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»Das war nicht schlecht für ein kleines Mädel!«

Mit seinem Mund voll Schmutz und Erde küßte er Frona, dann spien sie beide lachend die Erde aus.

Courbertin kam um die Ecke.

»Das sein eine Bursche!« rief er begeistert. »Eine ganz rabiate Bursche! Hat sik bei die Fall seine Schädel eingeslagen, und sein Tabak ist weg. Jetzt er lamentieren nur um die Tabak!«

»Wir müssen warten, bis die anderen wiederkommen. Ich kann leider nicht mehr tragen helfen«, sagte Jacob Welse und wies auf seinen rechten Arm, der schlaff herunterhing. »Nur ein bißchen verstaucht. Nichts gebrochen. Aber für heute taugt er nichts mehr.«

*

Der Fluß schob seine Eisfülle ruhig weiter. Er war wieder im Fallen, aber an der Küste war eine drei Meter hohe Mauer von Eisschollen zurückgeblieben. Die großen Blöcke hatten sich zwischen gestürzten und noch aufrechten Bäumen, über die schlammbedeckten Wiesen hin, in das Land gewälzt, als wären sie der Auswurf eines titanischen Ungeheuers.

Die Sonne schien, daß die Eisberge dampften, sie flammten wie ein Berg von Diamanten, manchmal, hier und dort, kalbten sie, dann stürzten Türme und Minaretts, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten, mit Brausen in die Flut zurück.

An einer offenen Stelle lag Courbertins Kanu, dort hatten sich alle Bewohner des »Split-up-Island« mit Ausnahme der Chechaquos und der beiden Kranken versammelt. Man hatte endlich wieder Zeit, an die Rettung des Verunglückten zu denken.

»Zwei Mann sind mehr als genug«, erklärte der Schotte Phillips. »Wenn drei im Kanu sind, kann man den Mann nicht mehr laden!«

»Wir müssen drei Mann sein, das wissen Sie so gut wie ich«, erwiderte Corliss.

»Nein, zwei sind mehr als genug, sage ich!«

»Ich fürchte auch, daß wir es zu zweit schaffen müssen«, erklärte Del Bishop.

Der Schotte machte ein zufriedenes Gesicht. »Absolut richtig. Und ich hab’ keine Angst, daß ihr es nicht ausgezeichnet schaffen werdet, mein Junge!«

»Einer von den beiden werden Sie sein, Phillips«, fuhr Corliss ihn an.

»Denke nicht dran! Es sind genug andere da!«

»Das stimmt leider nicht. Courbertin hat keine Ahnung vom Paddeln. St. Vincent kann offenbar nicht über das dünne Eis kommen. Herr Welse kann nicht mit, weil er den Arm nicht gebrauchen kann. Also machen wir zwei es, Sie und ich!«

»So, und der Riesenbengel da, der Bishop? Der kann anders paddeln als ich.«

Aber Frona wußte es besser.

»Bishop ist ein tapferer Kerl!« erklärte sie. »Vielleicht hat er mehr Mut im kleinen Finger als Sie in Ihrem ganzen Leichnam. Ich bin mit ihm gereist. Aber ich weiß, daß er vom Rudern nichts versteht und vom Paddeln erst recht nichts, und auf dem Wasser ist er überhaupt nicht viel wert.«

Der Schotte wurde blaß: »Ich will nicht leugnen, daß ich leidlich paddeln kann, und aushalten tu ich schließlich auch, was ein anderer aushält. In Gottes Namen, dann wollen wir ein bißchen warten, bis der Fluß eisfrei ist.«

»Maul halten, du Feigling!«

Del war mit einer ledernen Zunge und einer Kehle aus Messing zur Welt gekommen. Als ihn jetzt die Wut packte, wurde der Schotte ängstlich und widersprach nicht mehr.

»Ich sehe offenes Wasser! Ich komme mit!« rief Frona. Im Augenblick riß Corliss sein dickes Flanellhemd herunter, um sich besser regen zu können. Frona warf Rock und Jacke ab und sah jetzt in ihren ledernen Reithosen wie ein junger, tüchtiger Bursche aus.

»Sie werden’s schaffen«, erklärte Del.

Jacob Welse trat besorgt an das Boot, um die Paddel zu untersuchen.

»Willst du wirklich.?«

Frona nickte.

»Ihr Mädel hat Mut!« fiel Phillips ihr ins Wort. »An mir sollte es auch nicht fehlen, aber ich hab’ ein Weib und drei Kinder zu Hause.«

Gleich darauf wurde das Boot von einer flachen Eisscholle aus zu Wasser gelassen.

»In den Bug mit dir, Phillips!« kommandierte Del Bishop. Der Schotte stöhnte, aber er hörte Del Bishops schweren Atem in seinem Genick und wußte seinem Schädel die eisernen Fäuste zu nahe. Er gehorchte.

Frona setzte sich in den Stern und ergriff ihr Ruder: »Steuern kann ich!«

»Sie? Frona.?« fragte Corliss, der jetzt erst bemerkte, daß sie mitkommen wollte. Er sah Jacob Welse zweifelnd an, aber der Alte verzog keine Miene.

»Los jetzt!« rief Del ungeduldig.

*

Der dunkle Strom, der jetzt mit reißender Schnelligkeit zwischen kristallenen Eismauern dahinschoß, bot ein erhabenes Bild. Im Hintergrund reckten sich grüne Wälder in den leichtbewölkten Sommerhimmel, und über allem lag die Sonne, deren Hauch heiß war, wie aus einem Schmelzofen. Bei diesem Anblick erinnerte sich Corliss an ein Bild im Wohnzimmer seiner Mutter. Er sah sie plötzlich in einer ihrer häufigen Teegesellschaften zwischen all den weißhaarigen Damen und Herren, hatte die bunten Teppiche vor Augen, die zierlichen Dienstmädchen, hörte die Kanarienvögel.

In seinem Rücken fühlte er eine Frau. die Frau, um die seine Gedanken kreisten. und nun zogen alle Frauen, denen er im Leben begegnet war, im Geiste an ihm vorüber. Sie schienen ihm blasse, schwach leuchtende Gespenster, alle, im Vergleich mit dieser zarten, schlanken Frona, die hinter ihm den Riemen führte, um das Boot durch Not und Tod zu steuern, einem Wildfremden zur Rettung.

An einer Eisscholle vorbei, die sich überstürzte, im Augenblick, als das Boot um einen Meter aus der Gefahr war, durch einen Kanal hindurch, so eng, daß man zu beiden Seiten die Eisstücke streifte, schoß das Kanu ins offene Wasser hinaus.

»Gut gemacht, Frona!« jubelte Corliss.

»Verrücktes Mädel!« knurrte der Schotte. »Hätten wir nicht noch ein bißchen warten können?«

Frona lachte leise und herausfordernd. Vance warf ihr über die Schulter einen Blick zu; über ihrem Gesicht lag ein frohlockendes Strahlen.

»Am liebsten möchte ich singen!« rief sie. »Aber ich darf die Puste nicht verschwenden.«

»So möchte ich immer mit Ihnen fahren«, unterbrach Vance.

Sie überhörte, was er sagte, und fuhr fort: »Vance, ich bin ja so froh, daß wir wieder Freunde sind.«

»Es ist nicht meine Schuld, daß wir nicht mehr sind als das.«

»Sie kommen aus dem Takt, mein Lieber!«

Die beiden Männer handhabten die Paddel, daß der Schweiß in Strömen floß. Durch Wirbel und Stromschnellen, an zackigen Eisblöcken hin, steuerte Frona mit nachtwandlerischer Sicherheit. Ihr Paddel stieß wie ein Schwert in die Flut, immer in der letzten Sekunde am Verderben vorbei, und haarscharf fand sie den Weg, wie nur der kaltblütigste Mann ihn gefunden hätte. Das Boot schoß wie ein Pfeil vorwärts und wollte sich an einem Eisberg vorbei drängen, der plötzlich kalbend mit Gedröhn in sich zusammenstürzte. Das Wasser schäumte in einem Riesenschwall hinter ihnen empor, sie entgingen den Blöcken, aber im Augenblick war ihr Kanu bis zum Rande gefüllt.

»Hab’ ich es euch nicht gesagt, ihr Dummköpfe!« schrie der Schotte.

Corliss kommandierte: »Sitzen Sie still und schöpfen Sie Wasser!« Dann drohte er warnend: »Sonst hatten Sie zum letztenmal im Leben mit Dummköpfen zu tun!«

Im Schatten überhängender Blöcke gelangte das Boot lautlos in den letzten Wirbel hinein. Jetzt näherte es sich dem Gestade, aber dort herrschte eine wütende Brandung.

»Zeigt, was ihr könnt!« war der letzte Befehl, den Corliss geben konnte, denn in dem Getöse, in das sie jetzt stürzen mußten, wäre eine Männerstimme nur wie das Zirpen einer Grille im Gebrüll eines Erdbebens gewesen. Auf und nieder, auf und nieder gingen die Paddel, das zerbrechliche Kanu zitterte und bebte unter der furchtbaren Anstrengung. Nach rechts und links wollte es der fauchenden Brandung entgleiten, aber Frona hielt es fest in der Hand. So kamen die letzten fünf Minuten, deren jede wie eine Ewigkeit war. jetzt waren es nur noch Meter, die Zoll um Zoll mit wütender Anstrengung bezwungen werden mußten. Dann waren sie am Ziel! In diesem Augenblick versagten die Nerven des Schotten. Wie eine Vision sah er das Verderben: sah die Nußschale in wirren Schaummassen untergehen, sich selbst mit im Winde flatterndem Haar und Händen, die ins Leere griffen, fühlte, wie die geifernde Flut ihn verschlang. Einen Augenblick lang, mit weitaufgerissenem Mund, starrte er vor sich hin, rührte das Paddel nicht - da waren sie schon wieder um viele Meter zurückgeworfen, trieben abermals in dem Wirbel, dem sie eben entronnen waren.