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»Auf mich können Sie zählen«, erklärte St. Vincent schnell, und Fronas Augen leuchteten stolz.

Sie ging ins Zelt und packte Proviant zusammen. Die Männer besorgten ein zwanzig Meter langes Seil. Jacob Welse und St. Vincent wanden sich die Enden um den Leib, der Baron kam in die Mitte. Er wollte den Proviant tragen und schnallte sich den Rucksack auf. Frona sah vom Ufer aus, wie die Kolonne abmarschierte. Aber sonst schien niemand im Lager darauf zu achten.

Die ersten fünfzig Schritte ging alles gut, dann spürten die Männer, daß das feste Küsteneis sich veränderte. Welse führte sicher und ruhig; er tastete vor jedem Schritt ringsum das Eis ab und wechselte beständig die Richtung. St. Vincent brach zuerst ein, aber im Sturz hielt er seinen Stock quer, so daß er auf das Eis zu liegen kam. Sein Kopf kam nicht unter Wasser, aber die Strömung saugte an seinem Körper, und die beiden Männer mußten gewaltig ziehen, um ihn herauszuholen. Frona sah, daß sie einen Augenblick ratlos stehenblieben. Der Baron zeigte und gestikulierte eifrig, dann löste St. Vincent sich von den beiden anderen und kam ans Ufer zurück.

»Es ist unmöglich.«

»Aber warum kommen dann die anderen nicht zurück?«

»Dieser Courbertin ist ein schrecklicher Draufgänger. Sie wollen noch einen letzten Versuch wagen.«

»Und mein Vater ist auch ein schrecklicher Draufgänger«, sagte Frona mit einem bitteren Lächeln.

Dann fragte sie: »Willst du nicht ins Zelt gehen und warme Sachen von meinem Vater anziehen?«

Er warf sich neben sie auf den Boden: »Laß nur, die Sonne trocknet.«

Eine Stunde lang saßen sie da; Frona ließ das Glas nicht von den Augen. Die beiden Männer hatten jetzt die Mitte des Flusses erreicht; sie waren nur noch zwei schwarze Punkte in dem weißen Feld. Manchmal verschwanden sie völlig hinter Eismauern.

»Es ist nicht recht von ihnen«, beklagte sich St. Vincent. »Sie haben gesagt, sie wollen’s nur noch einmal versuchen, sonst wäre ich doch nicht umgekehrt! Aber sie müßten längst wissen, daß es unmöglich ist.«

»Doch. Nein. Ja! Sie kehren um!« rief Frona. »Aber hör? Was ist das?«

Ein dumpfes Poltern kam wie ferner Donner vom Eise her. Frona sprang auf.

»Vincent! Vincent! Der Fluß bricht auf!«

»Nein, nein! Gewiß nicht! Es ist schon vorbei.«

Das Dröhnen hatte sich flußabwärts verzogen.

»Aber dort! Dort!«

Ein neues Poltern, noch dumpfer und unheilvoller als zuvor, machte die Schwalben und Rotkehlchen schweigen. Es lief über den Fluß, auf die Inseln zu, und zuletzt klang es wie das Poltern eines Eisenbahnzuges auf einer fernen Brücke.

Dann war eine Minute Stille.

Dann drohte es zum drittenmal aus dem Eis, noch fürchterlicher und länger andauernd als zuvor.

»Warum machen sie nicht schnell?«

Die beiden Punkte waren stehengeblieben; es schien, daß die Männer sich berieten. Frona suchte durch ihr Glas den Fluß hinauf und hinab. Es zeigte sich keine Bewegung im Eise.

Aber jetzt begannen die Rotkehlchen wieder zu singen, und die kleinen Eichhörnchen spielten.

St. Vincent legte seinen Arm um das Mädchen: »Hab’ keine Angst, Frona! Wenn Gefahr wäre, wüßten sie es besser als wir. Aber sie lassen sich Zeit.«

Das Getöse kam und ging mit bald kürzeren, bald längeren Pausen, aber sonst verriet nichts, daß das Eis im Aufbrechen war, und allmählich kamen die Männer der Küste wieder näher. Sie troffen von Wasser und zitterten vor Kälte, als sie den Hang erreichten. Frona griff nach den Händen ihres Vaters, die halb erstarrt waren, rieb und küßte sie.

»Ich hab’ geglaubt, du kommst nicht wieder.«

»War ja ganz ungefährlich, Mädel. Lauf jetzt hinein und schau, daß wir etwas zu essen kriegen.«

»Was war denn nur?«

»Der Stuart ist aufgebrochen. Sein Eis schiebt sich unter die Yukon-Eisdecke. Wir haben es deutlich scheuern hören.«

»Es war skreckerlick!« gestand der Baron. »Aber skreckerlicker noch, daß wir nicht könne retten diese unglücklike Mensch! Le miserable!«

»Sobald wir etwas gegessen haben, versuchen wir es mit den Hunden«, erklärte Welse. »Mach schnell, Frona!«

Aber die Hunde versagten; Sie wählten die Leithunde als die klügsten aus, bepackten sie mit Proviant und schickten sie auf den Fluß hinaus. Jedesmal, wenn sie umzukehren versuchten, wurden sie mit Erdklumpen und Flüchen wieder aufs Eis getrieben. Aber sie verstanden gar nicht, was man von ihnen verlangte. Sobald sie außer Reichweite waren, blieben sie stehen, hoben die nassen, kalten Pfoten und heulten kläglich. Zuletzt fingen sie an, einer des anderen Proviantlast aufzureißen und leer zu fressen. Da gab man den Versuch auf.

Von Stunde zu Stunde wuchs das Getöse. Während der Nacht wurde es ein ununterbrochenes Donnern; gegen Morgen ließ es nach. Der Fluß war um zwei Meter gestiegen. An vielen Stellen stand das Wasser auf dem Eise. Es knurrte und krachte unaufhörlich; in allen Richtungen bildeten sich Risse. Als es heller wurde, hielten sie nach dem Mann am anderen Ufer Ausschau. Er regte sich nicht. Aber als sie ihre Gewehre abschossen, winkte er schwach.

»Es ist nichts zu machen, ehe das Eis aufbricht«, erklärte Welse. »Dann müssen wir es mit dem Boot versuchen. St. Vincent, holen Sie sich Ihre Decken und schlafen Sie heute nacht hier! Wir müssen zu dreien paddeln, Sie und ich. ich denke, daß wir den alten Phillips noch dazukriegen können.«

*

»Steht auf, die Vöglein zwitschern schon! Die Sonne scheint! Wacht auf!«

Es war erst drei Uhr morgens und noch tiefdunkle Nacht, als Del Bishop mit gurgelndem Baß diesen Ruf ausstieß. Frona fuhr aus dem Schlafsack, streckte ihre bloßen Füße in die Mokassins und warf sich einen Rock über. Im selben Augenblick hatte auch schon ihr Vater, der auf der anderen Seite eines Vorhanges schlief, die Zeltzipfel zurückgeschlagen und war hinausgetaumelt.

Der Strom war aufgebrochen! Seine Flut scheuerte gegen den höchsten Rand des Ufers. Er war mächtig im Steigen, und von Minute zu Minute konnte er die Insel überfluten. Manchmal schleuderte er gewaltige Eisschollen ins Land hinein. Als das erste Tageslicht matt erwachte, sah man auf hundertfünfzig Schritt Abstand das weiße Feld des Stromes mit dem grauen Himmel verschmelzen, das Plätschern seiner Wellen mischte sich mit dem Scheuern der gesprengten Eismassen, Del Bishop war weitergelaufen, um die Leute auf »Split-up-Island« zu wecken.

»Holen Sie den Phillips!« befahl Jacob Welse. »Er soll sich bereithalten, in spätestens einer Stunde brechen wir auf!« Dann wandte er sich an Frona: »Es wäre Zeit, daß St. Vincent über den Kanal kommt. Wir nehmen das Kanu vom Baron. Es ist das beste.«

Der Baron, barfüßig und vor Kälte zitternd, sagte: »Sie wollen mit meine Bott fahren? Warum mik nikt mitnemme? Man braukt dann keine Vincent!«

»Weil Sie nicht paddeln können!« antwortete Welse. »Zum Üben ist das heute kein Tag.«

»Jedenfalls hätten Sie Zeit, sich die Mokassins anzuziehen«, ergänzte Frona. »Sonst retten wir den Burschen da drüben vorm Verhungern, und inzwischen gehen Sie uns am Schnupfen ein.«

»Serr schade, daß mik nikt nemmen! Das bisken Rudern ik ätte schonn gelernt.« Damit sprang er auf eine große Eisscholle, die geräuschlos vorbeiglitt.

»Zum Teufel! Sind Sie wahnsinnig geworden?« rief Welse und streckte die Hand nach ihm aus, aber er war schon abgetrieben.

Die Bewegung im Eise wurde immer stärker, das scheuernde Geräusch immer lauter und drohender. Gewandt wie ein Zirkusreiter und kaltblütig wie ein Hurone ließ sich der Franzose am Ufer entlangwirbeln. Seine Eisscholle bockte und bäumte sich wie ein störrisches Pferd. Er trieb etwa dreißig Meter weit, dann kam er mit einem eleganten Sprung wieder ans Ufer. Lachend kehrte er zurück, aber sein Reiterstück trug ihm nur ein paar auserwählte Namen aus dem allermännlichsten Teil von Jacob Welses Wortschatz ein.