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Manche Ideen Gammas schienen darauf berechnet, meine innersten Ängste aufzustacheln. Sie mochte sich zu Boden gleiten lassen, sich an die Konsole des Displays lehnen und mit dem Kopf sacht gegen die Plastverkleidung schlagen. „Wie wenig, wenig, wenig wissen wir… Kennen noch nicht einmal das Schiff, geschweige seinen Zweck oder wie man es steuert… Beth, wenn nun nicht die Leere des Alls und die entfernten Sterne um das Schiff sind, sondern das Nichts, ich meine, wenn nichts außer dem Schiff existiert… Wäre das nicht schrecklich?“

Welche Vorstellung fürchtete ich mehr: die einer endlosen Welt ohne Wände und Begrenzungen oder die einer endlichen, eines engen Schiffs, in dem nur wir lebten?

Ich schlug Gamma vor, mit mir aus der Scheinwelt der Computer in die Realität des Naturparks zu flüchten, wo jeder Grashalm, jeder Kiesel, jeder Dorn, der unsere Haut ritzte, ergriffen werden konnte, echt war — ein Ding ohne Zweifel.

Manche der großen Fragen der kleinen Gamma könnte ich heute mühelos beantworten, andere nicht. Das vom Schiff gespeicherte naturwissenschaftliche Wissen erwies sich nicht nur als korrekt, sondern auch als umfassend und für viele, viele Jahre ausreichend. Erst heute existieren Ansätze, darüber hinauszugehen. Die Erde aber, sie wird wohl, weil tief in der Vergangenheit verloren, ein grausames und schönes Märchen bleiben, das wahr sein kann, das wir — und Generationen nach uns — aber nicht werden überprüfen können. Und die Konstruktion des Schiffs? Unsere eigenen Projekte werfen ein völlig neues Licht darauf.

Beschleunigung

Der Ton überraschte mich an einer der Lehrmaschinen, die mir die Anfangsgründe der theoretischen Mechanik vermittelte. Der Ton: ein feines, kaum hörbares Zirpen und Brummen, das sich allen Objekten mitteilte, vor dem es keine Zuflucht gab, das alles durchdrang. Ganz plötzlich hatte es eingesetzt. Später ging das Gerücht um, in diesem Moment hätten die Babys im Chor zu schreien begonnen und der lärmende Dschungel sei für eine kurze Weile verstummt.

Sofort hielt ich ein, schaltete das Gerät ab, weil ich an einen Defekt glaubte. Dann überprüfte ich die restlichen Systeme des Zimmers, versuchte, mit den Fingern ein Vibrieren zu ertasten, doch der Ton ging nicht von ihnen aus. Ob meine Ohren? Selbst heute spielen sie mir manchmal einen Streich, singen, ohne von außen dazu angeregt zu werden. Ich versuchte also, den Ton auf diese Weise zu erklären, ging zur medizinischen Sektion. Heute ist es umgekehrt, unwillkürlich denke ich bei jedem feinen autogenen Fiepen: Bremst die Welt?

Auf dem Gang traf ich Myth, der gleiches vernahm, und dann Jota. Die Geschwister der zweiten Gruppe, die vor kurzer Zeit eigene Zimmer in den technischen Räumen des Schiffs bezogen hatten, liefen aufgestört umher. Allein Jota, die älteste von ihnen, blickte mich gelassen an.

„Was für einen Unsinn habt ihr wieder angestellt?“ fragte sie mich ironisch.

Ich überhörte diese Bemerkung, strafte ihr respektloses Verhalten durch Nichtachtung und schritt mit dem Gefühl des Hausherrn zum nächsten Intercom.

Guros vertraute Stimme erklärte kurz: „Das Schiff ist in die Bremsphase eingetreten. Noch neun Jahre bis zum Ziel.“

Da stand ich und sah das Schiff vor mir - wie ein außenstehender Beobachter.

Jahrhunderte, Jahrtausende war es starr und tot wie ein galaktischer Komet durch das Nichts geflogen. Gemächlich nach kosmischen Maßstäben, denn was sind schon ein paar hundert Kilometer je Sekunde? Höhere relativistische Geschwindigkeiten konnte es mit seinem Antriebssystem und den verfügbaren Wasserstoffmengen nicht erzielen.

Nun, nach langer, langer Pause, arbeiteten die Triebwerke wieder, schleuderten heißes Helium voraus. Wer will, kann diesen Vorgang „bremsen“ nennen, aber ich betrachtete ihn als Beschleunigung, und das war physikalisch korrekt. „Wir beschleunigen“ — was für ein wunderbarer, hoffnungsvoller Satz, mit dem ich die Geschwister informieren konnte.

Die zweite Gruppe nutzte dieses Ereignis, um einen Tag im Naturpark zu feiern. Wir Großen — Alfa war bereits elf Jahre alt - zuckten mit den Achseln und fühlten uns weit überlegen.

Später meinte Gamma, zum erstenmal spräche ein Fakt dafür, daß wir uns in einem Raumschiff befänden. Zwar war die Beschleunigung zu gering, als daß wir sie direkt wahrnehmen konnten, aber der Ton, allgegenwärtig im Hintergrund, hatte unsere Welt verändert. Wir wußten nun, daß das Schiff einen fernen Lichtpunkt anflog. Bis es ihn erreichte, wollten wir es steuern lernen.

Erwachen der Körper

Schwer Begreifliches geschah mit den Körpern der Mädchen. Alfa, die Älteste, war beunruhigt und erschrocken, als sie eingetrocknetes Blut an ihren Schenkeln fand, ohne daß sie sich verletzt hatte. Und Guro bezeichnete das als völlig normal! Wir waren entsetzt, und er mußte uns lange erklären, daß wir nicht nur wuchsen, sondern unsere Körper sich veränderten.

„Ich will mich nicht verändern, ich will ich bleiben!“ Was nützte Gammas impulsiver Protest, auch für sie kam die Zeit.

Unvorstellbar, daß wir uns nun bald in diese seltsame Sorte von Menschen verwandeln sollten, die nach Guros Erzählungen die Erde besiedelten und die er „Erwachsene“ nannte. Großen Wert legten wir nicht auf diese Verwandlung, denn was wir von den Erderwachsenen wußten, war ungereimt und befremdlich.

Alfa veränderte sich, man sah es ihr an. Sanft wölbten sich ihre Brüste unter dem enganliegenden Overall. Zuerst versuchte sie, „die Wucherungen“ noch wie einen körperlichen Fehler vor uns zu verstecken, dann, eines Tages, schlug ihr Verhalten um. Endlich einmal war sie uns unbestreitbar voraus, wenn auch nicht im Lösen komplizierter Rechenaufgaben oder im Zeichnen vertrackter Schaltpläne.

Ich sehe Alfa heute noch vor mir, wie sie an unserem Mittagstisch stand, während wir anderen schon saßen, wie sie sich stolz reckte und verkündete: „Guro sagt, ich bin bald reif!“ Wie ihr herausfordernder Blick mich traf, daß ich ihm nicht standhalten konnte, sondern unsicher begann, das Gemüse auf meinem Teller zu ordnen.

„Na, Hauptsache, du hast keine Maden.“ Eta brachte uns wie immer zum Lachen. Von den Nachbartischen hörten wir das alberne Kichern der jüngeren Geschwister.

Ja, Alfa wurde „komisch“ nach meinem damaligen Wortschatz. Und sie begann mir nachzustellen. Ilona wurde von ihr beschwatzt, den Versuchsplatz mit ihr zu tauschen, so daß sie mit mir Katalysereaktionen nachvollziehen konnte. Und sie traf mich immer öfter ganz zufällig auf dem Gang oder im Aufenthaltsraum. Wären ihre seltsam starren, saugenden Blicke nicht gewesen, hätte ich die Häufung von Zufällen womöglich nicht einmal bemerkt. Aber wie sie blickte! Hieß das: erwachsen werden?

Eines Abends, ich lag schon in meinem Bett und las vor dem Einschlafen ein paar Seiten aus dem spannenden, buntillustrierten Buch über die Entstehung des Weltalls, klopfte es zaghaft an meine Tür. Kaum hatte ich geantwortet, stand Alfa schon in meinem Zimmer, das dünne Nachthemd reichte ihr bis über das Knie. Sie setzte sich, mir zugewandt, auf mein Bett.

„Was ist denn?“ fragte ich müde.

„Ich weiß nicht“, sagte sie unschlüssig, „ich wollte einfach noch einmal vorbeischauen…“

„Du machst Witze.“ Mein Urteil stand fest, ich nahm das Buch wieder zur Hand.

Sacht berührte sie meinen Arm. „Vielleicht stimmt das mit der Katalyse gar nicht?“

Ich schaute sie fragend an. Diese Überlegung stand ihr nicht zu, es war Gammas Denkweise.

„Wie kann das Eisen die Reaktion lenken, wenn es sich überhaupt nicht verändert?“

„Du weißt doch, die Aktivierungsenergie“, sagte ich barsch.

Alfas Augen schimmerten feucht. „Schick mich nicht weg, Beth.“

„Du bist vielleicht komisch, Alfa, was hast du nur? Im Labor, am Computer, nirgendwo läßt du mich in Ruhe, immer läufst du mir nach. Glotzt mich an wie eine Schlange. Bist du vielleicht krank? Wenn du was von mir willst, dann sag es doch!“