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Rudi feixte:»Das ist euch auch gelungen. Besser als erhofft.«

Dina rückte näher an Felix heran, griff nach seiner Hand, dann sagte sie:»Ihr wollt die Wahrheit? Seid ihr sicher? Könntet ihr denn überhaupt damit leben? Eure Generation? Ihr seid doch ewige Kinder. Was ist ein Vater?«

Felix sagte:»Hör auf, Dina, Dov liegt unter der Erd.«

«Laß mich ausreden, Felix. Er will wissen, wer Dov Zedek war? Ich kann es ihm sagen. Wir haben Kinder sterben gesehen… Haben wir gelogen, um euch zu schaden? Wir haben geglaubt, es sei zum Besten. Konnten wir wissen, daß Dov nicht mit Karin Klausinger im Bett war? Es gibt Schlimmeres, als der Sohn von Felix Rosen zu sein. Und wer brachte uns überhaupt auf die Idee, zu sagen, Felix sei dein Vater? Sind wir dem Herrn aus Osterreich nachgerannt oder er uns? Du bist ihm nachgelaufen. Sogar als Felix im Spital war. Halbtot!«

«Du übertreibst, Dina. Ich war nicht tot.«

«Ein Brief nach dem anderen. Die Bewerbung am Institut. Der Nachruf auf Dov! Der verzweifelte Sohn. Das verlassene Kind. Ein einsamer Balg. Er wollte das Ammenmärchen. Er wollte es von uns.«

«Ihr hättet es trotzdem nicht tun dürfen«, sagte Ethan.

«Was war, um Gottes willen, so schlimm daran? Ist Felix nicht der Vater dieser Familie? Gibt es nur eine Wahrheit?«fragte Dina.

Rudi stellte seine Tasche ab. Der Koffer stand in der Garderobe. In diesem Moment dachten alle, er würde nicht gehen. Er kam nicht los von ihnen. Er würde bei Felix und Dina bleiben. Erst diese Nacht. Dann einen weiteren Tag. Und hierauf noch einen. Dina sagte:»Sind wir also Lügner?«

«Das habe ich nicht behauptet.«

«Ich aber. Wir sind Lügner! Na und? Wollten wir einen Mord vertuschen? Wir wollten eine Familie gründen. Eine Familie nach Auschwitz.«

Rudi höhnte:»Immer das Niemals-vergessen! auf den Lippen. Aber dann die üblichen Ausreden. Jugendreisen nach Auschwitz, um die Erinnerung hochzuhalten. Aber die eigene Vergangenheit fälschen…«

Felix richtete sich auf. Er ächzte:»Ich brauche mich nicht zu rechtfertigen für meine Erinnerung. Ich muß mir das nicht vorwerfen lassen. Nicht das. Nicht in meinem Haus. Du wolltest gehen. Ich halte dich nicht auf. Ich nicht!«

Als hätte er nur auf dieses Wort gewartet, rannte Rudi in die Garderobe:»Bin schon weg!«

Er versuchte, den Koffer hochzuheben, aber statt dessen riß der Griff ab. Er schleuderte ihn auf den Boden und zog das schwere Gepäckstück an einem Riemen hinter sich her.

Noa rief:»Felix, laß ihn nicht so gehen. «Felix, käsig, zittrig, schrie:»Mir meine Erinnerung vorwerfen!«

Ethan fragte:»Seid ihr alle verrückt geworden?«

«Wir? Er will doch gehen!«

«Ihr seid ja alle nicht normal!«

Felix blähte die Backen und atmete schwer.

Ethan packte den Koffer und sagte:»Komm, Rudi, das hier ist nicht auszuhalten. Komm. Noa.«

Sie musterte die beiden Männer:»Ich bleibe da.«

Später würde Ethan behaupten, er sei es nicht gewesen, der das Gepäck hinausgeschleppt und den andern hinter sich hergezogen hatte. Aber Noa sah genau, daß Ethan die Initiative ergriff, für die Rudi zu unentschlossen war. Sie sah die Verwirrtheit in Rudi Klausingers Gesicht, und sie sollte sich noch Jahre später fragen, was geschehen wäre, wenn Ethan nicht trotzig vorangestürmt wäre.

Dina schüttelte den Kopf. Felix ächzte und griff sich ins Kreuz, als fühle er wieder den alten Schmerz. Noa nahm das Glas Whiskey zur Hand, das Ethan stehengelassen hatte, und trank es leer. In einem Zug.

Felix keuchte. Er saß da, als hätte ihn ein Auto überrollt. Er flüsterte:»Wir wollten ihm einen Gefallen tun!«

Daraufhin Dina:»Das war der Fehler. Reg dich bloß nicht auf. Aus und vorbei. Vergiß es. «Sie legte das Mobiltelefon weg und griff zur Fernbedienung. Sie drückte den Knopf und schaltete die Lautstärke hoch. Der Gesang schwoll an. Laila, laila, haruach goveret.

9

Er warf das Gepäck in den Kofferraum. Sie stiegen in den Audi von Felix. Ethan ließ den Motor an, parkte aus und preschte los. Die Reifen quietschten über den Asphalt der Tiefgarage. Der Boden war frisch gestrichen. Rasengrüne Flächen, von signalgelben Linien unterteilt. Er drückte auf den alarmroten Knopf der Fernbedienung, und das Tor schwang hoch, gleichzeitig senkten sich draußen Pfeiler in den Beton. Ethan grüßte in die Videokamera. In der Loge im Erdgeschoß versah der Portier seinen Dienst und würde ihn, den Sohn von Felix Rosen — aber war er das überhaupt? — erkennen.

Das Fahrzeug schoß die Ausfahrt hoch. Er war voller Wut. Nichts hatten sie verstanden. Diese Selbstgerechtigkeit trotz der jahrelangen Lügen! Sie waren bereit gewesen, ihn dumm sterben zu lassen. Sie hatten ihm die Wahrheit vorenthalten wie einem unmündigen Kind. Und welche Ausreden sie bemühten! Sie hätten nur das Beste für ihn gewollt. Klar. So war es von jeher. Sie bestimmten, was das Beste war.

Sie rechtfertigten sich damit, eine Familie, einen Staat, eine Welt gegründet zu haben. Immer und überall lief es gleich. Zunächst wurde geleugnet, was geschehen war. Dann wurde gesagt, es sei ohnehin besser, nicht daran zu rühren. Dann das Gejammer: Kaum sei Gras über die Geschichte gewachsen, komme irgendein Kamel und fresse es ab. Und dabei sei da doch einst gar nichts gewesen. Nur Wüste. Und das bißchen Haus, Feld und Wiese, das es gegeben haben mag, sei doch gar nicht der Rede wert.

Felix hatte nur den Kopf geschüttelt, wenn Ethan als Jugendlicher rebellisch geworden war:»Nu, was soll ich dir sagen: Einen schlechten Vater hast du!«Er war abgespeist worden wie ein dummer Junge, und das Schlimmste war, erkennen zu müssen, nicht gelassener, nicht erwachsener umgehen zu können mit den Tatsachen, die er vor wenigen Stunden erfahren hatte. Er reagierte auf die Nachricht, nicht der Sohn seines Vaters zu sein — wie widersinnig und lächerlich allein die Worte klangen, irgendeiner sei nicht der Sohn seines Vaters! — , wie ein dreijähriger Bub, dem sein Teddybär weggenommen worden war. Seine Wut richtete sich gegen ihn selbst, aber sein Zorn zielte auf die Eltern. Hatten sie ihn nicht zu dem gemacht, der er war und nicht sein wollte?

Da war auch ein anderer Schmerz. Er dachte an Noa. Sie hatte zu den anderen gehalten. Zu den Eltern. Zum anderen. Zu Rudi.»Bleib hier«, hatte sie gesagt. Oder hatte er auch gehört:»Bei mir«?

Rudi saß neben ihm und hielt das Mobiltelefon ans Ohr. Er sprach mit der Auskunft und erkundigte sich nach den Nummern verschiedener Hotels. Ethan war bereits Richtung Strandpromenade abgebogen. Er hatte nicht daran gedacht, eine bestimmte Unterkunft anzusteuern. Er wollte sie alle abklappern. Es gab an der Küste genug von diesen Kästen: Carlton, Sheraton, Hilton. Manche Kette war sogar in doppelter Ausführung vertreten. Die typische Wabenarchitektur und unzählige Balkone. Blick aufs Meer. Aber nun hörte Ethan, daß Rudi ein Zimmer in Herzliya suchte. Kaum hatte er die Reservierung bestätigt, rief er bei der Fluglinie an, um seine Rückreise für den nächsten Tag zu fixieren.

Ethan erinnerte sich an jene Jahre, als sie noch keine Wohnung in Tel Aviv hatten. Sie waren in einer jener Bettenburgen an der Küste abgestiegen und in einer Suite untergekommen. Sie hatten damals in Chicago gelebt. Noch war die amerikanische Metropole nicht vom späteren Aufschwung erfaßt worden. Eine Stadt aus Vierteln, die kein Ganzes bildeten, eine Stadt voll offener Wunden. Der Frost im Winter. Der Wind, der über den See peitschte. Hochhäuser, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Das IBM Building, die dunklen Glasfassaden von Mies van der Rohe. The Rookery, der neoromanische Wolkenkratzer von Daniel Burnham. Der Sears Tower, das Turmhaus aus Quadern. Im Sommer die Reise nach Israel. Damals hatten sie das Land und die Stadt mit den Augen von Fremden gesehen. Die Verwandten und Freunde waren in die Lobby gekommen, um sie dort bei einem Clubsandwich zu sprechen. Er war den ganzen Tag am Pool gesessen. Allein.