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Frona hatte unerhört plädiert, mit Wucht und Feuer, aber der Beifall, der sich nun erhob, war so rasend, daß sie selbst spürte: Er galt der tapferen Frau, der hübschen Frau, nicht ihren Argumenten. Zornig wandte sie sich noch einmal an die Versammlung:

»Ich habe nicht um Ihren Beifall gebuhlt, meine Herren. Klatschen Sie nicht in die Hände, als ob ich eine Schauspielerin wäre, sondern gehen Sie in sich und bereuen Sie, daß Sie einem Menschen, der nichts verbrochen hat, die qualvollsten Stunden bereitet haben!«

Bill Brown gab seine Sache nicht verloren. Das Pathos, das manchmal aus seinen Worten gesprochen hatte, ließ er zunächst freilich fallen, sein Plädoyer begann mit spitzfindiger Bosheit und überlegenem Hohn.

»Fremde Männer, die keine Spur zurückgelassen haben, von deren Kommen und Gehen niemand etwas gehört hat, sind in Borgs Hütte eingedrungen, Angeklagter? Ihr Hausherr und seine Frau sind in Ihrer Gegenwart ermordet worden, in langem Kampf, wie die Verteidigung bewiesen hat, und an Ihrem Körper ist keine Schramme zu sehen? Von der armen Indianerin hat man erwartet, daß sie eingriff, daß sie mindestens die Tür aufriß und mit gellendem Geschrei Hilfe herbeiholte?

Aber Sie!

Ein Mann, der sich so vieler Heldentaten rühmt, Sie haben nicht gekämpft, Sie haben nicht einmal gewagt, um Hilfe zu rufen? Es mag vieles dunkel sein, was in dieser dunklen Hütte in der verhängnisvollen Nacht geschehen ist, aber Ihr Verhalten ist nicht dunkel! Ob Sie gemordet oder stillschweigend zugesehen haben, wie gemordet wurde, das geht uns wirklich nichts an! Auf jeden Fall liegt Ihre Schuld klar zutage, Sie haben mindestens das scheußlichste Verbrechen begangen, das man in diesem Lande kennt: das Verbrechen nichtswürdiger Feigheit! Und deshalb hat die sterbende Bella ihren letzten Atem verströmt, um Sie anzuklagen. >Mörder! Mörder !< hat sie Ihnen zugerufen, und die zitternde Stimme dieser Frau soll jetzt in unserem Mund noch einmal tönen, mit solcher Wucht und mit solcher Kraft, daß sie Ihnen bis zur letzten Minute Ihres Lebens in den Ohren dröhnt: >Mörder! Dreimal feiger Mordbube!<«

St. Vincent fiel in sich zusammen und lag in seinem Stuhl wie ein Haufen leerer Kleider.

»Ich. bin unschuldig. ich. habe es nicht getan.«

»Abstimmen, meine Herren!« rief der Vorsitzende und rührte den Hammer. »Offene Abstimmung - wir sind Männer, von denen jeder seinen Spruch vertritt. Ich frage Sie: Ist der Angeklagte Dr. Gregory St. Vincent, den Sie hier vor sich sehen, schuldig, den Mord an dem Goldgräber, unserem Kameraden John Borg, durch eigene Handlung oder stillschweigendes Gewährenlassen verschuldet zu haben oder nicht? Wer ihn für schuldig hält, der hebe.«

»Hände hoch!« dröhnte in diesem Augenblick Jacob Welses Stimme aus einer Ecke des Saales, und von dem anderen Ende des Saales hörte man Baron Courbertins helles, scharfes Organ:

»‘ände ‘ock! Oder ick ssiessen!«

Jeder der beiden Männer hielt zwei sechsschüssige Revolver auf die Geschworenen gerichtet, Feuerschlünde starrten den Männern entgegen, und es gab keinen, der nicht wußte, daß mindestens Jacob Welse Ernst machen würde. Alle Hände flogen zugleich in die Höhe, nichts rührte sich. Der Vorsitzende hatte nicht einmal Zeit gefunden, den Hammer beiseite zu legen. Er hielt ihn in der hochgestreckten Hand. In diesem Saal wurde nicht mehr gesprochen, in diesem Saal galt nur noch die Gewalt. Aber es war die Gewalt, wie Jacob Welse sie verstand, im Dienste des Rechtes und des Friedens.

»Jetzt los! Am Südkanal liegt das Boot! Rasch! ! Fort! Du bist gerettet!« keuchte Frona. »Hier ist Geld. Das nimm mit auf den Weg! Und fort! Fort! Laß dich nie wieder hier sehen!«

Sie drückte St. Vincent einen geladenen Revolver in die Hand. »Du bist frei! Worauf wartest du? Fort! Fort!«

Er ächzte: »Das ist - Wahnsinn.« Wie ein Gelähmter hing er auf seinem Stuhl. Sie preßte ihm die Waffe in die Hand, aber seine Finger gaben nach, mit schwerem Poltern fiel der Revolver vor ihm auf den Boden. Sie zog und zerrte an ihm, wie man einen Mann aus schwerem Schlaf erweckt, aber in sein leichenblasses Gesicht kam keine Bewegung; er rührte sich nicht. In dem ganzen Saal war kein Laut als das schwere Atmen der vielen Männer. Plötzlich war La Flitche an den Stuhl des Angeklagten getreten und hatte seinen Fuß auf den Revolver gesetzt. Frona bückte sich hastig, sie stieß gegen den Mann und wollte sich des Revolvers wieder bemächtigen. La Flitche stand mit erhobenen Händen und sah scheinbar teilnahmslos Jacob Welse an. Aber sein Fuß regte sich nicht. Es entstand zwischen diesem eisenharten, unbeweglichen Männerbein und Fronas wütenden Händen eine Art stillen Ringens, und Jacob Welse, der nicht begriff, warum Gregory noch immer dort saß, verlor auf eine Sekunde die Aufmerksamkeit. Einen Blick wandte er von der Menge ab, die er schon minutenlang wie ein Tierbändiger im Zaum hielt, nur einen Atemzug lang war sein Revolver nicht mehr im Anschlag, und dieser Augenblick entschied alles. Aus hochgehobener Hand sauste der Hammer des Vorsitzenden gegen Welses Schädel, mit sicherstem Schwung geworfen. Der alte Welse reckte sich, Frona stieß einen gellenden Schrei aus, Jacob Welse brach zusammen und lag jetzt zu Füßen der Masse, die er gezähmt hatte. Im Fall ging sein Revolver los, der Schwede John stieß ein Gebrüll aus: »Mein Bein! Mein Knie!«, und in diesem Augenblick versagten auch Courbertins Nerven. Im Handumdrehen war er übermannt. Es waren Del Bishops Tatzen, die ihn gepackt hatten, und aus denen gab es kein Entrinnen. La Flitche griff nach Frona, sein Griff war nicht hart, aber unwiderstehlich. Er nahm sie in seine Indianerarme wie ein Liebender, in diese geschmeidigen, sehnigen Arme, und damit war ihr letzter Mut gebrochen.

Der Vorsitzende donnerte mit der Faust auf den Tisch und beendete den unterbrochenen Satz: »Wer ihn für schuldig hält, der hebe die rechte Hand!« Gleich darauf verkündete er: »Schuldig mit allen Stimmen!«

*

Am nächsten Morgen sollte das Urteil vollstreckt werden. In dieser Nacht war das letzte Eis getaut. Jetzt lag die Fläche des Yukon sonnenüberspült da, wie die ebene Fläche eines großen, friedlichen Sees, die kleinen Kanälchen zwischen den »Split-up-Islands« blinkten grün und plätscherten mit ihren Wellen gegen die von Blumen übersäten Gestade. Nahe dem Strand war ein Baum zum Galgen hergerichtet; an einem zwei Meter hohen Ast baumelte die Schlinge, und darunter stand ein leeres Faß. Mehr war nicht nötig, um einen Mann, der sich gegen die Landesgesetze der Kameradschaft vergangen hatte, vom Leben zum Tode zu befördern.

Ein Goldgräber, der vor langen Jahren als Indianermissionar ins Land gekommen war und nebenamtlich als Seelsorger diente, wenn eine Hochzeit oder eine Taufe zu vollziehen war, hatte die Nacht mit St. Vincent verbracht. Frona hatte nur die eine Hoffnung, Gregory würde tapferer sterben, als er gelebt hatte. Dann wollte sie verzeihen, daß er sie so tief enttäuscht hatte, wie ein Geliebter das Herz einer Liebenden nur enttäuschen kann. Dann, glaubte sie, würden die Male seiner Küsse nicht mehr wie Schandmale auf ihren Lippen brennen, und sie würde sich einst nicht schämen, wenn man sie nach der einen, großen, brennenden Liebe ihrer Jugend fragte.

Vincent enttäuschte sie auch diesmal.

Wie er die Nacht verbracht hatte, danach zu fragen, wagte sie nicht. Aber was da auf der Richtstätte erschien, nicht am Arm des Missionars schreitend, sondern von vier handfesten Männern gezerrt und geschleppt, war nicht der Mann, dem sie vor wenigen Tagen noch durch Himmel und Hölle gefolgt wäre. Es war ein schlotterndes, knochenloses Etwas, wimmernd und willenlos.

Um den Galgen hatte sich in weitem Kreise die ganze Goldgräbergemeinschaft versammelt, alle vierzig Männer, die gestern als Geschworene amtiert hatten, der Richter, der Ankläger, Jacob Welse, dessen verbundenes Haupt tiefer als tags zuvor ergraut schien.