Die Geschwindigkeit des Schiffs war weiter gedrosselt worden, bis es mit weniger als Fluchtgeschwindigkeit dahinflog. Die Tantra konnte vom Eisenstern nicht loskommen. Keines der Besatzungsmitglieder dachte an Essen oder Schlafen. Viele bange Stunden lang harrten sie in der Steuerzentrale aus, während sich der Kurs des Sternenschiffs immer mehr krümmte und sie schließlich in dem verhängnisvollen elliptischen Orbit dahinjagte. Das Schicksal der Tantra war somit besiegelt.
Ein plötzliches Stöhnen ließ alle zusammenfahren. Der Astronom Pur Hiss war aufgesprungen und schlug wild mit den Armen um sich. Sein verzerrtes Gesicht war nicht wiederzuerkennen, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem eines Menschen der Ära des Großen Rings. Angst, Mitleid mit sich selbst und Rachegelüste hatten jede Spur von Verstand aus der Miene des Wissenschaftlers getilgt.
„Er ist schuld, er war es!“, brüllte Pur Hiss und zeigte auf Pel Lin. „Dieser Schwachkopf, dieser Hohlkopf, dieser hirnlose Wurm…!“ Der Astronom verschluckte sich, als er nach längst vergessenen Schimpfwörtern seiner Urahnen suchte.
Nisa, die neben ihm stand, wandte sich angeekelt von ihm ab. Erg Noor erhob sich.
„Was soll diese Beschimpfung Ihres Gefährten! Die Zeiten, wo Fehler mitunter absichtlich begangen wurden, sind längst vorbei. Und in diesem Fall…“ Noor drehte lässig an den Hebeln der Rechenmaschine. „… liegt, wie Sie sehen, die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers bei dreißig Prozent. Berücksichtigt man noch die Depression, die unweigerlich zu Schichtende auftritt, und die Erschütterung durch das Schaukeln des Sternenschiffs, so zweifle ich nicht daran, dass Sie, Pur Hiss, denselben Fehler begangen hätten.“
„Und Sie?“, stieß der Astronom etwas weniger wutentbrannt hervor.
„Ich? Ich nicht. Ich habe etwas so Ungeheuerliches bereits während der sechsunddreißigsten Sternenexpedition erlebt… Aber es ist meine Schuld — in der Hoffnung, das Sternenschiff selbst durch das unerforschte Gebiet zu steuern, habe ich nicht genügend Vorsorge getroffen und mich auf einfache Instruktionen beschränkt.“
„Woher hätten Sie wissen sollen, dass das Schiff ohne Sie in dieses Gebiet gerät?!“, rief Nisa.
„Ich hätte es wissen müssen“, antwortete Erg Noor entschieden und wies damit Nisas freundschaftliche Unterstützung zurück. „Aber darüber zu sprechen hat erst auf der Erde Sinn…“
„Auf der Erde!“, winselte Pur Hiss, und selbst Pel Lin machte eine betretene Miene. „Wie kann man nur so reden, wo alles verloren ist und der Tod uns erwartet.“
„Nicht der Tod, sondern ein schwieriger Kampf erwartet uns“, entgegnete Erg Noor bestimmt und ließ sich in den Sessel vor dem Pult sinken. „Setzen Sie sich! Wir haben Zeit, bis die Tantra anderthalb Umläufe gemacht hat…“
Die Anwesenden gehorchten, ohne ein Wort zu sagen, und Nisa tauschte ein triumphierendes Lächeln mit dem Biologen — trotz aller Hoffnungslosigkeit des Augenblicks.
„Zweifellos hat der Stern einen Planeten, ich vermute sogar zwei, nach der Krümmung der Isograven zu urteilen. Die Planeten müssen, wie Sie sehen…“ — der Expeditionsleiter fertigte rasch eine genaue Skizze an — „… ziemlich groß sein und folglich eine Atmosphäre haben. Vorläufig besteht keine Notwendigkeit zu landen, da wir noch genügend atomaren festen Sauerstoff haben.“
Erg Noor verstummte, um seine Gedanken zu sammeln.
„Wir werden zu einem Satelliten des Planeten und ihn auf seiner Umlaufbahn umkreisen“, fuhr er fort. „Wenn sich seine Atmosphäre als geeignet erweist und wir unsere Luft verbraucht haben, dann reicht der planetarische Treibstoff noch immer aus, um zu landen und um Hilfe zu rufen. „Innerhalb des nächsten halben Jahrs können wir die Richtung berechnen, unsere Erkenntnisse über die Sirda durchgeben, ein Hilfsschiff anfordern und unser Schiff retten.“
„Wenn uns das gelingt…“, sagte Pur Hiss und schnitt ein Gesicht, um seine aufflackernde Freude zu verbergen.
„Ja, wenn!“, stimmte Erg Noor zu. „Aber es ist klarerweise unser Ziel. Wir müssen all unsere Kraft daransetzen, genau das zu erreichen. Sie, Pur Hiss und Ingrid, führen die Beobachtungen und Berechnungen der Planetenausmaße durch. Ber und Nisa, Sie beide errechnen aufgrund der Planetenmasse die Fluchtgeschwindigkeit und daraus die Umlaufgeschwindigkeit sowie den optimalen Radianten für den Umlauf des Sternenschiffs!“
Die Forscher begannen, für alle Fälle auch Vorbereitungen für eine Landung zu treffen. Der Biologe, die Geologin und die Ärztin bereiteten den Abwurf einer automatischen Aufklärungsstation vor, die Mechaniker stellten die Landeradargeräte und — scheinwerfer ein und machten einen Raketensatelliten für die Übermittlung der Botschaft auf die Erde klar.
Nach dem Schrecken und der Hoffnungslosigkeit, die sie ausgestanden hatten, ging die Arbeit besonders schnell voran und wurde nur unterbrochen, wenn das Sternenschiff durch Gravitationswirbel wieder mal ins Schaukeln geriet. Inzwischen hatte die Tantra ihre Geschwindigkeit so stark gedrosselt, dass diese Schwankungen der Besatzung nichts mehr anhaben konnten.
Pur Hiss und Ingrid stellten zwei Planeten fest. Auf eine Annäherung an den äußeren musste verzichtet werden — er war riesig, kalt und von einer starken, wahrscheinlich giftigen Atmosphäre eingehüllt, die für sie den Tod hätte bedeuten können. Hätten sie sich eine Todesart aussuchen sollen, so wäre es wahrscheinlich besser gewesen, an der Oberfläche des Eisensterns zu verbrennen, als das Schiff durch eine tausend Kilometer dicke Eisschicht zu stoßen und dann in der Finsternis einer Ammoniakatmosphäre zu ertrinken. Solche schrecklichen Riesenplaneten gab es auch im Sonnensystem, nämlich Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
Die Tantra näherte sich unaufhaltsam dem Stern. Nach neunzehn Tagen lagen die Ausmaße des inneren Planeten vor — er war größer als die Erde. Da er sich ziemlich nahe an seiner eisernen Sonne befand, jagte er mit rasender Geschwindigkeit auf seiner Bahn dahin — das Jahr des Planeten betrug kaum mehr als zwei bis drei Erdenmonate. Der unsichtbare T-Stern erwärmte ihn wahrscheinlich ausreichend mit seinen schwarzen Strahlen — und sollte es dort eine Atmosphäre geben, so hatte sich vielleicht auch Leben entwickelt. In diesem Fall würde eine Landung besonders gefährlich sein…
Fremdes Leben, das sich unter den Bedingungen anderer Planeten entwickelt und einen anderen Weg der Evolution beschritten hatte, war ungeachtet der Tatsache, dass es sich im ganzen Kosmos in einer gemeinsamen Form von Eiweißkörpern manifestierte, für Erdenbewohner äußerst gefährlich. Die Abwehrkräfte, die die irdischen Organismen im Verlaufe von Millionen von Jahrhunderten gegen schädliche Abfälle und krankheitserregende Bakterien entwickelt hatten, waren gegenüber fremden Lebensformen hilflos. Und im selben Maße waren auch Lebewesen anderer Planeten auf der Erde gefährdet.
Die Haupttätigkeit tierischen Lebens — töten, um zu fressen, und fressen, um zu töten — äußerte sich bei einem Zusammentreffen von Tieren verschiedener Welten mit bedrückend brutaler Grausamkeit. Unglaubliche Krankheiten, schlagartig auftretende Epidemien, ungeheuerlich sich vermehrende Schädlinge und schreckliche Verletzungen waren die Folgen der ersten Forschungsreisen zu bewohnbaren, aber von Menschen unbewohnten Planeten. Deshalb führten auch andere Welten, die von intelligenten Lebewesen besiedelt waren, eine Vielzahl von Versuchen und vorbereitenden Maßnahmen durch, bevor sie mittels Sternenschiffe in direkten Kontakt mit fremden Welten traten. Auf der Erde, die weitab von den dicht gedrängten Lebenszentren der Galaxis liegt, waren noch keine Gäste von Planeten anderer Sterne, noch keine Vertreter anderer Zivilisationen angekommen. Der Rat für Sternschifffahrt hatte erst vor Kurzem die Vorbereitungen für den Empfang von Freunden von nicht weit entfernten Sternen im Ophiuchus, Cygnus, Ursa Major und Apus abgeschlossen.