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»Und das Mädel?«

»Das hat er sich irgendwo aus dem höchsten Norden heruntergeholt. Ich beneide sie nicht. Dem sein Bettschatz zu sein, das ist kaum ein Vergnügen.«

Gregory St. Vincent kümmerte sich nicht viel um seine Wirte. Die meiste Zeit verbrachte er auf »Split-up-Island« mit Frona und ihrem Vater. Aber eines Abends kam es doch zu einem Zusammenstoß. Als St. Vincent nach Hause kam, saß der Alte im letzten dünnen Licht der Sonne vor seiner Hütte, und nahe bei ihm stand Bella an einer Waschwanne. Es war ein klobiges, selbstgezimmertes Ding und, wenn sie halb voll Wasser war, viel zu schwer, als daß eine Frau sie heben konnte. Als Bella das Wasser wechseln wollte, sprang St. Vincent herbei, um zu helfen. Sie nahmen die Wanne zwischen sich und gingen ein paar Schritte weit zu einem Abflußrohr. Zuerst rutschte St. Vincent im halbaufgetauten Schnee aus, und das Seifenwasser übersprudelte ihn. Dann glitt Bella aus, und ein paar Schritte weiter fielen sie beide um. Es tat nicht weh, sie fanden es lustig; Bella kicherte laut, und St. Vincent lachte mit. In der Luft und in ihrem Blut war Frühling. An diesem Tag war alles zum Lachen. Aber sie hatten nicht bemerkt, daß Borg die Ohren spitzte. Als sie die Wanne zurücktrugen, passierte es abermals, daß Bella mit beiden Füßen zugleich ausglitt und sich mit einem hörbaren Plumps auf den Boden setzte. Jetzt klang ihr Lachen schon wie Jubeln, Gregory reichte ihr beide Hände zum Aufstehen, aber da war mit einem Satz und wildem Gebrüll Borg über ihnen. Er riß die vier Hände auseinander und schleuderte St. Vincent auf die Seite, daß er ein halbes Dutzend Meter weit taumelte. Dann wiederholte sich der seinerzeitige Auftritt. Bella warf sich winselnd vor ihrem Herrn zur Erde, in den Schmutz, aber es geschah ihr nichts. »Hör zu, Bursche«, sagte Borg mit tiefem Schnauben zu St. Vincent. »Du schläfst in meiner Hütte und kochst deinen Fraß auf meinem Ofen! Das genügt! Mein Weib läßt du in Ruh!«

Der Frühling war gekommen wie ein Wunder, streichelte die Welt mit sanften Händen und wiegte sie in Träume ein, ehe der Sommer mit seiner Blumenpracht kam. Schnee lag nur noch auf den eisschründigen Zinnen, aus Schluchten und Tälern war er verschwunden; die Gletscher begannen zu schmelzen, und jeder Fluß war ein brüllender Strom. Jeder Tag wurde länger als der vergangene; jetzt begann die kühle Morgendämmerung schon um drei Uhr, und es wurde neun Uhr, ehe der Abend kam. Bald sollte sich ein goldener Kreis rings um den Himmel ziehen und die Mitternachtsstunde strahlend sein wie der Mittag. Weide und Esche hatten schon Kätzchen getragen. Jetzt schmückten sie sich mit Laub, und die Kiefern standen hoch im Saft.

Mutter Natur war mit einem Seufzer erwacht und hatte sich an ihre kurze Sommerarbeit gemacht. Die Grillen sangen nachts um stille Hütten, im Mondschein krochen Moskitos aus hohlen Baumstämmen, es waren große, lärmende, unschädliche Geschöpfe, die den ganzen Winter hindurch wie Eisstücke gelegen hatten und jetzt vergnügt einem neuen Tod entgegensummten. Alles kriechende, krabbelnde und flatternde Leben kam aus der warmen Erde hervor, um zu reifen, zu zeugen und zu sterben. Uferschwalben gruben ihre Niststollen in die weichen Lehmgänge, Rotkehlchen sangen von den Kiefern. Über ihnen pochte unaufhörlich der Specht, in der Tiefe des Waldes schwirrten jählings Rebhuhnweibchen auf, während die Hähne in der Pracht ihres Männerkleides auf und ab stolzierten.

Nur der Yukon kümmerte sich nicht um dies große Erwachen. Viele Meilen weit lag er noch immer kalt da, unbeweglich und tot. Wildgänse, die, vom Süden kommend, in keilförmigen Zügen den Wind spalteten, machten halt, spähten nach offenem Wasser aus und flogen enttäuscht weiter nach Norden. Hier und da brach das Wasser durch und überschwemmte das unerbittliche Eis, aber in der nächsten kalten Nacht gefror es wieder zu einer einzigen festen Masse. Man erzählte sich, daß das Eis auf diesem Strom einmal drei lange Sommer hindurch nicht gewichen war. Für diesen Sommer hoffte man auf besondere Wärme. Noch war der Fluß nicht willens, seinen Griff zu lockern, noch wollten die Eismassen nicht hinab ins Beringmeer schwimmen, aber jede Stunde konnte Erlösung bringen.

Im Lager auf »Split-up-Island« war alles bereit, um die Eisschmelze auszunützen. Wasserstraßen sind in jedem wilden Land die ersten Landstraßen gewesen. Hier war der Yukon die einzige Straße. Die Leute, die darauf warteten, sie benutzen zu können, pichten ihre Boote aus und beschlugen ihre Bootsstangen mit frischem Eisen. Mit großen Messern schnitzten sie sich neue Steuerriemen zurecht.

Jacob Welse genoß das Nichtstun, das er sich im Leben so selten gegönnt hatte, und Frona sah, wie gut es ihm tat. Eines Nachmittags saß man zusammen vor dem Zelt; St. Vincent und sein Freund, der Baron Courbertin, waren zu Gast, und man berechnete, wie lange diese erzwungene Ruhe noch dauern könnte, als Jacob Welse witternd den Kopf hob.

»Da drüben, südlich von der Klippe! Könnt ihr etwas erkennen? Da bewegt sich was.«

»Ein Hund!«

»Für einen Hund bewegt es sich zu langsam. Frona, sei so gut, meinen Feldstecher.«

Die beiden jungen Männer liefen um die Wette. St. Vincent wußte, wo der Feldstecher lag, und kam wie ein Sieger damit zurück. Jacob Welse hielt das Glas lange an die Augen und suchte die Klippe ab. Es war eine ganze Meile von der Insel bis zum anderen Ufer; das Sonnenlicht lag blendend auf dem Eis, und es war schwer, etwas auszumachen.

»Es ist ein Mensch«, sagte er endlich und reichte dem Baron seinen Feldstecher. »Etwas ist da drüben nicht geheuer.«

»Er kriecht!« rief der Baron. »Ein Mann, der auf Händen und Knien kriecht. Sehen Sie nur, sehen Sie!«

Zitternd reichte er Frona das Glas. Als Fronas Augen sich an das leuchtende Weiß gewöhnt hatten, erkannte sie ein winziges dunkles Etwas, das sich kaum von einem ebenso dunklen Hintergrund aus Erde und Buschwerk abzeichnete. Es war ein Mann. Jetzt erkannte sie jede seiner Bewegungen! Er kroch mühselig an eine vom Winde gefällte Kiefer heran und versuchte, dies große Hindernis zu überwinden. Zweimal war es ihm schon mißglückt. Beim dritten Versuch, der unsägliche Mühe zu kosten schien, gelang es ihm, hinüberzukommen. Hilflos taumelte er weiter, dann fiel er, das Gesicht nach unten, in wirres Gebüsch.

»Ich glaube, er hat keine Kraft mehr«, sagte sie und reichte Gregory das Glas.

Der alte Welse sprang erregt auf und holte sein Gewehr aus dem Zelt: »Wir müssen ihm ein Zeichen geben. Paßt auf, ob er reagiert!« Sechs Schüsse knallten in kurzen Abständen in die Luft hinaus.

»Er bewegt sich!«

Alle verfolgten in entsetzlicher Spannung, was der Unglückliche unternahm.

»Er kriecht ans Ufer. Ah! Nein. Er liegt auf der Erde und hebt seinen Hut oder so etwas Ähnliches auf einen Stock! Jetzt winkt er!«

Jacob Welse steckte einen neuen Rahmen in sein Gewehr und gab noch einmal sechs Schüsse ab.

»Er winkt wieder! Mein Gott, jetzt hat er den Stock fallen lassen. Jetzt liegt er ganz still da!«

Alle drei sahen Jacob Welse an, als müßte er genau wissen, wie es um den Menschen stand. Der zuckte die Achseln.

»Ein Weißer oder ein Indianer? Wahrscheinlich Hunger. Vielleicht hat er auch einen Knochenbruch.«

»Aber vielleicht stirbt er!« sagte Frona, und ihre Stimme bettelte, als könnte ihr Vater dies Schicksal wenden.

Der Baron rang die Hände: »Insuppertable! Oh, das sein terrible, das! Entsetzlik! Direkt vor unsere Augen, und wir könne nicht elfen!« Dann rief er plötzlich: »Nein! Das darf nicht passiere! Ich gehe ibber die Eis!«

Er wollte den Abhang hinunterspringen, aber Welse hielt ihn am Arm fest.

»Nicht zu hitzig, Baron! Helfen müssen wir, aber was braucht der Mann? Nahrung, Medizin, was sonst? Überlegen wir einen Augenblick, dann wollen wir einen Versuch machen.«