»Verlassen Sie sich auf mich!«
Corliss warf zuversichtlich den Kopf zurück und drängte sich durch die Menge.
»Wer ist dein Verteidiger?« fragte Frona.
Gregory schüttelte den Kopf.
»Du hast keinen?«
»Sie wollen mir einen geben. Einen früheren Rechtsanwalt aus den Staaten, Bill Brown heißt er, aber den habe ich abgelehnt. Ich weiß zuviel von ihm. Und vielleicht weiß er auch viel von mir, was ihn nichts angeht. Jetzt macht er den Staatsanwalt. Ich hätte ihn doch nicht ablehnen sollen. Es ist ein Lynchgericht, weißt du, und sie sind alle parteiisch. Auf mich haben sie es abgesehen, ich bin verloren.«
»Wenn ich nur Zeit hätte, wenn du mir nur einmal alles erzählen könntest.«
»Frona, ich bin doch unschuldig, ich habe doch nichts getan, ich hab’ doch kein Blut vergossen.«
»Nimm dich zusammen! Ich beschwöre dich! Nimm dich zusammen!«
Sie legte die Hand wieder auf seinen Arm und preßte die Hand in seine Finger.
»Gregory, du hast verloren bei all diesen Männern, wenn du kein Mann bist. Du weißt ja gar nicht, wie sie das hassen, wenn ein Mann in der Gefahr weint. Sie glauben ja alle, das sei schlechtes Gewissen. Oder sie glauben noch viel Schlimmeres
- um Gottes willen, Vincent, wein’ doch nicht! Sie glauben ja dann, daß du ein Feigling bist. Diese Leute wissen ja nichts von Nerven! Sie wissen ja nicht, daß du nur weinst, weil du empfindlichere Nerven hast als sie.«
Inzwischen war der Zeuge in seiner Aussage schon sehr weit gekommen.
»Der fremde Doktor schlägt also mit Händen und Füßen um sich«, erzählte er. »Aber nun gehen wir ‘ran, ich und der Pierre, und packen ihn und ziehen ihn in die Hütte herein. Er schreit und schreit, wie ein angestochenes Schwein, und steht da und schreit.«
»Wer hat geschrien?« unterbrach ihn der Mann, der als Ankläger fungierte.
»Na, er natürlich! Der da.« Der Zeuge wies auf St. Vincent. »Und nun heißt’s also Licht machen. Das ist jetzt zum Beispiel gar nicht so einfach, denn erstens war die Lampe umgeworfen, und dann weiß ich ja auch gar nicht so Bescheid in dem Haus. Jetzt zeigt sich’s aber, wie gut das ist, wenn ein Mann immer eine Kerze in der Tasche hat. Und Streichhölzer natürlich auch. Ja, das kann manchmal sehr nützlich sein. Und dann hab’ ich Licht gemacht. Da liegt also mein Borg auf dem Fußboden, so tot, wie ein Mann nur sein kann, in seinem Alter und bei seiner Gesundheit. Und die Squaw, nämlich was dem Borg seine Frau war, die sagt, daß er es getan hat, und dann legt sie sich hin und stirbt auch.«
»Daß er es getan hat, hat sie gesagt? Wer? Wen hat sie genannt?«
»Na, er natürlich. Er, der fremde Doktor da.« Dabei wies er mit dem dicken, schmutzigen Finger auf St. Vincents Gesicht. »Wer soll’s denn auch sonst gewesen sein?«
»Hat sie das wirklich gesagt?« flüsterte Frona ihrem Geliebten zu.
»Ja«, keuchte er zurück. »Gesagt hat sie das. Sie muß verrückt gewesen sein. Der Wahnsinn über all das, was da geschehen war. Ich verstehe es nicht.«
Der zweite Zeuge, ein kleiner Mann mit rotem Gesicht, der schon vorher in die Verhandlung eingegriffen hatte, unterwarf den ersten Zeugen einem eingehenden Kreuzverhör. Es kam aber kein Widerspruch zutage, sosehr Frona auf jedes Wort lauerte.
»Wenn Sie jetzt Fragen an den Zeugen stellen wollen, bitte.«, sagte der Vorsitzende zu Gregory. Gregory schüttelte völlig entmutigt den Kopf.
»Frag doch! Wehr dich!« drängte Frona.
»Wozu? Ich bin im voraus für schuldig erkannt. Mein Urteil war schon gefällt, als all das angefangen hat.« »Einen Augenblick, bitte!« rief Frona mit heller fester Stimme. »Erlauben Sie, Herr Vorsitzender, erlaubt die Versammlung unserer ehrenwerten Kameraden, daß ich diesen Mann hier verteidige? Ich bin ein Mädchen, aber er hat keinen anderen Freund hier, und es gibt, glaube ich, kein Gesetz, das es verbietet.«
Es trat plötzlich eine Stille ein. Der Vorsitzende wartete auf irgendein Wort des Widerspruchs, aber da alles mit angehaltenem Atem dasaß und auf das tapfere Mädchen im Goldgräberanzug blickte, faßte er seinen Beschluß.
»Bitte, übernehmen Sie die Verteidigung, Fräulein Welse. Die Versammlung sowohl wie ich begrüßen es, daß der Angeklagte nicht mehr ohne Verteidiger ist.«
»Dann bleiben Sie noch einen Augenblick, Herr Zeuge! Wissen Sie nichts außer den letzten Worten der Indianerfrau, das zur Überführung des Mörders dienen könnte?«
Der Schwede stierte vor sich hin, als hoffte er, ihre Frage würde langsam in sein Begriffsvermögen eindringen. Er hatte sich seine ganze Aussage wohl zurechtgelegt, Schritt für Schritt und Punkt für Punkt. Aber auf Zwischenfragen, die eigenes Denken erforderten, war er nicht eingerichtet.
»Sie haben nicht mit eigenen Augen gesehen, wer es tat?« fragte sie wieder.
»Aber natürlich. Der fremde Doktor da.« Wieder hob er den anklagenden Finger. »Wenn sie doch gesagt hat, daß er es getan hat.«
Bei dieser Erklärung glitt ein Lächeln über alle Gesichter, und Frona spürte, daß sie jetzt schon Boden gewann. Immerhin war der anklagende Zeuge als ein ziemlich dummes und deshalb wenig brauchbares Instrument der Gerechtigkeit entlarvt.
»Gesehen haben Sie also nichts?«
»Schießen hab’ ich gehört.«
»Aber nicht gesehen, wer schoß?«
»Wenn ich Ihnen darauf jetzt antworten sollte, Fräulein, dann wüßte ich eigentlich nicht, was ich antworten soll. Wenn die Squaw nun einmal gesagt hat, was sie gesagt hat, dann ist doch für jeden die Sache klar?!«
»Ich danke Ihnen, das genügt«, sagte Frona freundlich, und der Mann zog sich zurück.
Der Vorsitzende sah in seine Aufzeichnungen: »Pierre La Flitche!« rief er.
Ein dunkelhäutiger Mann, schlank und geschmeidig, trat mit sicheren Schritten auf das Podium neben dem Tisch, das als Zeugenstand diente. Es war ein schöner Bursche, dessen schneller, beredter Blick furchtlos von einem Gesicht zum anderen wanderte. Einen Augenblick sah er in freimütiger Bewunderung Frona an. Er lächelte, und sie nickte leise, denn er gefiel ihr, und es kam ihr vor, als sei er ein alter Freund. Auf die ersten Fragen des Vorsitzenden erklärte Pierre La Flitche, er sei nach seinem Vater genannt, der von den alten Waldläufern Frankreichs stammte. Seine Mutter sei eine Mestizin, von einem weißen Vater und einer eingeborenen Mutter. Wo er geboren sei, wisse man nicht, irgendwo bei einer Jagd. Hier in Alaska sei er seit vielen Jahren, seit er denken könne.
»Erzählen Sie so kurz wie möglich, was Sie von der Mordsache wissen.«
Er bedachte sich einen Augenblick. der Anfang war schwer zu finden.
»Im Frühling schläft sich’s gut bei offener Tür«, sagte er. Seine Stimme war klar, es lag darin etwas von dem Vogellaut der indianischen Sprache, die ein Teil seiner Vorfahren gesprochen hatte. »So habe ich auch gestern bei offener Tür geschlafen. Ich bin mein Leben lang auf der Jagd gewesen, ich schlafe nicht sehr fest. Ich höre, wenn ein Blatt zu Boden fällt, ich höre, wenn ein Wind sich erhebt. Ich schlafe, aber meine Ohren flüstern mir zu, was draußen geschieht. Die ganze Nacht über flüstern meine Ohren. Da braucht nur der erste Schuß zu fallen, und schon bin ich draußen vor der Tür.«
St. Vincent flüsterte Frona zu: »Es war nicht der erste.«
Sie nickte, ohne den Blick von La Flitche abzuwenden, der seine Aussage höflich unterbrochen hatte.
»Ein Schuß, dann still. dann noch zwei Schüsse schnell nacheinander«, fuhr er fort. »So: bum.bum. >Borgs Hüttec, sage ich mir und laufe den Weg hinab. Borg macht Bella tot, habe ich gedacht und war sehr traurig. Bella ist ein schönes Mädchen gewesen«, vertraute er den Zuhörern mit traurigem Lächeln an, »ich habe Bella gern gehabt. Vielleicht kann ich helfen, habe ich zu mir gesagt, und bin so rasch gelaufen, wie man kann. Da kommt auch John aus seiner Hütte heraus, ein bißchen besoffen, meine Herren Richter, und mit viel Lärm. >Was gibt es?< sagt er, und ich sage: >Das werden wir gleich sehen.< Und da kommt etwas - hurr - aus dem Dunkel heraus, so >hurr< - und wirft John um und wirft mich beinahe auch um. Ich greife danach, und John, der auf dem Boden liegt, greift nach seinen Beinen, und dieser Mann da war es. Er ruft >Oh! Oh! Oh!<, genau so. Er ist nur halb angezogen - wir halten ihn fest, und dann kommt John auf die Beine, und dann sage ich: >Komm mit zurück!««