Weda war müde und ruhig geworden und ließ sich in einen großen, tiefen Sessel fallen, ohne jedoch ihren aufmerksamen Blick von Dar Weter abzuwenden. Dieser ließ Mwen Maas am Steuerpult Platz nehmen und beugte sich über dessen Schulter. In der vollkommenen Stille war nur ab und zu ein leises Knacken der Hebelbolzen zu vernehmen. Plötzlich verschwand der Bildschirm mit dem Goldrahmen, und an seiner Stelle tat sich eine unglaubliche Tiefe auf. Weda Kong, die dieses Wunder zum ersten Mal sah, holte tief Luft. Ja, sogar die anderen Anwesenden im Raum, die mit der komplizierten Methode der Interferenz von Lichtwellen und der daraus resultierenden ungeheuren Weite und Tiefe des Blickfeldes vertraut waren, betrachteten dieses Schauspiel wie immer verblüfft.
Die dunkle Oberfläche eines fremden Planeten näherte sich aus weiter Ferne und nahm mit jeder Sekunde an Größe zu. Das war das außergewöhnlich seltene System eines Doppelsterns, dessen zwei Sonnen sich derart ausglichen, dass die Bahn ihres Planeten regelmäßig zu sein schien und sich Leben auf ihm hatte entwickeln können. Diese beiden Sonnen — die eine orangefarben, die andere scharlachrot — waren kleiner als die irdische Sonne und ließen das Eis eines zugefrorenen Meeres rot erscheinen. Am Rande flacher schwarzer Berge war ein in rätselhaft violettem Widerschein erstrahlendes, gigantisches, niedriges Gebäude zu erkennen. Der Sehstrahl fiel auf eine Plattform auf dem Dach des Gebäudes, durchdrang diese gleichsam, und alle erblickten einen grauhäutigen Menschen mit runden, von Ringen silbernen Flaums umgebenen Eulenaugen. Er war von hohem Wuchs, ungewöhnlich schlank, mit Gliedmaßen in der Art von Fühlern. Er zuckte läppisch mit dem Kopf, als wolle er rasch einen Diener machen, richtete den Blick seiner leidenschaftslosen Augen, die wie Objektive aussahen, auf den Schirm und öffnete seinen lippenlosen Mund, der von einer ventilartigen nasenähnlichen Hautwulst halb verdeckt war. Gleich darauf ertönte die melodische und zarte Stimme der Übersetzungsmaschine:
„Dir. Inf., Direktor der auswärtigen Informationsabteilung von Schwan einundsechzig. Heute senden wir für den gelben Stern STL 3388+04SCHF… Wir senden für…“
Dar Weter und Junius Antus blickten einander an, während Mwen Maas für einen Augenblick das Handgelenk von Dar Weter umklammert hielt. Das waren die galaktischen Rufzeichen der Erde, genauer gesagt des ganzen Planetensystems, welches Beobachter anderer Welten einst für einen einzigen großen Trabanten gehalten hatten, der sich in neunundfünfzig Erdenjahren einmal um die Sonne bewegt. Einmal während dieser Zeit stehen Jupiter und Saturn gemeinsam in Opposition, wodurch die Sonne so weit verschoben wird, dass es den Astronomen der näheren Sterne auffällt. Demselben Fehler waren auch unsere Astronomen bezüglich vieler Planetensysteme aufgesessen, welche bereits in frühen Zeiten allen möglichen Sternen zugeschrieben worden waren.
Noch aufmerksamer als zu Beginn der Sendung überprüfte Junius Antus nun die Einstellung der Gedächtnismaschine und deren Funktionsindikatoren.
Die leidenschaftslose Stimme des elektronischen Übersetzers fuhr fort:
„Wir haben vom Stern…“, es folgten eine Reihe von Ziffern und einige abgehackte Laute, „außerhalb der Sendezeit des Großen Rings zufällig eine ziemlich gut hörbare Botschaft empfangen. Die Bewohner des Sterns haben die Sprache des Rings noch nicht dechiffriert und vergeuden sinnlos Energie, indem sie in der Ruhepause senden. Wir haben ihnen während ihrer eigenen Sendung geantwortet, die Resultate erhalten wir in zirka drei Zehntel Sekunden…“ Die Stimme brach ab. Die Signalgeräte, mit Ausnahme des erloschenen grünen Auges, brannten weiter.
„Diese Übertragungsstörungen sind noch immer ungeklärt — vielleicht hängen sie damit zusammen, dass sich eines der legendären neutralen Felder der Sternflieger zwischen uns schiebt“, erklärte Junius Antus Weda.
„Drei Zehntel einer galaktischen Sekunde — das heißt, wir müssen zirka sechshundert Jahre warten“, brummte Dar Weter finster. „Da werden wir viel davon haben.“
„Soviel ich verstanden habe, handelt es sich bei dem Stern, mit dem sie Verbindung aufgenommen haben, um Epsilon Tucanae, ein Gestirn am südlichen Himmel“, bemerkte Mwen Maas. „Es befindet sich neunzig Parsec von uns entfernt und nahe der Grenze unserer ständigen Verbindung. Weiter als bis zum Deneb sind wir bislang noch nicht vorgedrungen.“
„Aber wir empfangen auch Sendungen vom Zentrum der Galaxis und von den Kugelhaufen, oder?“, fragte Weda Kong.
„Aber nicht regelmäßig, sondern zufällig oder über die Gedächtnismaschinen anderer Mitglieder des Rings, die quer durch den Raum der Galaxis eine Kette bilden“, antwortete Mwen Maas.
„Mitteilungen, die vor Tausenden und Abertausenden von Jahren gesendet wurden, gehen im Weltraum nicht verloren, sondern werden uns früher oder später erreichen“, fügte Junius Antus hinzu.
„Aber das bedeutet, dass wir vom Leben und den Erkenntnisse von Menschen anderer, sehr weit entfernter Welten nur mit einer ungeheuren Verspätung erfahren, im Falle des galaktischen Zentrums zum Beispiel mit einer Verspätung von zwanzigtausend Jahren?“
„Ja, ganz gleich, ob wir über die Gedächtnismaschinen nahe gelegener Welten oder in unseren Stationen selbst empfangen, wir sehen ferne Welten so, wie sie vor langer, langer Zeit aussahen. Wir sehen längst verstorbene und von ihrer Welt vergessene Menschen.“
„Wie ist es möglich, dass wir, die wir eine solche Macht über die Natur errungen haben, auf diesem Gebiet so machtlos sind?“, sagte Weda mit kindlicher Empörung. „Weshalb können wir ferne Welten nicht auf anderem Wege erreichen als durch Wellen- oder Photonenstrahlen?“
„Wie gut ich Sie verstehen kann, Weda!“, rief Mwen Maas.
„In der Akademie der Grenzen des Wissens beschäftigt man sich mit Projekten zur Überwindung von Raum, Zeit und Schwerkraft, den Grundprinzipien der kosmischen Weiten“, warf Dar Weter ein. „Aber man ist noch nicht einmal bis zum Versuchsstadium gekommen und konnte noch…“
Plötzlich leuchtete das grüne Auge auf, und Weda verspürte erneut eine Art Schwindel, als sich vor ihr auf dem Bildschirm die endlosen Tiefen des Weltraumes auftaten. Die scharf umrissenen Bildränder wiesen darauf hin, dass es sich um die Aufzeichnung einer Gedächtnismaschine und nicht um eine direkte Übertragung handelte.
Zuerst wurde die Oberfläche eines Planeten sichtbar, die natürlich von einer Außenstation, einem Satelliten, aufgenommen worden war. Eine riesige, blassviolette, durch ihre eigene, unglaubliche Glut geisterhaft erscheinende Sonne überflutete die blaue Wolkendecke ihrer Atmosphäre mit intensiven Strahlen.
„Ja, das ist Epsilon Tucanae, ein hochtemperierter Stern der Klasse B9, mit einer Leuchtkraft von achtundsiebzig unserer Sonnen“, flüsterte Mwen Maas.
Dar Weter und Junius Antus nickten bestätigend.
Das Blickfeld veränderte sich, wurde kleiner und schien bis auf den Boden der unbekannten Welt abzusinken.
Abgerundete, wie aus Kupfer gegossene Bergkuppen ragten in die Höhe. Eine unbekannte Gesteinsart oder ein Metall von körniger Struktur brannte lichterloh unter dem erstaunlich hellen Licht der blauen Sonne. Sogar in dieser unvollkommenen Wiedergabe glänzte diese unbekannte Welt majestätisch und strahlte eine siegreiche Herrlichkeit aus.
Die reflektierten Strahlen umgaben die Konturen der kupfernen Berge mit einer silbrig-rosafarbenen Krone, die sich auf den langsam dahinwogenden Wellen eines violetten Meeres als breiter Streifen widerspiegelte. Das Wasser, von einer satten Amethystfarbe, schien schwerflüssig und von lodernden Flammen wie von unzähligen lebendigen Augen erfüllt. Die Wellen umspülten das massive Postament einer riesigen Statue, die stolz und verlassen weitab von der Küste im Meer stand. Es war die aus dunkelrotem Stein gemeißelte Gestalt einer Frau, die mit zurückgeworfenem Kopf und wie in Ekstase ihre Arme gegen den flammenden Himmel streckte. Sie hätte durchaus eine Tochter der Erde sein können — die Ähnlichkeit mit unseren Menschen war nicht weniger frappierend als die außergewöhnliche Schönheit der Statue selbst. In ihrer Gestalt — dem zur Wirklichkeit gewordenen Traum jeden irdischen Bildhauers — verband sich ungeheure Kraft mit einer Durchgeistigung jeder einzelnen Linie. Der polierte rote Stein der Statue war vom Feuer eines unbekannten und deshalb geheimnisvollen und anziehenden Lebens erfüllt.