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Frona lag ins Boot zurückgeschleudert und schluchzte. Die Sonne brannte ihr prall ins Gesicht. Corliss lag in der Mitte des Schiffes, er stöhnte laut, und vorn saß der Schotte, nach Luft ringend, das Gesicht in den Händen begraben.

Die Betäubung dauerte nur Minuten, dann ermannte sich Corliss: »Wir müssen raus!«

Über ihm hing regenbogenfarbig eine Eismauer, ein Märchenschloß! Silbernes Geäder rieselte durch die Wände, in den klaren Tiefen schienen alle Geheimnisse von Leben und Tod zu schlafen.

»Vorwärts! Noch einmal! Los!«

Der Schotte hob den Kopf und sah sich um: »Geben wir lieber auf!«

»Los!« wiederholte Corliss.

Sie landeten an einem steilen Ufer, brachten mit letzter Kraft sich selbst und das Boot wieder aufs Trockene. Als sie endlich festen Boden unter den Füßen hatten, nach Todesängsten ohne Maß ihr Leben wieder gleichsam in Händen hielten, und auf die Hölle zurücksahen, durch die sie geschifft waren, sprach Frona:

»Ach, Vance!«

»Frona! Ja, Frona!«

»Hätte ich dumme Gans doch mehr gegessen heut morgen! Einen Wolfshunger hab’ ich.«

Sie ließen sich in der Sonne nieder, reckten die Glieder und schlugen ihre Zähne wie wilde Tiere in schwammig gewordenes Brot, in zähes Dörrfleisch; sie hätten sie in Lederriemen geschlagen, wäre kein Proviant dagewesen.

»Langsamer!« rief mit plötzlichem Schrecken Corliss. »Wir fressen ja dem Unglücklichen das Futter weg.«

Jetzt hatte die Wirklichkeit sie wieder. Sie sahen einander an und lachten selig. In dieser Stunde vergaßen sie schon, wieviel Verzweiflung hinter ihnen lag.

»Weiter«, sagte Frona und versuchte aufzustehen.

»Erst muß ich Sie verbinden, Frona.«

Corliss wies auf ihre Füße. Beim Klettern über den rissigen Hang hatte sie sich die Sohlen der Mokassins zerfetzt, das Eis hatte tiefe Risse in ihre Füße geschnitten. Die Sohlen und alle Zehen bluteten.

»Die zarten Füßchen«, spottete Phillips. »Man sollte nicht glauben, daß so ein süßes Mädel zwei starke Männer geradewegs in die Hölle jagen kann.«

»Vielleicht sind Sie schon auf dem Weg zur Hölle!« antwortete Corliss zornig.

»Jawohl, mein Junge! Mit vierzig Meilen Geschwindigkeit in der Stunde!« antwortete der Schotte, der um jeden Preis das letzte Wort haben wollte.

»Geben Sie mir eins Ihrer Hemden!« verlangte Corliss.

»Ich hab’ ja nur eins an. Es macht auch nichts, wir müssen weiter.«

»Keinen Schritt, ehe ich sie verbunden habe!«

Im Augenblick hatte Vance Corliss sein Hemd über den Kopf gezogen und fing an, es in breite Streifen zu zerreißen.

Frona lachte: »Was Sie für ein Kerl geworden sind! Wie Sie dastehen, mit zerzaustem Haar, eine Mordwaffe zur Seite und nackt bis zum Gürtel! Wie ein Seeräuber, ein Berserker, der in den Kampf zieht. Ich wollte, ich hätte meinen Photoapparat bei mir; dann könnte ich später sagen: So sah Vance Corliss, der große arktische Forscher, am Ende seiner berühmten Reise aus.«

Er kniete vor ihr nieder, um ihre Füße zu verbinden. Plötzlich fragte er: »Was ist aus Ihren Hosen geworden?«

Sie sah an sich herab, das Leder war zerfetzt. Aber immerhin war es noch eine Hose, und sie rief: »Schämen Sie sich!«

»Ich bedauere nur, daß ich keinen Apparat bei mir habe. Ich könnte sonst später sagen: Diese junge Dame hier, der der Wind durch die Hosen pfeift, ist.«

*

Zehn Minuten später erkletterten sie den Hang, auf dem immer noch das Notsignal flatterte. Dort lag, auf die Erde hingestreckt, ein regloser Mann.

»Tot. Wir kommen zu spät.«, flüsterte Frona mit Entsetzen.

Aber da bewegte sich der Kopf, und der Fremde stöhnte ganz leise. Seine derben Kleider waren zerfetzt, aus den zerschlissenen Mokassins sah zerschundenes Fleisch heraus. Eigentlich war er kein Mensch mehr, nur noch ein Gerippe. Seine Knochen schienen die gestraffte Haut zu sprengen.

Corliss legte die Hand auf seine Stirn. Da schlug er die glasigen Augen auf und versuchte zu sprechen.

»Das ist scheußlich«, murmelte Phillips und ließ seine Hand über den skelettierten Arm gleiten. Das Gerippe nahm ein wenig kondensierte Milch und heißen Tee auf. Dann schleppten sie zu dritt den elenden Rest eines Menschen über die Hänge hinab ins Boot. Eine Spur von Bewußtsein erwachte in dem Fremden. Er flüsterte heiser: »Jacob Welse. Wichtige Botschaft.«

Seine Finger tasteten kraftlos an dem offenen Hemd nach dem Lederriemen, an den eine Brieftasche angeschnallt war. Das Kanu kam gut vom Ufer ab. Sie brauchten jetzt nur noch der Strömung zu folgen und hatten nicht mehr viel Anstrengung nötig. Corliss’ nackter Rücken färbte sich schnell, die Sonne brannte ihn tiefrot, und Frona griff ins Wasser, spritzte ihm Kühlung über den Rücken:

»Heute abend werden Sie mit Cold Cream behandelt, wie ein neugeborenes Baby! Darauf freue ich mich!«

»Wir haben heute eine gute Tat getan«, bemerkte der Schotte. »Das ist Gott wohlgefällig, einem Bruder in der Not zu helfen.«

»Besonders, wenn’s einem schwerfällt«, antwortete Corliss.

Sie landeten - auch die Heimfahrt hatte noch schwere Kämpfe gekostet, und öfter als einmal waren sie nur durch Wunder dem Tod entgangen - auf einer der »Split-up-Islands«, nicht auf der, wo Welses Lager war. Jetzt lagen sie unter alten Bäumen. Die Sonne schien spärlich durch die grünen Kiefernnadeln zu ihnen herein, Rotkehlchen sangen, und ein Riesenvolk von Grillen zirpte den Frühling an. Dort schliefen sie tief, viele Stunden lang, bis die tödliche Erschöpfung überwunden war. Am liebsten hätten sie für Tage und Nächte die Augen nicht wieder aufgetan. Aber der gerettete Indianer mußte Pflege haben. Noch eine Anstrengung, dann war das Werk getan. Frona und Corliss drangen auf zitternden Beinen in das Innere der Insel ein. Sie stießen bald auf ein großes Blockhaus, aber kein Mensch war zu sehen.

»Gehen Sie zu unserem Patienten zurück, Vance! Ich bin noch lange nicht so müde wie Sie. Schließlich ist Steuern nicht dasselbe wie Rudern.«

Auf der anderen Seite der Hütte pochte Frona an die Tür. Als keine Antwort kam, öffnete sie und trat ein. Sie hatte nicht erwartet, einen Menschen anzutreffen, und nun war der ganze Raum voll von Männern, alle so völlig in Anspruch genommen, daß keiner auf sie achtete. Sie saßen in zwei Reihen auf langen Schlafpritschen, dazwischen war ein schmaler Gang, an dessen Ende ein breiter Tisch stand. Auf diesen Tisch schien sich alle Aufmerksamkeit zu konzentrieren.

Frona kam aus dem blendenden Sonnenlicht und tastete anfangs wie durch Nacht, so daß sie das ganze Bild nur wie Schatten aufnahm und beinahe für einen Spuk hielt. Dann aber, als sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, erkannte sie, daß an dem Tisch ein bärtiger Amerikaner saß, der von Zeit zu Zeit mit einem leichten Hammer auf das Holz schlug. Ihm gegenüber kauerte auf einer Bank Gregory St. Vincent. Er sah erschöpft und so verzweifelt aus, als hätte er viele Stunden lang geweint. Sein hübsches Gesicht war vor Angst ganz verstört.

Der Mann mit dem Hammer hob die rechte Hand und sprach vor: »Schwören Sie, daß alles, was Sie hier vor Gericht erklären werden.« Er hielt plötzlich an und sah zornig auf einen Mann, der an der anderen Seite des Tisches stand.

»Nehmen Sie den Hut ab!« sagte er heiser und drohend.

Als der Mann gehorchte, lief ein breites Lachen durch die versammelte Menge. Dann begann der mit dem Hammer zum zweitenmaclass="underline" »Schwören Sie, daß alles, was Sie hier vor Gericht erklären werden, die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit ist! So wahr Ihnen Gott helfen möge!«