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Zu dritt tapsten wir auf den ebenfalls nächtlich schwach beleuchteten Gang. Zeths Zimmer — leer. Ilonas Zimmer — leer, das Bett unberührt.

„Das ist mein Zimmer“, unterbrach Teth die Suche. Wir gingen weiter. Etas Zimmer — leer, Delths Zimmer — leer, die Bettdecke fehlte. Langsam wurde mir unheimlich, schnell tasteten wir uns an Gammas und an meinem Zimmer vorbei, öffneten die Tür von Alfas Raum.

Leises Geschnatter schlug uns entgegen. Da lagen sie, kreuz und quer, im Bett, auf dem Boden. Wir schubsten uns eine Ecke frei, ich rannte noch nach meiner und Gammas Decke, dann, glücklich vereint, versuchten wir wieder einzuschlafen. Doch jede Minute zuckte jemand, streckte sich ein Bein aus, deckte sich einer auf, um besser Luft zu bekommen. An Schlaf war nicht zu denken.

Schließlich fanden wir den Dreh. Wir gingen zurück in unsere Zimmer, ließen aber die Intercoms eingeschaltet. So konnte jeder jeden hören, die Gemeinschaft blieb erhalten. Langsam erzählten wir uns in den Schlaf. Es war wie am Tag vorher, wie in den guten alten Zeiten des Schlafsaals. Am nächsten Morgen schien das Atmen der noch schlafenden Geschwister das ganze Schiff zu füllen.

In den folgenden Tagen lernten wir, uns einzurichten. Alfa schmückte ihr Zimmer als erste mit Blumen. Tiere entnahmen wir nicht aus dem Naturpark, weshalb auch, wir konnten ja dort mit ihnen spielen.

Delth verzierte sein Zimmer mit Bildern von Vulkanausbrüchen, Überschwemmungen und Wirbelstürmen. Eta entdeckte in dieser Zeit ihre Vorliebe für Musik. Sie stopfte ihren Raum mit Flöten jeden Kalibers voll, die nach irdischen Vorbildern von den Automaten des Schiffs hergestellt wurden. Sie lernte sogar, auf ihnen zu spielen. Später, viel später bestellte sie sich ein Spinettino.

Ich überlegte lange, wie ich mein Zimmer ausgestalten sollte. Alles erschien mir zu speziell. Und die wenigen privaten Dinge, darunter mein Teddy, die ich aus dem Schlafsaal und den Spielzimmern holte, nahmen sich verloren im großen Regal aus. Zeth bastelte gern in seinem Zimmer, aber das konnte ich in einer Werkstatt besser. Von Gamma übernahm ich die Idee, mir Bücher zu bestellen, sie zu lesen und ins Regal zu schieben, das sah bunt und klug aus. Aber war nicht die direkte Benutzung des Computerterminals günstiger? Am ehesten noch glaubte ich durch abstrakten Schmuck der Wände meinem Empfinden Ausdruck verleihen zu können. Jedenfalls hingen in späteren Jahren vielfarbige Risse des Schiffs, bunte Schaltschemata und die verwirrenden Übersichten über biochemische Reaktionswege in meinem Raum. Bis auch sie mir zu langweilig wurden.

Nur das Panoramafenster in der Stirnwand, für das man beliebige Ansichten programmieren konnte, bereitete mir keinerlei Kopfzerbrechen. Mochte Teth es ständig wechseln — von flachen irdischen Wiesen zu zerklüfteten irdischen Gebirgen, zu endlos weiten irdischen Meeren, aber stets mit tiefblauem Himmel und einer strahlenden Sonne so kannte ich nur eine Variante. Und mein letzter Blick, bevor ich einschlief, fiel darauf und der erste, wenn ich erwachte: auf den endlosen schwarzen Abgrund des Kosmos, aus dem nur die gestochen scharfen Punkte der Sterne herausleuchteten. Es war, als hätte die Wand des Schiffs eine Aussparung, als reichte das Vakuum bis in mein Zimmer.

Spekulationen

Gamma überraschte uns zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten mit kühnen Gedanken. Sie verbrachte längere Zeit als wir anderen an den Lehrmaschinen, den Computerterminals, bei den Wissensspeichern und saugte begierig alles in sich auf, was die Konstrukteure des Schiffs in den winzigen Kristallen der Informationsträger kodiert hatten.

Neue und verwunderliche Fakten fanden wir alle bei unseren Anfragen aufs Geratewohl. Aber nur Gamma ließ sich von den Ausgabedaten inspirieren, deutete sie um, knüpfte eigene Meinungen daran. Was uns als bare Münze und letztes Wort der Erde galt, bedeutete ihr nur den Ausgangspunkt einer langen und sich ständig verzweigenden Gedankenkette. Und oft verwirrte sie uns mit ihren unbeantwortbaren Fragen und absonderlichen Ideen.

Gamma glaubte den gespeicherten Nachrichten von der Erde und über den Kosmos nicht. Sie stiftete mich an, viele von den trivialeren Fakten auf den unterschiedlichsten Wissensgebieten experimentell zu überprüfen. Tagelang beschäftigten wir uns damit, im Naturpark und in den großen radialen Röhren des Schiffs Steine fallen zu lassen. Die Tabellen von Fallzeit und -strecke, die wir sorgfältig aufstellten, stimmten nicht mit den vom Computer errechneten überein. Unsere Steine fielen schneller und wichen stets von der Geraden ab.

Die Geschwister, denen das geplante Lernen und die normalen Basteleien genügten, lachten nur, wenn wir ihnen von unseren Experimenten berichteten oder sie aufforderten, daran teilzunehmen.

„Das schadet euch gar nichts. Was müßt ihr auch klüger sein wollen als der Computer! Wozu herummessen, wenn er die Ergebnisse von vornherein und besser weiß!“ Delth schlug sich vergnügt auf die Schenkel.

„Habt ihr die Steine richtig gewogen? Und wieviel ist drei mal drei?“ neckte uns Eta.

Die Steine abwiegen! Falsch messen! Verrechnen! Es war eine Beleidigung.

„Ein Widerspruch - und alles kann Schwindel sein!“ verteidigte sich Gamma.

Wenn ich daran dachte, welche Berge von Fakten und Gesetzen wir überprüfen mußten, um sicherzugehen, wurde mir schwarz vor Augen.

„Die Menschheit hat mehrere tausend Jahre gebraucht, um dieses Wissen anzusammeln“ — so Guro. Die Menschheit — ja, gab es die denn überhaupt? In den hektischen Tagen, in denen wir unsere Erfahrungen mit den Daten des Computers nicht in Übereinstimmung bringen konnten, schien unsere Welt Stück für Stück zu zerbröckeln, sich in bloße Vermutungen und blanke Vorspiegelungen aufzulösen.

Abgekämpft und verlegen gingen Gamma und ich zu Guro, der uns als echte Nachfahren irdischer Forscher lobte und den scheinbaren Widerspruch auf klärte: „Im Schiff wirkt nicht wie auf der Erde die Schwerkraft, sondern die Fliehkraft. Deshalb haben wir kein quadratisches Fallgesetz, sondern ein asymptotisch lineares.“ Ich schluckte und ärgerte mich. Daß wir nicht selbst daraufgekommen waren! Es war eigentlich so einfach.

Auch nach der glücklichen Auflösung unseres Welträtsels liebte es Gamma, alles in Frage zu stellen. Nach wie vor wollte sie sich von allem selbst überzeugen, traute sie ihren Augen nicht und nicht den zuverlässigen Schaltkreisen.

„Woher wissen wir, daß die gespeicherten Daten stimmen? Nun gut, das Fallgesetz haben wir geklärt, und viele Sachen lassen sich ausprobieren. Aber wie steht es mit den Aufzeichnungen über die Geschichte der Erde? Das können wir nicht überprüfen, nur glauben oder nicht glauben… Stell dir vor, das Schiff existierte ewig - niemand müßte es geschaffen haben. Doch nein, wir wissen, daß sein Material keine Ewigkeiten übersteht, höchstens einige. Millionen Jahre, wenn die Temperatur nahe an absolut Null abgesenkt ist…

Oder stell dir vor, das Schiff ist gar nicht von den mysteriösen Menschen geschaffen worden, sondern von irgendeinem anderen Wesen, nennen wir es Schöpfer. Angenommen, dieser Schöpfer beabsichtigte, uns über die Entstehung des Schiffs im unklaren zu lassen — was könnte geeigneter sein als das Märchen von der Erde und den arbeitsamen Erdmenschen, die aus unbekanntem Antrieb das Schiff erbauten! Das Schiff wurde konstruiert, bis in das letzte System kunstvoll ausgedacht — warum, Beth, warum sollten die Informationen in den Speichern weniger ausgedacht sein?“

Ich schüttelte den Kopf. Tausende solcher Vermutungen ließen sich aufstellen und keine beweisen. Am ruhigsten zu leben vermochte man aber mit dem Glauben an die Menschen. Gamma gab selbst zu, daß sie sich zu ihrer Hypothese von unwissenschaftlichen Vorstellungen der Erdmenschen hatte verleiten lassen und daß die Annahme ein wenig um die Ecke gedacht sei. Troizdem könne sie all das nicht als entscheidende Gründe akzeptieren.