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Und Dina:»Er wollte keine Verwandten haben. Nie wieder. «Sie sagte:»Felix wollte und konnte nicht. Dov konnte und wollte nicht.«

Ethan schüttelte den Kopf.»Ich verstehe nicht.«

«Dina hat mich nie betrogen. «Felix betonte jedes Wort.

Sie sagte:»Es war eine andere Zeit. «Sie sahen, wie Ethan sie anschaute, als wären sie Fremde.

«Das wird er nie verstehen«, meinte Felix, und Dina:»Wir gründeten zusammen einen Kibbuz«, aber Felix unterbrach sie:»Er wird es nie verstehen«, und zu Ethan:»Dov hat mich im Lager gefunden!«

Dina schüttelte den Kopf, als wolle sie widersprechen:

«Wir wollten Kinder. Darum ging es. Alle im Kibbuz kannten unser Problem. Die schoben Wache vor unserem Schlafzimmer. Warum hätten wir Dov nicht fragen sollen?«

Er:»Wir glaubten an die Zukunft.«

Sie:»Wir glaubten vor allem an uns.«

Noa ging in die Küche und setzte Teewasser auf. Dina folgte ihr. Sie nahm Parmesan, ein paar Radieschen, Jungzwiebeln, Tomaten, Techina und Butter aus dem Kühlschrank. Noa holte einige Scheiben Pita und brachte den Tee mit. Sie fragte, wer Sacharin brauche.

Ethan goß den Tee ein, während er fragte:»Und Rudi?«

«Was ist mit ihm?«

«Na, wenn du impotent bist…«

«Unfruchtbar«, murmelte Felix, aber Dina sagte:»Hast du nicht gleich gemerkt, wie ähnlich ihr euch seid? — Dov war ein Don Juan. Er konnte bei keiner bleiben. Und er litt darunter so sehr, daß er sich gleich von der Nächstbesten trösten ließ. «Ethan habe ihn doch gekannt. Nur Dov könne es gewesen sein. Wer denn sonst?» Dov lernte Karin Klausinger zufällig im Büro von Felix kennen. Die Sekretärin eines Geschäftspartners.«

In diesem Moment drehte sich der Schlüssel in der Wohnungstür. Rudi trat ein. Sie verstummten. Er grüßte nicht, sondern sagte bloß:»Da sind sie ja alle. Die Rosen«. Die Luft war plötzlich wie aufgeladen. Er sagte:»Ich habe einen Test gemacht. Einen genetischen.«

Es war Rudi anzusehen, wie peinlich es ihm war, davon reden zu müssen. Jede seiner Bewegungen wirkte verhalten. Noa stand auf, als wolle sie ihn umarmen. Rudi sah an ihr vorbei, und Felix starrte die anderen mit großen Augen an. Er atmete durch den Mund.

Er müsse zugeben, so Rudi, von dem Ergebnis überrollt worden zu sein. Er sei es schließlich gewesen, der darauf gesetzt hatte, der Sohn von Felix zu sein. Er sei es gewesen, der die Briefe als Beweis dafür angesehen hatte. Aber offensichtlich sei seine Mutter damals wohl noch mit anderen ins Bett gegangen. Er klang dabei, als müsse er sich für die sexuellen Abenteuer von Karin Klausinger entschuldigen.

Sie drucksten herum. Es dauerte, bis er begriff, was die anderen ihm zu erklären versuchten. Rudi schaute ungläubig. Er kaute zäh, als hätte er ein Stück rohes Fleisch im Mund. Es war Ethan, der fragte:»Wozu die Lügen? Warum das Märchen, Felix hätte Dina betrogen? Wieso habt ihr überhaupt erzählt, Felix sei Rudis Vater?«

Die Eltern warfen einander Blicke zu. Ob Ethan immer noch nicht begriffen habe? Das Familiengeheimnis, sagte Dina. Die Ähnlichkeit zwischen Ethan und Rudi, und im selben Augenblick widersprach Noa und meinte, sie könne, wenn sie es recht betrachte, gar keine mehr erkennen. Und auch Dina gab zu, so sehr würden Ethan und Rudi einander doch nicht gleichen. Sie hätten jedenfalls, fuhr Dina fort, gefürchtet, es würde herauskommen, daß Felix auch nicht Ethans Vater ist.

«Das ist nicht die ganze Geschichte«, wisperte Felix.»Ich kann nicht Ethan als meinen Sohn anerkennen und ein weiteres Kind von Dov nicht. «Felix nahm einen Schluck Wasser.»Ich habe nur gesagt, ihr seid Brüder. Nicht mehr.«

Rudi schüttelte den Kopf.»Es war alles gelogen.«

Dina meinte:»Felix hatte keine bösen Absichten.«

Rudi sagte bloß:»Wie konntet ihr nur? Ich suche meinen Vater. Seit Jahren.«

«Du gehörst doch zu uns«, sagte Dina, aber er winkte ab. Nein. Und nein, er sei übrigens auch nicht der Sohn von Dov Zedek. Er sei nicht Ethans Bruder.

«Wir beide sind keine Brüder. Das Ergebnis ist eindeutig. «Er war nicht mit Ethan verwandt, und deshalb konnte er auch nicht von Dov gezeugt sein, und folglich war es unmöglich, ihn zur erweiterten Familie der Rosens zu zählen, und darum war er mit ihnen nicht versippt und nicht verschwägert, selbst wenn alle Kinder von Dov den Rosens zugerechnet würden und selbst wenn allenfalls noch lebende Abkömmlinge des Hauses Gerechter im Sinne jener höheren Vererbungslehre, die Felix und Dina vertraten, in die Mischpoche Rosen aufgenommen würden, selbst dann wäre er immer noch keiner von ihnen, sondern nichts als ein Parvenü, ein habitueller Assimilant, also das, was er letztlich immer schon war, wofür er von jeher bekannt war und womit er sogar seinen Lebensunterhalt als Kulturwissenschaftler auf allen Erdteilen verdiente, weil er sich überall einfinden und anbiedern konnte.

Der Himmel hellte auf. Der Morgen kündigte sich an. Auf den Straßen war kaum Verkehr. Rudi stand auf. Wortlos ging er in das ehemalige Kinderzimmer. Sie sahen ihn die Schränke öffnen, seine Kleidung zusammenfalten. Er packte die Koffer.

Felix stand auf. Er wankte. Der abendliche Anfall hatte seine Spuren hinterlassen. Er ging gebeugt auf Rudi zu. Den Kopf hielt er dabei schief.»Bleib hier. «Rudi stopfte die Socken ineinander.»Überschlaf es. Wo willst du jetzt ein Bett finden?«Rudi strich die Unterhosen glatt.

«Ich muß alleine sein. Wenigstens ist der neue Artikel über Dov noch nicht erschienen. «Er sortierte die Unterhemden.

«Was hat das damit zu tun?«

Rudi faltete die Hemden.»Es war alles gelogen.«

Felix preßte seine Hand ins Kreuz und ächzte. Er wankte. Noa sah es und stand auf, machte einen Schritt auf ihn zu. Er humpelte zurück zum Sofa.

Rudi sammelte seine Bücher ein und klappte den Laptop zu. Noa ging zu ihm und faßte ihn von hinten an der Schulter. Rudi drehte sich um, und sie umarmte ihn. Fest. Sie streichelte Rudi. Sie lächelte ihn an.»Bleib hier«, sagte sie.

«Komm du mit mir.«

Sie starrte ihn an. In ihrem Rücken war Ethan aufgestanden. Dann sah er, wie sie den Kopf schüttelte.»So nicht.«

Rudi löste sich von ihr, und da merkte sie, daß er, der die letzten Wochen seine Augen nicht von ihr hatte lassen können, auch ihr gegenüber zum Fremden geworden war.

Er hatte sich nicht nur von der Familie Rosen abgewandt, sondern auch von ihr. Sie blickte ihm in die Augen. Er drehte sich weg und schloß den Koffer zu.

Als er seine Computertasche schulterte, schritt Ethan auf ihn zu und drückte ihn an sich. Er küßte ihn auf die Wangen, und plötzlich waren Tränen in Rudis Augen. Er blinzelte sie fort. Die beiden Männer, die gerade erfahren hatten, keine Brüder zu sein, schienen einander verwandter denn je. Rudi nickte und wischte sich übers Gesicht, aber dann wich er zurück. Er lächelte die anderen an, so wie einer lächelt, der sich aus einer Affäre ziehen möchte, schüchtern und verschämt, als versuche er, einen, der ihm zu nahe kommt, auf Distanz zu halten. Es war, als fürchtete er jede weitere Berührung mit einem Mitglied der Familie Rosen. Sie tat ihm weh. Rudi, das war offenkundig, hatte Angst, den Abschied nicht zu schaffen.

Er schleppte das Gepäck in den Flur und wandte sich Dina und Felix zu.»Ich kann nicht hierbleiben. Der neue Nachruf, den ich geschrieben habe, nur um seine, um euer aller Geschichte zu schönen, wird nicht erscheinen.«

«Niemand zwang dich dazu.«

«Es waren Lügen. Lügen für zwei Väter. Lügen für das ganze Land der Väter. Lügen fürs Vaterland.«

«So war es nicht.«

«Ich habe über Dov recherchiert.«

«Wir wollten aus Luftmenschen Kämpfer machen. Aus Kaffeehausjuden Bauern.«