„Nein, danke!“ Meine Stimme überschlug sich.
Das Rot erlosch, und ich verließ die ungastliche Halle.
Türen, Schächte, Korridore, Lifts, Gänge, Treppen, Tore, Hallen. Gekrümmte Korridore und gerade verlaufende. Ein toter Gang. An seinen Seiten standen seltsame Figuren, bald wie ein Mensch, bald wie ein Roboter aussehend. Ich ergriff ihre schlaffen Arme, schaute in die leeren Helme, erwartete eine Bewegung, doch nichts geschah. Einen löste ich aus seiner Halterung, die richtigen Handgriffe fand ich schnell. Er fiel auf mich, mit Armen und Beinen schlenkernd. Entsetzt befreite ich mich von ihm. Er blieb liegen, ein lebloses Bündel, dessen unmenschlich verkrümmte Gliedmaßen mir zu drohen schienen. Vorsichtig schlich ich zurück.
Da! Ein sanftes Surren. Aus der Dunkelheit tauchte ein bedrohlich bizarres Gefährt auf. Ein Serviceroboter mit erhobenen Zangen. Schreckensstarr drückte ich mich ganz eng an die Wand, dann war er vorbei, und ich atmete auf.
Erschöpft und zerschlagen — wie nach der längsten Wanderung durch den Naturpark — suchte ich mir einen Liegeplatz, öffnete Türen aufs Geratewohl und sah in die Räume dahinter: Manche wurden von riesigen Apparaturen ausgefüllt, verschlungenen Glasgeräten, Instrumenten in faltigen Plastikumhüllungen.
Dann entdeckte ich einen Sessel, ich kannte nur noch einen Wunsch, ich setzte mich auf ihn, zog dann meine Füße an, drehte mich zur Seite, rollte mich ganz zusammen, mit der Linken meinen Beutel umklammernd. Frierend schlief ich ein.
Ich träumte vom Gewirr der Kabel und Röhren, die wie Lianen im Dschungel zuckten und lebten, von Millionen Anzeigelichtern, die funkelten und blitzten, vor allem aber von den endlosen, verwinkelten Korridoren mit unzähligen Türen, die sich gespenstisch öffneten und schlossen im Atemrhythmus des Schiffs, durch das ich, von einer unverständlichen Furcht getrieben, hetzte.
Als ich erwachte, wärmte mich eine weiche bunte Decke. Unwillig schob ich sie zur Seite, stand auf, meine Glieder waren noch starr, ich verspürte große Lust nach einem schnellen Bad, aß einen Fladen und zwei Äpfel.
Auf dem Pult vor dem Nachbarsessel strahlte eine kleine Tafel grün: FÄHREN EINSATZBEREIT. Das Pult reichte mir bis zur Brust. Ich drückte wahllos auf die Knöpfe, ein Summen ertönte, Lichter flammten auf, ein Gerät zu meiner Linken spuckte einen langen Papierstreifen aus. Schlagartig schien die Frontwand verschwunden zu sein, ich sah hinab in eine Halle, die größer noch war als die, die ich am Vortag erkundet hatte. In ihr standen riesige metallene Käfer in langen Reihen. Doch sosehr ich auch schaltete, nichts geschah dort unten. Als ob mir das richtige Wort fehlen Würde, als ob ich den entscheidenden Knopf übersehen hätte.
„Du bist noch zu klein, Beth“, sagte die vertraute Stimme Guros. „In zehn Jahren wirst du die Fähren steuern können — und dürfen.“
„Ich bin schon groß“, protestierte ich, „ich bin allein durch das gesamte Schiff gegangen. Ich kann das!“
„Und was willst du mit den Fähren tun?“
Guros Frage verwirrte mich. Ich wollte mit den Fähren spielen, ja, aber was? Ohne antworten zu können, verließ ich den Raum. Ich war zu klein! Ich! Ich würde es Guro schon zeigen. Bald! Nicht erst in zehn Jahren! Die paar Knöpfe! Das ließ sich schnell lernen, wie man mit denen richtig spielte!
Auf und ab. Nach links, nach rechts. Durch diese Tür, durch jenes Schott. HAVARIEAUTOMATIK. ENERGIESEKTION: ZUTRITT NUR IM SCHUTZANZUG. Lichtpfeile an den Wänden, auf den Bildschirmen. Farben und Zahlen. COMPUTERZENTRUM. LIFT β.
Je weiter ich lief, je mehr ich sah, desto weniger verstand ich. Oh, was hätte ich in diesen Stunden des Wanderns darum gegeben, Herr zu sein über all diese versteckten Wunder, über die Räume und Sektionen, zu denen mir der Zutritt verwehrt war, über die unbekannten Geräte, die ich nicht in Gang setzen konnte. So trieb ich dahin, hatte längst jede Orientierung verloren. Der Proviant ging zur Neige. Ich umklammerte fester den Beutel, er allein verband mich noch mit dem Naturpark und meinen Geschwistern. Selbst wenn ich rannte, fror ich bis auf die Knochen. Die Dinge um mich waren kalt und tot, und auch Guros Stimme gehörte zu diesen kalten und toten Dingen. Die leeren Gänge bedrückten mich.- Ich haßte diese gekrümmten Korridore, ich haßte ihre gleichmäßigen Farben. Ich wollte zurück, zurück in den Naturpark. Aber noch hatte ich den Stolz, den Weg dahin allein zu finden.
Nach oben! Dort irgendwo mußte eine Tür in den Naturpark führen. Doch hinter jeder erwartete mich das fade Licht des Schiffs. An den Pfeilen, den Markierungen versuchte ich mich zu orientieren, vielleicht bewegte ich mich im Kreis? Das Schiff war ja so groß und nichts mir vertraut. Ich las die Nummern der Trakte, die Zahlen ver-schwammen vor meinen Augen. Mein Magen knurrte, doch der Beutel enthielt keine Krume mehr. Vor Guro kapitulieren? Niemals! Ich schimpfte auf ihn, doch die Korridore schwiegen. Ich rief nach Alfa, rief sogar nach Delth, aber niemand antwortete, und wehe, Guro versuchte seinen Trick und redete mich an, dann hielt ich mir die Ohren zu und hastete weiter.
Irgendwo schlief ich ein. Als ich erwachte, befand ich mich im Naturpark, eine Stunde von unserem beliebten See entfernt. Laut schimpfte ich auf die Gemeinheit Guros und war so froh dabei.
Basteln und Büffeln
Wir waren acht. Die jüngeren Geschwister spielten noch im Naturpark, tummelten sich auf der Spielwiese, krabbelten im Kinderzimmer, klammerten sich an ihre Rammas, formten sich in den Inkubatoren oder waren noch nicht gezeugt. Nur wir acht ältesten trugen schon die geschmeidige Kombination. Nur uns hatte Guro bislang in den technischen Teil des Schiffes geleitet. Nicht zu allen Räumen hatten wir Zutritt, oft versperrten uns Türen mit roten Signallampen den Weg. In diesem Alter nahmen wir das noch hin, außerdem hatten wir von dem uns zugänglichen Teil längst nicht alles gesehen. Und jeden Tag stellte uns Guro schwierigere Aufgaben.
Zahnrädchen lagen auf meinem Platz, verstreute Achsen und Schrauben, dazu Werkzeug, ein Heft mit Instruktionen. Woher sollte ich wissen, welche Schraube wohin gehörte? Im Naturpark gab es dergleichen nicht, und die Zeichnung war so kompliziert. Und doch, als ich Zeths vertieften Blick und die Ratlosigkeit von Alfa und Teth sah, faßte ich Mut, probierte eben drauflos. Einzeln oder in Zweiergruppen bastelten wir um die Wette, versuchten, das Geheimnis der zappelnden Federn zu ergründen.
Eta zappelte dabei ebensosehr. Und zu unserem Ärger unterhielt sie sich mit ihrem Materiaclass="underline" „Willst du wohl endlich festsitzen, du häßliche Schraube!“ Sosehr wir protestierten, ihre Zunge blieb in ständiger Bewegung. Dann machte sie uns weis, sie sei fertig, und holte von Guro mehr Federn. Sie hatte entdeckt, daß diese, gespannt und angezupft, singende Töne von sich gaben. Ganz entzückt lauschte sie. Wir flehten um Ruhe, schimpften mit ihr und brachten es, wenn sie uns mit Augen voller unschuldiger Freude anschaute, doch nicht übers Herz, sie auszusperren.
Stunden konnten so vergehen, bis Guro uns unterbrach, zum Essen rief. Oder wir warfen den Schraubenzieher protestierend auf den Tisch, auch das geschah. Aber zumindest Zeth setzte sich nach der Pause oder am nächsten Tag wieder an die Arbeit. Dann bastelten auch wir weiter, bis es gelang, bis die primitive Uhr endlich tickte oder die mechanische Maus über den Boden rannte. Das war das Wichtigste, was wir lernten: daß wir mit Geduld alles erreichen, alles schaffen konnten.
Wie unsere Fähigkeiten wuchsen die Aufgaben. Wie leicht war es noch, einfache Stromkreise zusammenzuschalten, und wie vergnüglich, sich krächzend über das eben konstruierte Telefon zu unterhalten. Alle Intercoms des Schiffs waren vergessen. Und Delth fand eine neue Möglichkeit, meinen Mut auf die Probe zu stellen: „Gib mir die Hand, Beth, und greif mit der anderen den Draht an, es sind nur ein paar Volt.“