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Der Zeuge, der wie ein Schwede aussah, hob den Arm, um den Eid nachzusprechen.

»Halt! Einen Augenblick, meine Herren!« rief Frona und drängte durch den schmalen Gang nach vorn. St. Vincent hörte den Klang ihrer hellen Stimme, sprang auf und streckte ihr die bebenden Arme entgegen.

»Frona!« rief er, und in seinem Ton lag etwas wie Glück. »Frona! Du mußt mir glauben, daß ich unschuldig bin!«

Einen Augenblick war alles, was Frona in dem schwachen Licht wahrnahm, eine Masse weißer Gesichter mit vielen brennenden Augen, die wie eine gespenstische Drohung St. Vincent umgaben.

Unschuldig? Welcher Tat sollte er schuldig sein? Was wollten diese Menschen von ihm? Weswegen hatten sie ihn angeklagt? Gestern abend noch hatte er harmlos und hilfsbereit in ihrem Kreise gesessen, war nur auf eine kurze Rast, und um sich für die Rettungsexpedition zu rüsten, nach Hause gegangen. was konnte er während dieser wenigen Stunden verbrochen haben?

»Eine Freundin des Angeklagten«, sagte der Richter mit dem Hammer. »Will einer von euch einen Stuhl für sie holen?«

»Einen Augenblick.«

Sie schwankte auf den Tisch zu und legte die Hand darauf. »Ich habe einen Antrag zu stellen.«

Ihr Blick glitt an der eigenen Gestalt nieder, sie sah, daß ihre Füße in schmutzige Lumpen gewickelt waren, daß sie eine zerfetzte Hose trug, daß ihr Arm aus einem Riß im Ärmel hervorsah und daß das Haar ihr um die Ohren wehte. Ihre Wangen und die eine Seite ihres Halses waren von einem merkwürdig klebrigen Stoff überzogen. Sie kratzte mit der Hand daran, Brocken getrockneten Schlammes fielen zu Boden.

»Was geht hier vor.? Ich verstehe das alles nicht«, stotterte sie.

»Setzen Sie sich jetzt, Fräulein!« sagte der Vorsitzende freundlich. »Wir sind alle in derselben Lage wie Sie. Wir verstehen es auch nicht. Aber Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage: Wir sind hier, um die Wahrheit zu finden. Und die werden wir finden. Setzen Sie sich!«

Sie hob die Hand: »Einen Augenblick.«

»Setzen Sie sich!« sagte der Mann mit dem Hammer streng. »Das Gericht darf nicht gestört werden.«

Mißbilligende Worte, ein drohendes Gemurmel kamen aus der Versammlung, der Mann schlug mit dem Hammer auf den Tisch, um Schweigen zu gebieten. Aber Frona blieb stehen.

»Herr Vorsitzender, wenn das hier ein Gericht ist.«

Der Mann nickte.

».dann habe ich ebensoviel Recht, gehört zu werden, wie jeder andere. Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen.«

»Aber Sie dürfen nicht unterbrechen, Fräulein - Fräulein. «

».Welse!« ergänzte ein Chorus tiefer, gedämpfter Stimmen.

»Fräulein Welse!« fuhr der Richter fort. Seine Haltung wurde sogleich ehrerbietiger. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht dulden, daß Sie das Verhör unterbrechen. Nehmen Sie Platz.«

»Ich appelliere an die Versammlung! Die Verhandlung muß unterbrochen werden! Zehn Schritte von hier, gleich hinter dieser Hütte, liegt ein Mann, der am Verschmachten ist. Wir haben ihn vom anderen Ufer des Yukon herübergeholt. Der Mann braucht Hilfe, sofort, ohne jeden Verzug.«

»Vier Mann sofort hinaus! Die der Tür am nächsten sitzen«, befahl der Richter. »Und Sie gehen mit, Doktor! Ich danke Ihnen, Fräulein Welse. Sie hatten recht.« »Ich bitte. Verhandlung. unterbrechen«, flüsterte St. Vincent.

»Darum bitte ich auch, Herr Vorsitzender«, schloß Frona sich an. »Vertagen Sie das Verhör, bis für den Mann draußen gesorgt ist.«

»Weiterverhandeln! Keine Unterbrechung!« kam es aus dem Auditorium.

Frona verbeugte sich vor dem Richtertisch und nahm auf dem Stuhl neben Gregory Platz.

»Was geht hier vor? Was will man von dir?«

Er nahm ihre Hand und preßte sie mit schweißnassen Fingern.

»Glaub ihnen nicht, Frona! Sie wollen. sie wollen mich.«, er würgte, als säße die Faust des Todes schon an seiner Kehle, »sie wollen mich umbringen.«

Frona zog ihren Stuhl ganz nahe an den seinen heran und legte beide Hände auf seinen schlotternden Arm.

»Du mußt ganz ruhig sein, Vincent! Ganz ruhig. Es gibt solche Stunden, in denen darf ein Mann seine Nerven nicht verlieren, und dann ist auf einmal alles ganz anders, und alle Gefahr ist vorbei. Du kannst nichts Böses getan haben. Nichts, was gegen die anderen ist. Denn das sind ja alles unsere Kameraden, und du bist ein guter Kamerad. Und jetzt bin ich bei dir, und ich gehe mit dir durch Himmel und Hölle. Und jetzt, mein lieber Vincent, erzählst du mir alles.«

Er hatte sich, während sie zu ihm sprach, die Hand über die Augen gedeckt. Zwischen seinen Fingern rollten dicke Tränen herunter.

»Gestern abend«, begann er. Aber dann unterbrach er sich und horchte in verzweifelter Spannung auf die Aussage des Skandinaviers, der vor einem Augenblick seinen Eid abgelegt hatte und jetzt langsam auszusagen begann.

»Ich liege in meiner Hütte«, erzählte der Mann. »Ich schlafe und träume was, und auf einmal wache ich auf und weiß nicht, wovon, und dann bin ich gleich ganz wach. Das ist so bei mir, ich schlafe ganz fest, aber dann bin ich mit einemmal bei allem dabei, sozusagen mit einem Sprung. Da ist doch was los, sage ich mir, und ‘raus aus der Koje und an die Tür. Und richtig, da höre ich doch einen Schuß.«

Ein Mann mit rotem Gesicht unterbrach ihn.

»Wer, glauben Sie, hat da geschossen?«

»Was wollen Sie wissen?« fragte der Zeuge verständnislos. »Wer da geschossen hat, wollen Sie wissen?«

Der Richter nahm das Wort: »Was war Ihr erster Gedanke, als Sie in die Tür traten?«

»Ja, das war so mit meinem ersten Gedanken«, seufzte der Mann. »Ich hab’ doch nämlich keine Mokassins. Und wie ich so in Strümpfen hinaustrete, gerade aus der warmen Koje hinaus in die kalte Luft, da war mein erster Gedanke natürlich: Pfui Teufel, das ist ja eine Hundekälte!«

Dann wurde sein gespanntes Gesicht plötzlich sehr zufrieden, die reinste Sonne lag über seinem Mund, als er fortfuhr: »Na, jetzt hab’ ich aber wieder Mokassins, und nun ist das ja alles nicht mehr so schlimm.«

Ein großes Gelächter beendete seine Erklärung, aber er ließ sich nicht stören, sondern fuhr gelassen fort:

»Dann höre ich noch einen Schuß, und da bin ich dann gelaufen, immer den Weg hinunter, da, wo der Schuß hergekommen ist.«

In diesem Augenblick drängte Corliss sich durch die Menge bis zu Frona durch, und sie hörte nicht, was der Schwede weiter aussagte.

»Was gibt es?« fragte Corliss hastig. »Kann ich Ihnen helfen? Ich bin nur dazu auf der Welt, um Ihnen zu helfen, wenn Sie in Not sind!«

Sie ergriff seine Hand und drückte sie dankbar.

»Sofort, Corliss! Sofort, machen Sie sich auf den Weg, irgendwie müssen Sie über den Kanal kommen und zu meinem Vater! Versäumen Sie keine Minute! Bringen Sie ihn her! Sagen Sie ihm, man hat Gregory St. Vincent angeklagt, wegen.«

Plötzlich fiel ihr ein, daß sie noch immer nicht wußte, worum es ging.

»Weswegen bist du hier, Gregory? Weswegen bist du angeklagt?«

Ganz langsam kam zwischen seinen todblassen Lippen das entsetzliche Wort heraus, so langsam, als bedeutete es schon Verurteilung, wenn er es aussprach: »Mord.«

»Mord.?« fragte Corliss.

»Sagen Sie meinem Vater, daß er wegen Mordes angeklagt ist. Aber es muß alles ein Irrtum sein, und ich bin hier, und ich verteidige ihn. Aber ich weiß ja nicht, was es hier für Gesetze gibt, bei so einem Goldgräber-Gerichtshof, und ich bin ja auch so schwach gegen all diese Männer. Sie wollen gerecht sein, das weiß ich, aber mein Vater muß dabeisein, seine Klugheit, seine Ruhe, damit wirklich Recht gesprochen wird. Und sagen Sie ihm«, dabei fiel ihr Blick wieder auf die zerfetzte Hose, in der sie vor diesem hohen Gerichtshof erschienen war, »er soll mir etwas zum Anziehen mitbringen! Und seien Sie nicht zu tapfer, wenn Sie über den Kanal setzen! Es ist furchtbar wichtig, Vance, aber Sie müssen Ihr Leben schonen, Sie dürfen nicht leichtsinnig sein! Aber versuchen müssen Sie es! Es wäre schrecklich, wenn mein Vater nicht käme.«