Es bestand nun kein Zweifel mehr, dass die Sirda durch die Anhäufung schädlicher Strahlen infolge zahlreicher riskanter Versuche und einer unbedachten Nutzung gefährlicher Arten von Kernenergie zugrunde gegangen war. Die Bewohner der Sirda hätten besser nach weniger schädlichen Energiequellen suchen sollen.
Das Rätsel war längst gelöst, und die Besatzung des Sternenschiffs hatte inzwischen bereits zweimal ihren drei Monate dauernden Schlaf mit ebenso langen Zeiten normalen Lebens vertauscht. Nun kreiste die Tantra schon seit Tagen um den grauen Planeten, und mit jeder Stunde wurde die Hoffnung, mit der Algrab zusammenzutreffen, geringer. Etwas Schreckliches bahnte sich an…
Erg Noor blieb auf der Türschwelle stehen und betrachtete die in Gedanken versunkene Nisa. Ihr geneigter Kopf mit dem dichten Haarschopf glich einer flaumig weichen Goldblume. Das neckische, lausbubenhafte Profil, die etwas schräg gestellten Augen, die sie beim Lachen zusammenkniff, waren jetzt weit geöffnet und blickten besorgt und zugleich tapfer in die unbekannte Zukunft! Das Mädchen ahnte nicht, was für einen enormen psychischen Halt sie ihm mit ihrer grenzenlosen Liebe gab. Obwohl die langen Jahre der Prüfungen seine Willenskraft und seine Gefühle gestählt hatten, war er der Rolle des Kommandanten manchmal müde, verlangte diese ihm doch die ständige Bereitschaft ab. In jeder Minute trug er allein die Verantwortung für die Besatzung, das Schiff und den Erfolg der Expedition. Auf der Erde gab es längst keine solche Einzelverantwortung mehr — Entscheidungen wurden dort stets von einer Gruppe von Menschen getroffen, die gemeinsam mit einer Aufgabe betraut waren. Und geschah etwas Außergewöhnliches, so konnte man sofort Rat einholen, auch wenn das Problem noch so kompliziert war. Hier aber gab es niemanden, den man um Rat hätte fragen können, und aus diesem Grund besaßen die Kommandanten von Sternenschiffen Sonderbefugnisse. Es wäre leichter gewesen, hätte sich eine solche Zeit der besonderen Verantwortung auf zwei, drei Jahre und nicht auf zehn bis fünfzehn Jahre erstreckt, wie es bei einer durchschnittlichen Sternenexpedition der Fall war!
Erg Noor betrat die Steuerzentrale.
Nisa kam ihm entgegen.
„Ich habe das nötige Material und die Karten zusammengestellt“, sagte er. „Die restliche Arbeit überlassen wir der Maschine!“
Der Expeditionsleiter streckte sich im Sessel aus, blätterte langsam die dünnen Metallfolien durch und diktierte die Koordinaten, die Stärke der magnetischen, elektrischen und gravitativen Felder, die Stärke des Korpuskelstroms, die Geschwindigkeit und die Dichte von Meteorströmen. Blass vor Anspannung drückte Nisa auf Knöpfe und betätigte die Schalter des Computers, um die Daten einzugeben. Wenig später lieferte die Maschine eine Reihe von Antworten, und Erg Noor runzelte die Stirn und versank in tiefes Nachdenken.
„Auf unserem Weg liegt ein starkes Gravitationsfeld, ein Gebiet mit einer Anhäufung von Dunkelmaterie im Skorpion, in der Nähe des Sterns 6555-Zr+11-PKU“, begann Noor. „Um Treibstoff zu sparen, müssen wir dorthin, zur Schlange, ausweichen.
Früher nützte man Gravitationsfelder als Beschleuniger, indem man ohne Antrieb an ihrem Rand entlangflog…“
„Können wir das auch machen?“, fragte Nisa.
„Nein, dafür sind unsere Sternenschiffe zu schnell. Eine Geschwindigkeit von fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit oder zweihundertfünfzigtausend Kilometer pro Sekunde würde unser Gewicht im Gravitationsfeld der Erde um das Zwölftausendfache erhöhen, das heißt, die ganze Expedition in Staub verwandeln. Nur im Kosmos, weitab von großen Materieanhäufungen, können wir so fliegen. Sobald das Sternenschiff in ein Gravitationsfeld gerät, muss die Geschwindigkeit gedrosselt werden, und zwar umso mehr, je stärker das Feld ist.“
„Ein Widerspruch also“, sagte Nisa und stützte auf kindliche Art ihr Kinn mit der Hand ab. „Je stärker das Gravitationsfeld ist, desto langsamer muss man fliegen!“
„Das trifft nur bei gewaltigen Unterlichtgeschwindigkeiten zu, wenn das Sternenschiff selbst zu einer Art von Lichtstrahl wird und sich nur auf einer Geraden oder in einer sogenannten Kurve gleicher Spannungen fortbewegen kann.“
„Wenn ich richtig verstanden habe, müssen Sie ›unseren Lichtstrahl‹, die Tantra, direkt auf das Sonnensystem zusteuern.“
„Darin liegt die Hauptschwierigkeit bei der Sternenschifffahrt. Einen Stern genau anzuvisieren ist praktisch unmöglich, auch wenn wir alle nur erdenklichen rechnerischen Korrekturen durchführen. Während des ganzen Fluges muss der auflaufende Fehler berechnet und der Kurs des Schiffes dementsprechend korrigiert werden. Und genau deshalb funktioniert auch die vollautomatische Steuerung nicht. Gegenwärtig befinden wir uns in einer gefährlichen Lage. Ein plötzliches Abbremsen oder auch nur eine starke Verlangsamung des Flugs bedeutet für uns den sicheren Tod, da uns nach dieser Beschleunigung nichts mehr bleibt, um die nötige Geschwindigkeit zu erreichen. Sehen Sie, die Gefahr liegt hier: Das Gebiet 344+2U ist gänzlich unerforscht. Dort gibt es keine Sterne, nur das Gravitationsfeld ist bekannt — hier ist sein Rand. Mit der endgültigen Entscheidung warten wir auf die Astronomen, nach dem fünften Kreis wecken wir alle auf, und bis dahin…“ Der Expeditionsleiter rieb sich die Schläfen und gähnte.
„Die Wirkung des Sporamins lässt nach“, rief Nisa, „Sie können sich hinlegen!“
„Gut, ich werde es mir hier im Sessel bequem machen. Vielleicht geschieht ein Wunder — vielleicht erreicht uns doch noch eine Nachricht von der Algrab!“
In Erg Noors Stimme schwang etwas mit, was Nisas Herz vor Zärtlichkeit schneller schlagen ließ. Sie hätte diesen eigensinnigen Kopf zu gern an sich gedrückt und das schwarze, vorzeitig etwas ergraute Haar gestreichelt…
Nisa erhob sich, legte die Unterlagen, die der Kommandant zusammengesucht hatte, sorgfältig zusammen und löschte das Licht bis auf die schwache, grüne Beleuchtung entlang der Konsole mit den Messgeräten und der Uhr. Das Sternenschiff flog vollkommen ruhig in der gänzlichen Leere des Kosmos dahin und beschrieb seine gigantische Kurve. Die rothaarige Astronavigatorin nahm lautlos ihren Platz am „Gehirn“ des Riesenschiffes ein. Die Geräte waren auf eine ganz bestimmte Melodie gestimmt und summten wie gewohnt leise vor sich hin, die kleinste Veränderung würde sogleich durch einen falschen Ton angezeigt. Doch die leise Melodie rieselte in der vorgegebenen Tonalität durch den Raum. Ab und zu wiederholten sich gedämpfte Laute wie die Schläge eines Gongs, das waren die planetarischen Hilfstriebwerke, die sich einschalteten und die Tantra auf dem richtigen Kurs hielten. Die furchterregenden Anamesontriebwerke schwiegen. Die Ruhe einer langen Nacht lag über dem verschlafenen Sternenschiff, als drohte ihm und seiner Besatzung keinerlei ernste Gefahr. Gleich würden im Lautsprecher die lang erwarteten Rufsignale ertönen, die beiden Schiffe würden ihren unglaublich schnellen Flug bremsen, auf einen parallelen Kurs einschwenken und nach Angleichung ihrer Geschwindigkeit schließlich nebeneinander zu liegen kommen. Eine große, röhrenförmige Schleuse würde die Algrab mit der Tantra verbinden, wodurch Letztere ihre gigantische Stärke zurückgewinnen würde.