Dina zuckte mit den Achseln.»Es laufen lauter Idioten durchs Land.«
«Es ging um Abbas Niere. Jedenfalls mußten einige genetische Tests durchgeführt werden«, sagte Ethan, und Noa sah, wie Dina erbleichte und ihr Mund aufklappte.
In der Klinik hatte die Ärztin Ethan zu sich ins Zimmer gerufen.»Ich weiß, daß Sie heute wegen der Samenspende hier sind, Herr Rosen. Wir müssen miteinander sprechen.«
«Kein Problem.«
«Sie kommen für uns nicht in Frage.«
«Wer sagt das?«
«Die Testergebnisse. Ihr Vater ist ein sehr naher Verwandter der Eltern jenes messianischen Embryos. Er ist anscheinend der nächste Angehörige, der noch lebt.«
Obwohl Ethan nie an Gott und die Erlösung geglaubt hatte, war ihm plötzlich, als adle sie ihn und seine Familie. Er fühlte sich geschmeichelt:»Was Sie nicht sagen. Kurios. «Der Gedanke begann ihm zu gefallen.»Lustig! Wer hätte gedacht, daß wir mit dem Messias verwandt sind.«
«Sie, Doktor Rosen, sind überhaupt nicht mit dem Messias verwandt. Es gibt keine genetische Übereinstimmung.«
«Aber Sie haben doch eben gesagt…«
«Ich sprach von Felix Rosen. Nicht von Ihnen.«
«Ich verstehe nicht. Was meinen Sie? Geht es wieder darum, daß mein Halbbruder außerehelich ist?«
«Herr Rosen, bitte. «Sie atmete durch.»Es geht nicht gegen Sie oder gegen Klausinger. Wir haben analysiert, ob Sie als Nierenspender für Felix Rosen in Frage kommen.«
«Und?«
«Sie wollten unabhängig davon auch eine Überprüfung der verwandtschaftlichen Verhältnisse.«
«Nun, ja. Das stimmt. Darüber habe ich mit der Assistenzärztin geredet. Nicht mit Ihnen. Ich will auch nicht, daß mein Bruder davon erfährt. Mir ging es nur um die Frage, ob wir wirklich eine Familie sind.«
«Was ist eine Familie?«
«Ob wir genetisch übereinstimmen.«
«Ich kann Ihnen ohne Einverständnis Ihres Bruders gar nichts sagen.«
«Gut. War es das? Was hat das mit dem Messias zu tun?«
Sie sah ihm eindringlich in die Augen.»Wir mußten feststellen: Felix Rosen ist nicht Ihr Vater. Sie sind nicht sein leiblicher Sohn. Sie gehören dem Genpool, den wir analysieren, nicht an. Verstehen Sie, Ethan? Sie sind kein Angehöriger dieser Gruppe. Ethan? Hören Sie mir zu? Begreifen Sie, was ich Ihnen sage?«
«Was sagst du dazu, Ima?«
Dina schaute in die Ferne und schwieg. Im Fernsehen klatschten alle stumm im Takt und sangen lautlos und voller Glückseligkeit. Noa sah zu Ethans Mutter. Sie wollte nach ihrer Hand greifen, sie umarmen. Dina spürte Noas Finger. Sie verzog den Mund zu einem verkrampften Lächeln und rückte weg.
Ethan sagte:»Wußtest du das? Warst du deswegen nicht wütend auf Abba? Ich habe die ganze Zeit nicht verstanden, wie du Vaters Seitensprung so schnell vergeben und vergessen konntest. Ich kapierte nicht, wieso du so ruhig geblieben bist. Wenn aber Felix nicht mein Vater ist, dann wird mir alles klar. Du fühlst dich schuldig. Seit Jahren. Seit Jahrzehnten. Als du von seiner Affäre hörtest, wart ihr endlich quitt. Weiß er überhaupt, daß ich nicht sein Sohn bin? Hast du es ihm verraten? Oder war ich ein Kuckucksei?«
Dina stieß ein Lachen aus, eine Art Rülpsen, voller Hohn. Ethan fragte:»Findest du das lustig?«
«Was soll ich sagen?«
«Warst du deshalb so glücklich, ihm deine Niere spenden zu können? Es war eine Wiedergutmachung, stimmt's?«
Sie schwieg weiterhin, worauf er lauter wurde.»Warum hast du mir nie davon erzählt?«
«Laß sie doch endlich in Ruhe«, sagte Noa.
«Ich will eine Antwort.«
«Es geht nicht immer nur um dich«, sagte Noa.»Was hast du denn damit zu tun?«
«Nichts.«
«Eben. Laß mich gefälligst mit meiner Mutter reden.«
Sie stand auf, um zu gehen. Dina fuhr ihn an:»Bist du verrückt geworden? Du schickst Noa nicht weg!«Und zu ihr:»Noa, bleib da. Mir zuliebe. «Dann:»Entschuldige dich bei ihr.«
Noa zog sich an. Sie winkte ab. Ethan schrie:»Ich will die Wahrheit! Wer ist mein Vater, Ima?«
«Was willst du wissen?«Felix stand plötzlich in der Tür. Blaß, mit wirrem Haar, im Morgenmantel. Er stützte sich am Rahmen ab. Das Gesicht vom Schlaf verquollen.
«Bravo«, rief Noa.»Jetzt hast du ihn geweckt. «Alle schauten aneinander vorbei.
Felix blickte erschöpft. Er ließ sich in einen Sessel unweit der Tür fallen und schloß die Augen:»Was willst du wissen?«
Der Alte ächzte. Noa ging zu ihm. Er griff nach ihr, bat sie, ihn zu stützen, und stolperte in die Küche. Dann drehte er den Wasserhahn auf und füllte ein Glas. Er kehrte damit zurück und setzte sich neben Dina auf das Sofa, vorsichtig. Er trank einen Schluck. Dann, nach einer Pause, als rede er von anderem:»Seit fünfzig Jahren sind wir verheiratet. «Sachte tastete er nach Dina. Seine Hand zitterte dabei.»Schau sie an. «Er blickte auf Ethan.»Und du wagst es…«
«Er hat ja keine Ahnung«, sagte Dina, aber Felix murmelte:»Dafür hat man…«Dann biß er sich auf die Lippen.
Dina sagte:»Er hat sich testen lassen. Wegen der Nierenspende.«
Der Vater riß die Augen weit auf und starrte Ethan an.»Wozu?«Er schaute sich um, sah den stummgestellten Fernseher, sah die Menschen hinter Glas die Münder öffnen und schließen, und Noa kam es vor, als ähnelten diese Gestalten aus den siebziger Jahren buntschillernden Zierfischen im Aquarium. Sie erinnerte sich, wie sie als Kind vor den Scheiben gestanden und sich gefragt hatte, ob die Wassertiere mit ihren kleinen auf- und zuschnappenden Mäulern ihr etwas zuzurufen versuchten, eine Mahnung vielleicht, und ihr war jetzt, als würden die Männer und Frauen aus früheren Jahren nur deshalb am Bildschirm erscheinen, um das Land der Gegenwart zu warnen. Vielleicht, so dachte sie, sollten diese Sendungen immer nur mit ausgeschaltetem Ton angeschaut werden, damit die Stimmen nicht übertönen konnten, was hinter den melancholischen Melodien lag.
«Mach das aus«, sagte Felix, und Dina griff zum Mobiltelefon und drückte den roten Knopf. Sie bemerkte ihren Mißgriff gar nicht, sondern mühte sich weiter mit der Taste ab. Vergeblich.»Ich frage mich, ob du wirklich nicht ahnst, wer es ist«, sagte er, und dann zu ihr gewendet:»Es hat keinen Sinn mehr.«
Irgendwo draußen heulte die Sirene eines Rettungswagens auf. Felix sagte:»Es ist Dov. Dov Zedek.«
«Bist du mein Papa?«Eines Morgens war er ins Bett der Eltern gestiegen und dort auf einen Fremden gestoßen, und er, der kleine Bub, dessen Vater so selten zu Hause war, hatte erstaunt gefragt:»Bist du mein Papa?«Die Mutter, die das Schlafzimmer den Gästen, Dov und seiner damaligen Freundin, überlassen hatte, hatte ihm später gesagt:»Das ist der beste Freund von Abba. Er heißt Dov. Er bleibt zwei Tage bei uns.«
Erst nach Sekunden fand er wieder zu sich.»Das ist ein Witz, oder?«
Felix schüttelte den Kopf. Er könne keine Kinder zeugen, sagte der Vater. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Es sei ihm gar nicht möglich. Das Lager, flüsterte er und schluckte. Das Würgen in der Kehle klang lauter als das, was er sagte. Die Arzte meinten, es sei vielleicht eine Folge. Oder auch nicht.»Wer weiß?«Auf jeden Fall sei er, und dann folgte eine Pause, unfruchtbar. Er sah drein, als begreife er selbst erst in diesem Moment, wovon die Rede war.»Wir dachten zuerst, es brauchte seine Zeit. Aber dann…«Dina schaute aus dem Fenster, und als sie sich wieder umwandte, lächelte sie maskenhaft. Ethan war verstummt.
Er sei es gewesen, redete Felix weiter. Er habe Dovs Tonkassette nach dem Begräbnis nach Wien geschickt. So sei es vereinbart gewesen.»Ich sollte sie dir im Fall seines Todes zukommen lassen. «Er sah zur Decke.»Ich weiß nicht, wie oft ich ihm vorschlug, dir alles zu erzählen. Dov sagte: Ich werde sein Vater nicht werden und sein Freund nicht mehr bleiben können. Er sagte: Das war die Abmachung. Von Anfang an. Kein Wort zu Ethan.«