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Menschen aus anderen Kontinenten, Geschäftspartner aus den USA, aus Europa und sogar dem Fernen Osten waren gekommen, um an diesem Begräbnis teilzunehmen. Die halbe Abteilung des Krankenhauses war da. Die Ärzte, aber auch die Pfleger, die sich um Felix gekümmert hatten, darunter Schwester Frida. Eine große Menge drängte sich hier zusammen. Katharina drückte sich in eine Ecke. Ethan, der reglos stand und mit bitterer Miene die Beileidsbekundungen entgegennahm, sah sie und ging zu ihr hin, zu Dovs letzter Geliebten, und umarmte sie.»Nicht die besten Treffpunkte in letzter Zeit«, flüsterte er ihr ins Ohr, und sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Ehe er an seinen Platz zurückkehrte, fragte er, ob sie nachher in die Wohnung der Eltern mitkäme, um an der Schiwe, dem heimischen Trauergedenken im Kreis der Familie, teilzunehmen.

Alle hatten Aufstellung genommen. Rabbiner Jeschajahu Berkowitsch trat vor. Hinter ihm stand der dickleibige Chassid aus dem Flugzeug, der Ethan damals mit seinen ledernen Gebetsriemen am liebsten an die Tradition gefesselt hätte, als ginge es um ein sadomasochistisches Liebesspiel. Berkowitsch, hinter einem Pult, räusperte sich. Zögerlich setzte er ein Wort hinter das andere, während sein Assistent sanft hin und her schuckelte, als scharre er in den Startlöchern, um jenen Tanz aufzuführen, der seine ganz eigene Spezialität war. Von der Trauer redete Berkowitsch, vom Schmerz der Hinterbliebenen, vom Trost, der ihnen nun zukommen sollte:»Denn aus Staub sind wir und zu Staub werden wir. «Felix Rosen habe erlebt, wie der Tod über die Menschen komme, erklärte Berkowitsch und verdeutlichte in seiner eindringlichen Art, wie vergänglich alles Materielle sei, wie nichtig auch der Mensch, und er rief aus:»Was ist der Mensch? Herr, ich bin ein Nichts vor dir. Ich bin ein Nichts, ein Nichts von einem Nichts«, und da wurde der chassidische Trabant des religiösen Leitsterns von der Begeisterung mitgerissen, und ihm entfuhr der Satz:»Ja, ein Nichts ist er, weniger als ein Nichts!«

Berkowitsch ließ sich indes nicht beirren. Er pries die Taten des Toten, erzählte von dessen Leben:»Es ist unsere Pflicht, so steht geschrieben, über einen Verstorbenen nur Gutes zu sagen, aber unmöglich ist mir, von den Schrecklichkeiten zu schweigen, die ihm zugefügt wurden. «Berkowitsch sprach über die Vernichtung, und seine Ausführungen gipfelten in dem Satz:»Wir alle, ob damals geboren oder jetzt, ob Felix Rosen oder dieser Säugling heute hier unter uns, hätten vernichtet werden sollen, und wir alle, wir Juden, sind Überlebende!«

Nun hatte der Rabbiner die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, und sogar Noam, das Baby, das eben zum Opfer der Verfolgung erklärt worden war, schrie los, als wolle es seine Stimme gegen alle Nazis der Welt erheben. Die Augen nicht weniger Umstehender füllten sich mit Tränen. Ethan starrte auf Dina. Er flüsterte:»Was wird das?«

Berkowitsch sprach nun von den Feinden, die alle Juden, auch das Neugeborene heute noch morden wollten. Er sprach von neuen Nazis, gegen die gekämpft werden müsse, von den Kindern und Kindeskindern des Amalek. Die Friedhofshalle verwandelte sich in einen Bunker.»Kein Mitleid mit den Mördern«, rief Berkowitsch, als wäre Felix Rosen umgebracht worden im Krieg gegen die Araber.

Es war nicht derselbe Berkowitsch, den Ethan noch vor wenigen Tagen gekannt hatte. Nicht mehr die Hoffnung auf eine messianische Genmanipulation, auf eine künstliche Befruchtung zur Errettung der Welt beschäftigte ihn, sondern die Apokalypse, die Vernichtung, die Katastrophe. Berkowitsch glühte. Er schwitzte. Er fuchtelte mit den Armen. Angesichts des Toten gelte es, sich mit Gebot und Gebet zu wappnen. Der jüdische Staat müsse verteidigt werden, nicht bloß militärisch, sondern spirituell.»Mit Beten und nicht nur mit Raketen. «Wofür sonst seien die Märtyrer gestorben; denn wer nicht wolle, daß die Nazis am Ende doch noch siegten, müsse zur Schrift zurückkehren. Die nächsten Sätze sprach er laut und voller Inbrunst, derweil sein Jünger im Hintergrund so heftig zappelte und nickte, daß seine Schläfenlocken im dichten Gedränge Onkel Jossef ins Auge flogen.»Felix Rosen ist nicht tot. Wenn wir wollen, lebt er in uns weiter. In unserem Glauben. Wir sind es ihm schuldig.«

Als Berkowitsch endete, stoppte auch der Chassid sein Geschaukel. Efrat und ihr Mann lächelten versonnen, aber der Rest der Trauergemeinde blickte ein wenig pikiert.

Jossef kam nach vorne um eine Ansprache zu halten. Dina und Ethan sahen einander an. Noa seufzte. Jossef strich sich verlegen über sein Haar. Er zog ein Papier aus der Brusttasche und begann, von Felix, von dessen Güte und Hilfsbereitschaft zu reden. Von ihm als Ehemann und Vater. Er sagte:»Kein anderer hat sich seinem Sohn bedingungsloser ausgeliefert. «Nach diesem Satz stockte Jossef. Er blickte sich um, als suche er das Publikum. Er wandte sich Dina zu, schaute ihr in die Augen und wollte das Papier mit der Ansprache in die Seitentasche seines Sakkos stecken, aber er fuhr daneben, und so fielen die Blätter zu Boden und segelten nach vorn unter die Bahre mit dem Leichnam. Jossef starrte seiner Rede hinterher, als täte ihm nun leid, sie weggeworfen zu haben. Er sah in die Runde. Alle hielten die Luft an. Ethan schüttelte den Kopf. Dina verdrehte die Augen. Beiden schwante, daß Jossef nun über Rudi sprechen wollte, doch statt dessen sagte er:»Felix war Atheist.«

Ein Murren ging durch die Menge. Aber Jossef gab nicht nach.»Es ist die Wahrheit!«Seine Stimme wurde aus Unsicherheit schneidend, der Ton klang scharf. Felix Rosen sei hierhergekommen, um eben nicht in einem Ghetto zu leben, nicht in einem polnischen Schtetl in Hebron. Hebräer wollte er sein. Nun nickten einige der Freunde und Angehörigen. Er sagte:»Dafür kämpfte er. Bis zum letzten Blutstropfen«, und hier kippte etwas in Jossef, seine Stimme überschlug sich, und begeistert von seiner eigenen Rhetorik wurde er mitgerissen.

Es war, als wäre Felix nicht einer Krankheit erlegen, sondern in einer Schlacht gefallen. Wenn Felix jetzt da wäre, verkündete Jossef, würde er bekennen, wie sehr es sich ausgezahlt habe, das Leben diesem Kampf zu opfern.»Von orthodoxen Rabbinern hielt er gar nichts«, so Jossef.»Sie und ihre Siedler waren für ihn Rassisten, Faschisten, Khomeinis.«

Den nächsten Satz konnte er nicht mehr beginnen.»Ketzer«, schrie der dicke Fromme. Rabbi Berkowitsch murrte:»Moische, bist du meschugge. Sei doch still!«Aber sein Chassid walzte sich durch die Umstehenden, um Jossef vom Pult zu stoßen. Onkel Jossef wich aus, worauf einer meinte:»Schaut euch diesen wuchernden Mazzesknedel an, eine wildgewordene Wundergeschwulst.«

«Antisemit!«brüllte der Fromme, und Onkel Jossef antwortete:»Mutant! Degenerat!«

«Jüdischer Nazi«, meldete sich Efrat zu Wort, aber Schmuel, ihr eigener Cousin, entgegnete:»Uns Nazis schimpfen, das könnt ihr, aber euch und eure Siedlungen sollen wir beschützen.«

«Rauch dein Zeug, das beruhigt«, riet sie ihm.

Manche versuchten, die Streitenden zu besänftigen, aber das machte alles nur schlimmer.»Laß gut sein. Mit so etwas sollten wir uns nicht abgeben!«rief Efrats Mann dem Chassiden Moische zu, während Nimrod zu Onkel Jossef sagte:»Was erwartest du? Die kommen direkt aus dem Mittelalter. «Einer meinte zum Chassiden:»Laß dich nicht provozieren. Der ist doch nicht einmal ein Ketzer, sondern nebbich ein Ignorant.«

Die Geschäftsleute aus dem Ausland verstanden kein Wort, zumal in Hebräisch gestritten wurde. Sie waren hierhergekommen, um Felix Rosen die letzte Ehre zu erweisen. Sie hatten sich vorbereitet, um einem jüdischen Begräbnis beizuwohnen. Sie hatten die Riten studiert. Von einem derartigen Geschrei rund um die Leiche war aber in keinem Handbuch und keinem Lexikon zu lesen gewesen. Einer von ihnen fragte Katharina:»Geht es bei diesem Brauch vielleicht ums Erbe?«Worauf sie ihn anschaute, als habe er eine antisemitische Bemerkung gemacht.