthy.

»Sehen Sie mir in die Augen, wenn Sie es tun.« Wider Willen mußte der Geograph den Kopf wieder drehen, so daß seine Augen denen des Irländers begegneten.

»Jetzt!«

Zähneknirschend drückte St. Vincent ab - wenigstens glaubte er es zu tun. Sein Wille war bereit und gab den Befehl, aber die Angst in seiner Seele hielt ihn zurück.

»Wohl gelähmt, der arme, kleine, zitternde Finger, was?« grinste Matt dem gepeinigten Mann ins Gesicht. »Dann dreh ihn jetzt nach der anderen Seite, so, und leg ihn weg, vorsichtig. vorsichtig. vorsichtig.« Seine Stimme wurde zu einem knurrenden, beruhigenden Flüstern.

St. Vincent ließ den Drücker los, der Revolver glitt ihm aus der Hand, und mit einem kaum hörbaren Seufzer sank er kraftlos auf seinen Stuhl. Er versuchte sich aufzurichten, fiel aber statt dessen mit dem Oberkörper auf den Tisch und vergrub das Gesicht mit den zitternden Händen. Matt zog sich die Fäustlinge an, warf ihm einen mitleidigen Blick zu, ging dann und schloß vorsichtig die Tür hinter sich.

*

Im Frühjahr setzte die große Abwanderung aus Dawson ein. Manche zogen fort, weil sie sich ein Vermögen gemacht hatten, viele, weil sie nichts mehr zusetzen konnten. Alle aber kauften Hunde, soviel sie nur kriegen konnten. Dann reisten sie über das dünne Frühlingseis nach Dyea. Dave Harney hatte so viel Hunde aufgekauft, daß er die Preise diktieren konnte, und er diktierte nicht sanft! Er ging mit strahlendem Gesicht umher. »Wollen Sie auch fort?« fragte ihn Welse eines Tages, als die blasse Mittagssonne zum erstenmal wärmte.

»Denke nicht daran! Erst muß ich mein Lager an Mokassins losschlagen, von der! Stiefeln gar nicht zu reden. Wissen Sie, Welse, mit dem Zucker haben Sie mich tüchtig hineingelegt, meine Puddings haben mich diesen Winter ein paar tausend Dollar gekostet. Aber ich hab’s wieder hereingeholt. Übrigens, haben Sie noch Gummistiefel?«

»Nein, mein Lager war schon Anfang des Winters geleert.«

Dave Harney lachte glückselig vor sich hin.

»Ja, wer mag die wohl fortgezaubert haben? Sehen Sie, das war wieder der pfiffige, kleine Dave.«

»Aber ich hatte doch meinen Leuten verboten, in Partien zu verkaufen!«

»Hat ja auch kein Mensch getan. Ein Mann pro Paar, ein Paar pro Mann, auf Ihre Jungens können Sie sich verlassen. Aber hundert mal eins gibt eben auch hundert, und jedesmal war es eben mein Goldstaub, der in die Waagschale gefallen ist. Ob wir jetzt einen zusammen heben, Welse? Mir ist so komisch, ich glaube, ein doppelter Schnaps käme jetzt gerade in die richtige Ecke!«

*

Mitte April wurde am Hendersonfluß Gold gefunden; die Sache sah vielversprechend aus. Jacob Welse bereiste den Distrikt, und Frona begleitete ihn, denn es war eher eine Vergnügungs- als eine Geschäftsreise. Bald nach ihnen zog Gregory St. Vincent denselben Weg. Corliss und Bishop waren zunächst den linken Arm des Henderson hinaufgewandert. In einer Woche wollten sie auch bei den neuen Funden sein. Dann kam der Mai; jetzt war der Frühling so vorgeschritten, daß es gefährlich wurde, auf den Flüssen zu reisen. Über halbaufgetautes Eis zogen die Goldsucher und dankten Gott, wenn sie lebendig ihr Ziel erreichten. Es standen schon ein paar Hütten in der Nähe der neuen Funde, und ihre gastlichen Besitzer nahmen viele der Neuangekommenen auf. Welse und seine Tochter kampierten im Zelt, ihr Lager auf einem Höhenzug am oberen Ende von »Split-up-Island« im Yukon beherrschte wie ein Königssitz die ganze Gegend.

Die zunächst gelegene Insel hieß Freitagsinsel. Die beiden waren nur durch einen schmalen Kanal voneinander getrennt. Hier trafen Corliss und Bishop ein, als das Eis schon so schwach war, daß die Hunde beinahe ebensoviel schwimmen wie laufen mußten. Sie waren die letzten, die sich in diesem Winter über das Eis gewagt hatten. Nahe davon, auf Roubeauinsel, hauste John Borg, ein mürrischer, alternder Bursche, der ungern sprach und sich am liebsten von der ganzen übrigen Menschheit abgesondert hätte. Zu seinem Unglück fand Gregory St. Vincent in seiner Hütte Quartier.

»Es ist nur wegen der Lausedollars«, sagte der Mann. »Gern nehm’ ich Sie nicht etwa auf. Werfen Sie Ihre Decken in die Ecke. Bella kann die eine Koje ausräumen. Wir brauchen sie sowieso nicht.«

Er öffnete den Mund erst wieder am Abend, um zu sagen: »Ihr Essen kochen Sie selber. Wenn das Mädel am Ofen fertig ist, können Sie anfangen.«

Das Mädel Bella war die schönste Indianerin, die Gregory je gesehen hatte. Sie hatte nicht die fettig dunkle Haut ihrer Rasse, sondern einen klaren, bronzefarbenen Teint, und ihre Züge waren weicher, edler, als man es in der Regel bei Indianerinnen findet.

Nach dem Abendbrot legte Borg beide Ellenbogen auf den Tisch, stützte sein Kinn in die mächtigen Fäuste, rauchte stinkenden Indianertabak und starrte vor sich hin.

»Wohl schon lange im Lande, alter Freund?« fragte St. Vincent, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

Borg wandte ihm seinen düsteren Blick zu. Es war, als sähe er in ihn hinein, durch ihn hindurch und doch an ihm vorbei. Während er St. Vincent betrachtete, schien er ganz zu vergessen, daß dieser Mann überhaupt existierte.

Worüber er wohl grübeln mag? dachte der Geograph, indem er sich eine Zigarette drehte. Diese erste Zigarette war schon in duftenden Rauchringen aufgegangen. Eine zweite kam an die Reihe, als Borg endlich den Mund auftat. »Fünfzehn Jahre«, sagte er, sonst kein Wort.

Eine halbe Stunde lang studierte Gregory wie fasziniert dies unergründliche Gesicht. Der Kopf war riesengroß, aber nicht zu groß für den mächtigen Stierhals, der ihn trug. Jede Einzelheit an diesem Kopf schien gewaltig entworfen, aber nicht ganz fertig geworden. Es war der unfertige Kopf eines alternden Riesen. Sein Haar verfilzte sich hier und da zu seltsamen, grauen Flecken und ringelte sich dann wieder in schwarzen Locken, so dick wie gekrümmte Finger. Der Backenbart fiel wie in dicken Grasbüscheln, halb schwarz, halb grau, auf die Brust herab, aber er war nur tupfenweise in dem Gesicht angesetzt und konnte weder die großen, hohlen Backen noch die dünnen und grausamen Lippen verbergen. Die Stirn war es, die das eigentlich Widerspruchsvolle in John Borgs Gesicht brachte. Es war eine hochgewölbte, breite und fast edle Stirn. Wer sie allein sah, hätte gedacht, sie sei das Bollwerk einer allumfassenden Intelligenz.

Beim Geschirraufwaschen ließ Bella eine schwere Blechtasse fallen. In die völlige Stille hinein wirkte das Dröhnen wie eine ungeheure Sensation. Borg fuhr mit einem unartikulierten Gebrüll empor, daß sein Stuhl schmetternd umfiel! Er stand aufrecht da mit flammenden Augen und wutverzerrtem Gesicht. Bella gab ein tierisches Wimmern von sich und lag sofort zu seinen Füßen gekrümmt, wie ein Hund, der die Peitsche erwartet.

Auf St. Vincents Kopf sträubten sich die Haare. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter. Was würde jetzt geschehen? Aber Borg hob den Stuhl auf und fiel in seine alte Stellung zurück, das Kinn in die Fäuste gestützt. Bella arbeitete vorsichtig mit den Tellern weiter, es fiel kein Wort, und während St. Vincent mit zitternden Händen seine nächste Zigarette drehte, fragte er sich, ob all das ein Traum gewesen sei.

Jacob Welse lachte, als Gregory ihm am anderen Tag die Geschichte erzählte.

»So ist dies knurrige alte Biest; genauso verrückt, wie es aussieht. Er ist mehr Jahre im Lande, als er Menschen kennengelernt hat. Ich glaube, daß er in ganz Alaska keinen einzigen Freund hat, nicht einmal unter den Indianern, mit denen er viel zusammen ist. Sie nennen ihn:    >Jonny Halbverdrehtc, aber ebensogut könnten sie ihn >Jonny Schlagzu< nennen. Er ist jähzornig und hat eine schwere Tatze. Stellen Sie sich vor, wozu der Kerl imstande ist. Einmal hatte er eine Meinungsverschiedenheit mit meinem Faktor in Arctic City. Er hatte absolut recht, aber bei dem Faktor war es nur ein Irrtum, kein böser Wille. Was tut der Rübezahl? Erklärt meiner ganzen Unternehmung seinen Boykott und lebt ein volles Jahr lang ausschließlich von Fleisch. Dann traf ich ihn zufällig und erklärte ihm die ganze Sache, und dann hat er wieder bei uns gekauft.«