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Noa und Ethan wechselten Blicke. Rudi sagte:»Ich danke dir, Felix. «Er überging das Schweigen der anderen.»Reden wir nicht mehr darüber. Ich bitte euch. Meine frühere Fassung tut mir leid. «Er lächelte in die Runde:»Ich habe einen Plan. «Er habe über alles nachgedacht. Er bitte Felix, ihn, den Sohn, als Organspender zu akzeptieren. Es wäre wichtig für ihn.

Dina schaute erschrocken zu Felix, dessen Lächeln zerronnen war. Er sprach ausdrücklich freundlich und langsam.»Ich danke dir, aber das kommt überhaupt nicht in Frage!«

«Warum denn nicht?«fragte Rudi.

«Allein die Idee ist pervers. Soll der Sohn sich etwa für den Vater opfern?«Er griff sich ans Kreuz, als meldeten sich die Schmerzen wieder.

«Warum denn nicht? Was heißt hier überhaupt Opfer? Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Laß mich das tun. Wieso lehnst du mich ab?«

«Du hast das Leben vor dir, Rudi. Du brauchst deine Nieren noch. Ich kann dich doch nicht ausweiden.«

Dina war flatterig geworden. Felix sagte, er verbiete, als Vater, jede weitere Diskussion darüber. Das sei ihm fremd. Es war dieses Wort, das Rudi aufbrachte. Fremd.

«Bin ich dir also fremd?«

«Nicht du!«

«Soso!«

Ethan meinte:»Hör zu. Ich habe eine bessere Idee. «Rudi schrie:»Du bist natürlich auch dagegen.«

«Wieso natürlich?«

«Weil du es bisher nicht vorgeschlagen hast. Deshalb willst du auch nicht, daß ich es mache.«

Ethan schüttelte den Kopf.»Du bist ja nicht normal. «Er atmete durch.»Ich glaube, es gibt einen einfacheren Weg. Ich traf vor kurzem den berühmten Rabbi Jeschajahu Berkowitsch. Ihr habt von ihm sicher schon gelesen. Kurz und gut: Er ist mir einen Gefallen schuldig. Wenn Rabbi Berkowitsch will, findet er einen Menschen im Alter von Felix oder älter, der ein passendes Organ für Abba spenden könnte. Glaubt mir.«

«Und warum soll er ausgerechnet uns helfen?«fragte Rudi.

«Weil er von mir überzeugt ist. «Er würde ihm bei Gelegenheit alles genauer erzählen.

Später saßen sie zu zweit im ehemaligen Kinderzimmer, und Ethan berichtete von Rabbi Berkowitsch und seinem Plan, den Messias zu erschaffen. Rudi sagte:»Das klingt doch vollkommen verrückt.«

«Zweifellos, aber wenn wir so zu einer Niere kommen!«

«Und wenn nicht?«

«Dann können wir immer noch sehen, ob nicht einer von uns einspringt und sich für eine Transplantation zur Verfügung stellt. Aber vielleicht weiß Berkowitsch einen Ausweg. Klar, es klingt verrückt. Aber was ist noch normal? Der Wahnsinn ist bei uns doch längst schon die Regel.«

Und auf dieses Argument wußte auch Rudi nichts zu erwidern.

7

Blödsinn, sagte die Medizinerin. Sie sei keineswegs von der Idee des Rabbiners Berkowitsch überzeugt. Sie sei überhaupt nicht religiös. Sie mache ihre Arbeit, egal ob der Messias durch ihre Hilfe auf die Welt komme oder, was sie eher erwarte, ein anderer Schreihals. Im übrigen sei es nach heutigem Stand der Forschung gar nicht möglich, den Klon eines ermordeten Embryos zu generieren. Eine solche Nachgeburt der Shoah entstehen zu lassen sei ja an sich eine unappetitliche Vorstellung.»Aber bitte! Ich erfülle meine Pflicht.«

Die Ärztin — blitzblaue Augen, aschschwarzes Haar, von eisgrauen Fäden durchzogen, karamelbrauner Teint — sah die beiden Männer an. Ein kaltes Lächeln. Während sie sprach, unterstrich sie ihre Worte mit ausladenden Gesten. Sie erinnerte Rudi an eine Polizistin, die den Verkehr regelte. Sie war die Leiterin der Abteilung für Genetik. Rudi hatte sich gewundert, wie ruhig und leer die Gänge hier waren. Im Warteraum bloß drei andere. Eine Frau, olivgrüner Hosenanzug, still im Eck. Ein Jugendlicher in Jeans, ein Muskelpaket, ein ständiges Wippen in den Beinen. Ein Mann mit Sakko und Krawatte. Keine offensichtlich Kranken, wie er sie im Aufzug gesehen hatte.

Die Medizinerin verzog den Mund.»Durch die künstliche Kreuzung von Nachfahren ein Individuum wieder entstehen zu lassen ist abstrus. Und alles, was wir haben, sind die verschwurbelten Berechnungen und Theorien von Rav Berkowitsch, der einen Gesalbten Gottes hervorzaubern will.«

«Warum machen Sie es dann überhaupt? Arbeiten Sie in Wirklichkeit nicht an der Produktion eines jüdischen Übermenschen?«fragte Ethan.

Blödsinn, widersprach sie noch einmal. Es gehe hier nicht um die Verbesserung der Gene. Von Eugenik könne keine Rede sein. Berkowitsch wolle nur eines: jenen Embryo rekonstruieren, aus dem der Messias einst hätte werden sollen.»Das ist doch schon meschugge genug. Machen Sie nicht mehr daraus, als dieser Quatsch hergibt. «Der Rabbiner sei eine überaus intelligente, eine grenzgeniale Person, eine charismatische Persönlichkeit. Aber er habe sich in diese abstruse Idee verrannt.

«Das sagen Sie? Und machen trotzdem mit?«

«Es ist ein interessantes wissenschaftliches Projekt. Und gut ausgestattet. Aber die Prämissen, die religiösen Theorien, sind vollkommen verrückt.«

Ethan war außer sich.»Sind wir hier im Irrenhaus? Ist denn das ganze Land übergeschnappt? Das ist doch vollkommen hirnrissig.«

«Ja. Wir sind hier nicht weit von der psychiatrischen Abteilung, Professor Rosen. Sie liegt auf derselben Etage. Die Psychiatrie ist sogar in das Projekt involviert. Rav Berkowitsch besucht sie regelmäßig. Um, so die offizielle Begründung, den Patienten eine spirituelle Stütze zu sein.«

Ethan und Rudi wechselten Blicke.

Sie sagte:»In Wirklichkeit ist er, ohne es zu ahnen, selbst ein Studienobjekt. Sie haben ihn ja erlebt. Er ist ein Phänomen. Wer mit ihm spricht, ist überwältigt. Haben Sie es nicht bemerkt?«

Rudi seufzte und sah Ethan zweifelnd an, aber der fragte:»Wie können Sie sich an dem Projekt beteiligen, wenn Sie von seiner Widersinnigkeit überzeugt sind?«

«Sie beteiligen sich, weil Sie eine Niere für Ihren Vater wollen, nicht wahr? Wir können die Daten aus diesem Genpool sehr gut gebrauchen. Mit dem Messias hat das nichts zu tun. Uns geht es um die umfassende Untersuchung einer ausgesuchten, überschaubaren Gruppe miteinander verwandter Menschen, die ganz spezifische Merkmale aufweist. Bei diesem Vorhaben arbeiten Humanbiologen, Kliniker, Epidemiologen, sogar Psychiater, Soziologen und Historiker zusammen. Wir wollen erforschen, wie und wann bestimmte Krankheiten in dieser Sippschaft aufgetreten sind. Verstehen Sie?«

Die Frau mit den streng nach hinten gekämmten Haaren klang ein wenig übersteuert. Sie hielt inne, dann leise, als verrate sie nun das eigentliche Geheimnis:»Berkowitsch ist nicht ohne Einfluß. Seine Autorität prägt seine Gemeinde, winzig zwar, aber — wer weiß — in ein paar Jahren könnte er mitbestimmen, welche Koalition in der Knesset gebildet wird.«

Rabbi Jeschajahu Berkowitsch stieß zwar selbst bei seinen Anhängern auf Mißtrauen, aber sein Satz, die Grundeinheit der Heiligen Schrift sei die Doppelhelix, faszinierte Menschen aus allen Lagern. In einer Ansprache vor Chassiden hatte er verkündet:»Jede unserer Zellen enthält die ganze Thora. «Seine Sätze wurden überall zitiert, sei es bewundernd oder voller Verachtung. Er wurde zu Talkshows eingeladen und ging sogar hin. Er gewann amerikanische und europäische Sponsoren, Reiche, die nicht wußten, wie sie ihre Jiddischkeit unter Beweis stellen sollten, die kaum Pessach von Channukka oder Mazzeknödel von Krepplach unterscheiden konnten. Milliardäre, denen es an nichts fehlte außer an der Möglichkeit, eine jüdische Initiative zu unterstützen, weil ihr Geld bereits in alle anderen jüdischen Organisationen floß. Und da kam Rabbi Berkowitsch, und mit einemmal wurden sie zum Mäzen des Messias höchstpersönlich. Wen wunderte es, wenn daraufhin auch die israelischen Institutionen mit Berkowitsch kooperierten. Er lukrierte neue Mittel. Und erst die Religiösen! Viele Fromme waren zwar überzeugt: Jeschajahu Berkowitsch war verrückt, aber er mußte ein Wunderrabbi und großer Gelehrter sein, wenn er Finanz, Staat und Wissenschaft hinter sich vereinte.