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Guros lange Erzählungen von Forschem und Erfindern inspirierten uns zu den verschiedensten Versuchen. Wir waren Forscher und Erfinder! Dabei reichte unser Wissen kaum für eine Aufgabe. Guro verwies uns, obwohl er über alles informiert war, immer häufiger an die Displays, an denen wir lernten, dem Computer in seiner Sprache Fragen zu stellen: nach chemischen Substanzen, die wir für ein Experiment benötigten, nach Daten von Geräten, die wir uns aus einem Lager beschafft hatten.

Anderes besorgten wir uns aus dem Naturpark, junge Pflanzen und Insekten, Frösche und kleine Nager. Wir wollten wissen, wie sie das zustande brachten, zu wachsen und sich zu vermehren.

„Wenn alles aus deinen Atomen besteht, Guro, wieso können die Dinge dann so verschieden sein wie tote Metallschrauben und Bäume, die wachsen, und wie wir?“ Seine Antworten auf Gammas Fragen klangen ausweichend. Wir wollten uns selbst von der Existenz jener respektheischenden winzigen Bausteine überzeugen, doch Guro vertröstete uns mit seinem Lieblingsspruch: „Ihr müßt noch viel lernen.“

Während ich mit Gamma gern am Computer arbeitete, bevorzugte ich bei Tierversuchen Ilona als Partnerin — genau wie meine Geschwister. Ilona hatte einfach den richtigen Griff. Eine rasche Bewegung -schon stak die Kanüle im Mausefell, ein schnelles Zugreifen — schon hielt sie die Schlange hinter dem Kopf.

Teth dagegen! Daß ihm ständig Mäuse oder Fliegen entkamen, verstand ich. Aber selbst Schrauben schienen unter seinen Fingern lebendig zu werden und sich seinem Griff zy entwinden. Wenn ihm vor Wut die Tränen kamen, ließ er sich von Alfa trösten, die gewöhnlich Zeth überredete, seinem Bruder zu helfen. Sogar Delth nahm ab und zu von Zeth Hilfe an, Zeth war wegen seiner ausgeprägten Zurückhaltung kein Rivale für ihn.

Die Konstrukteure des Schiffs, die auch unser Leben planten, hatten keine Möglichkeit ausgelassen, uns das nötige Wissen möglichst schnell und umfassend zu vermitteln. Wir erfuhren später, daß unsere Speisen chemische Substanzen enthielten, die unsere Aufmerksamkeit erhöhten, und daß unsere Körperfunktionen ständig telemetrisch überwacht wurden, um eine physische Überforderung zu vermeiden. Guro und den wachsamen TV-Kameras des Schiffs entging nicht die geringste Geste, nicht das feinste Schwingen in der Stimme.

Als Teth, unter dessen ungeschickten Händen sich die Fäden am Webstuhl zu einem unentwirrbaren Knäuel verheddert hatten, trübsinnig zu Boden blickend, den Raum verlassen wollte, holte Guro ihn ein. „Teth, ich bin jetzt dein Werkzeug, und du mußt mir sagen, was ich tun soll.“

Teth schluckte ungläubig und zeigte auf seine verfitzten Fäden. Unter Guros kaum zu verfolgenden Fingerbewegungen war in Sekundenschnelle der Ausgangszustand wiederhergestellt. Wir anderen scharten uns um den Webstuhl, wollten das Werkzeug Guro miterleben. Und Teth kommandierte: „So, jetzt den roten Faden, dann gelb mit blau, dann…

Am Ende des Tages mußten wir eingestehen, daß niemand von uns, vielleicht mit Ausnahme von Eta, ein so schönes Muster hätte weben können. Teth war überglücklich, einmal unangefochten der Beste zu sein. Ich glaube, er hat Guro diese Hilfe nie vergessen, auch in dem Alter, in dem er längst wußte, daß Guro tatsächlich nur ein Werkzeug war.

Daran, wie wir unsere Aufgaben bewältigten, wurde unser psychischer Zustand gemessen, unser intellektueller Fortschritt, unsere geistige Reife. Die klassischen Tests der Psychologie waren überflüssig. Unser Wetteifern beim Züchten von Blumen, beim Ertüfteln von Programmen, Ausprobieren von Schaltungen, Experimentieren mit Taufliegen war alles in einem: Arbeit, die den Schweiß auf die Stirn trieb, verbissenes Lernen, ein großartiges, nie enden wollendes Spiel, komplexester Test unserer Fähigkeiten durch den Schiffscomputer und Vorbereitung, Jahre dauernde intensive und umfassende Vorbereitung.

Wir lernten schnell, mehrmals so schnell wie die hypothetischen irdischen Schulkinder. Das Lernen bereitete uns als Befriedigung eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses fast ausnahmslos Vergnügen. Daß es auch anders sein könne, kam uns nicht in den Sinn.

Ein eigenes Zimmer

Zwischen glatten Plast- und Metallwänden leben, in Zimmerschachteln und Gangrohren ohne das Grün der Bäume, das Zirpen der Insekten, ohne Gras unter den Füßen, dafür eingezwängt in Kleidung — lange konnten wir uns das nicht vorstellen. Doch nach und nach hatten wir uns durch unzählige Ausflüge und Spiele mit dem technischen Teil des Schiffs etwas vertraut gemacht. Aber noch betrachteten wir den Naturpark als unsere eigentliche Heimat.

Als ich etwa neun Jahre alt war, führte uns Guro in einen kurzen Gang. Jeder fand sein Symbol auf einer der Türen zur Linken oder zur Rechten wieder.

„Jeder von euch hat künftig ein eigenes Zimmer“, sagte Guro, „in das ihr euch zurückziehen könnt, wenn ihr ungestört sein wollt, das ihr ausgestalten könnt ganz nach euren Wünschen. In ihm werdet ihr von nun an auch schlafen.“

Ich öffnete die Tür mit dem blauen β und schaute mich um, noch ohne recht zu wissen, was ich hier sollte. Eine niedrige Liege, ein Computerterminal, das Intercom, ein Arbeitstisch, die Wände kahl bis auf die Leuchtkörper, ein leeres Regal. Ich setzte mich auf das Bett, stand wieder auf, klopfte auf dem Regal herum und lief wieder in den Gang. Teth und Ilona verließen ebenfalls ihre Zimmer.

Hier sollten wir künftig leben, wohnen? Es war kahl hier, leer und kalt. Wir würden nicht mehr einen Schlafsaal teilen, nicht mehr das gleichmäßige Atmen der Geschwister hören, wenn wir nachts erwachten. Wir würden allein sein im isolierten eigenen Raum im nüchternsten Teil des Schiffs, allein mit blanker Technik. Ich zuckte hilflos protestierend mit den Schultern, Guro würde seinen Willen durchsetzen. Teth, der schon Ilonas Hand erfaßt hatte, griff nun auch nach meiner.

„Ihr könnt euch ja gegenseitig besuchen“, bemerkte Guro, wie stets über unsere Gefühle informiert. „Den Schlafsaal braucht jetzt eine jüngere Gruppe. Ihr wißt, das Schiff produziert regelmäßig neue Geschwister.“

Wir schwiegen. Nach einer Weile setzte Guro hinzu: „Ihr müßt euch die Zimmer einrichten nach eurem Geschmack, dann werden sie euch gefallen.“

„Ich brauche keinen eigenen Raum“, verkündete Eta aus ihrem Zimmer heraus.

„Vielleicht noch nicht“, antwortete Guro und betonte das „noch“.

An die erste Nacht im eigenen Zimmer erinnere ich mich gern. Ich lag da auf der neuen, nicht zu weichen Liege, hatte die Augen geschlossen. Es war warm, ja ruhig, alles war in Ordnung, aber nein, alles war fremd und leer. Ich dachte an meine Geschwister, die Tiere im Naturpark, die Gedanken drehten sich im Kreise.

Es kratzte an meiner Tür ganz leise, ich schrak auf. Eine in der dünnen Nachtbeleuchtung nicht zu erkennende Gestalt schlüpfte in mein Zimmer.

„Ich kann nicht einschlafen“, sagte die Gestalt, es war Gamma. Sie setzte sich ganz selbstverständlich auf mein Bett, zog die Füße unter das sehr weite Nachthemd. „Du hast doch genug Platz?“

„Wenn nicht mehr kommen“, sagte ich erleichtert.

Die Liege, Erwachsenen angemessen, bot genug Platz für uns beide. Doch noch ehe wir unsere Beine sortiert hatten - jeder nahm sich ein Ende der Liege — war ein Geräusch auf dem Gang zu vernehmen.

Wir hielten den Atem an. Gamma hatte die Tür einen Spalt offengelassen. Nun hörten wir eine weinerliche Stimme: „Wo seid ihr denn alle? Hallo…“

Teth kam herein und schnaufte. „Da seid ihr…, Beth, du…“ Er rüttelte mich, obwohl ich völlig wach war.

„Beth, Gamma, die anderen sind alle weg. Ich, ich hab nicht schlafen können…, ihre Zimmer ganz leer…, die sind eingeschlafen und puff — weg!“ Teth schnaufte wieder.

„Wir müssen nachsehen, die können nicht weg sein!“ Gammas Stimme klang besorgt.