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Eine Sekunde zögerte ich. Es war alles so unwirklich. Meine fünf oder mehr Sinne sollten betrogen werden — für eine neue Realität, eine Erweiterung meines Bewußtseins. Ungläubig, zweifelnd, aber entschlossen setzte ich den Helm auf. Die Abstimmung, die Anpassung des hochkomplizierten Geräts an meine individuellen psychischen Besonderheiten begann. Funken, bunt und kreischend, stoben durch mein Gesichtsfeld, seltsame Gerüche wallten auf, Schmerz prickelte auf der Haut, in den Ohren. Dann endlich war der Abgleich geschehen, der Computer hatte meine individuellen Parameter für die Benutzung des Totaloskops herausgefunden und gespeichert. Ich versank in einem weder warmen noch kalten, unauslotbar stillen Schwarz, das dunkler noch war als traumloser Schlaf.

Nach einer unbestimmten Weile des Nichts stand ich, als wäre ich plötzlich erwacht, im vertrauten Naturpark. Ein Lufthauch trug die Geräusche und den Geruch des Dschungels zu mir.

Guro sagte: „Beth, wo befindest du dich? Ist es der Park? Ja und doch nicht. Überprüfe, ob du das leiseste Anzeichen der Illusion entdeckst. Kneife dich in den Arm. Es schmerzt dich, die Illusion ist total.“

Obwohl ich wußte, daß ich mich im Totaloskop befand, antwortete ich Guro, und er sprach auf gewohnte Weise zu mir.

Mit allen Mitteln versuchte ich, die Illusion zu entlarven, rannte durch das hohe Gras, sprang in den See, spürte das Wasser, nahm die Anstrengung in meinen Muskeln wahr. Zwei Stunden irrte ich umher, traf dabei sogar auf Ilona, die sich ebenfalls über die Echtheit des Vorgespiegelten beschwerte, verließ den Park, um durch das Schiff zu eilen, fand nichts, nichts im Schiff oder in meinen Empfindungen, was sich verändert hätte, blieb gefangen in der Welt der Illusion.

Vor dem Speisesaal begegnete ich Gamma, die mir atemlos zuflüsterte: „Hast du auch die Lösung gefunden? Die Totaloskope!“

Ich folgte ihr in den Totaloskopraum, stand dort zögernd vor dem Gerät, in das ich vor so kurzer Zeit gestiegen war. Nur Mut! Ich öffnete es — und niemand lag auf dem Formbett, Helm über dem Kopf, niemand! Die Illusion widersprach meinem Gedächtnis. Durfte ich meiner Erinnerung trauen, so konnte ich jegliche Scheinwelt entlarven. Ohne neuerliche Probleme begab ich mich in das Totaloskop, identifizierte auf diese Weise Illusion und Realität.

Guro empfing mich im Naturpark. „So hast du gelernt, Beth, daß du zwischen Schein und Wirklichkeit nur durch dein Gehirn, deine Erinnerung unterscheiden kannst. Doch zur Unterstützung gebe ich dir den roten Punkt, der zu deiner Rechten flammen wird, wenn du dich im Totaloskop befindest. Für heute sei es genug.“

Dumpfes Dunkel umfing mich einen Augenblick, dann befreite ich mich aus den Eingeweiden des Totaloskops. Aufatmend verließ ich es. Guro stand am Eingang des Speisesaals, und wir umringten ihn.

Nur Gamma zweifelte Stunden später mir gegenüber an Guros Lehrsatz. Und es klang nach den Erlebnissen dieses Tages nicht einmal so verwegen und unwahrscheinlich, daß es keine Wirklichkeit gäbe, sondern nur Illusion und Schein, daß wir seit unserer Produktion oder seit dem Einsetzen unseres gegenwärtigen Gedächtnisses einem übergroßen Totaloskop unterworfen wären. Und daß ich, Beth, so behauptete sie, vielleicht nur ein Scheinmensch sei, geschaffen zu ihrer, Gammas, Unterhaltung.

Unsere von logischen Automaten trainierte Vernunft vermochte Hypothesen zu entwerfen und bis zur letzten Konsequenz zu treiben — ohne sie im Grunde zu verstehen.

„Wenn ich schon ein bloßer Schatten bin“, flüsterte ich Gamma zu, „ein Trugbild, das eigene Existenz sich nicht beweisen kann, so freue ich mich, immerhin in deiner Phantasie zu wohnen.“

„Quatsch“, sagte Gamma, „ich bin genausowenig real wie du.“

Die Totaloskope fuhren wie ein Wirbelsturm in unsere kleine Gemeinschaft, stellten die festesten Beziehungen auf den Kopf, rissen uns auseinander und warfen uns wieder zusammen. Eigene Erfahrungen, die wir ohne die Geschwister in unbekannten Situationen in den Totaloskopen gewonnen hatten, erschwerten unsere Verständigung. Früher, als wir vom Erwachen bis zum Zubettgehen stets gemeinsam aßen, spielten und lernten, hatte oft ein einziges Wort oder weniger, ein Blick, eine Geste, genügt, um unsere Gedanken mitzuteilen. Alles hatte sich verändert, wir schossen in ein Erwachsensein, das jenseits all unserer Vorstellungen lag. Unsere nüchterne, klare und überschaubare Welt zerbrach unter dem Ansturm irdischer Erlebnisse, dem Weltwandern. Die ferne Erde hatte uns in ihren Bann geschlagen.

Teth brüstete sich, Amerika entdeckt zu haben in einem primitiven Wikingerschiff. Wir fanden, seine Leistung sei es nicht gewesen, und ernteten bittere Anklagen, die schlecht zu einem kühnen Seefahrer paßten.

Delth driftete monatelang als Kriegsfürst, chinesischer Kaiser und Oberpriester durch die Menschheitsgeschichte, bis er sich, der ständigen Attentate und Ermordungen, des ständigen Befehlens und ständigen Hintergangenwerdens müde, als einsamer Tarzan in undurchdringliche Dschungel zurückzog.

Alfa bekam Dutzende von Kindern und versicherte uns, daß sie sich nie eins wünsche, die Logik ihrer Illusion sie aber dazu treibe.

Eta spielte methodisch Möglichkeiten durch: Prinzessin und Bettlerin, Ballerina und Hexe, Eskimofräulein und Amazonenkönigin, grande dame und Wäscherin. Sie meinte, Menschen hätten keinen Sinn dafür, glücklich zu werden. Aber weiß ich, ob dies nicht an ihrer Psyche, ihrer speziellen Auswahl lag?

Zeth verriet keinem von uns ein Wort von seinen Abenteuern, drohte aus unserer Gemeinschaft auszuscheren und sich vom Totaloskop verschlingen zu lassen. Irgendein Computer diagnostizierte Abhängigkeit und Zwangsverhalten, und nach drei weiteren Nachmittagen floh der ausgemergelte Zeth mit irrem Blick in den Park, mied selbst unseren alten Treffpunkt, den Speisesaal, tagelang.

Was entdeckten wir nicht alles beim Weltwandern in den Totaloskopen! Hatten wir bislang die Verschiedenheit unserer Hautfarben für selbstverständlich gehalten, Blumen blühen nun einmal rot und gelb und blau, so erfuhren wir plötzlich, welche ungeheure Bedeutung dieser oberflächliche Unterschied haben konnte.

„Ich will nicht weiß sein“, beschwerte sich nach einem Nachmittag im Totaloskop Ilona bei Guro. „die Weißen haben sich und andere immer nur grausam unterdrückt. Kannst du mich nicht umwandeln, Guro? Alfa und Eta sind ja auch so schön schwarz!“

„Du wirst noch erfahren“, erklärte ihr darauf Guro nüchtern wie immer, „daß die Rasse belanglos ist. Alle Farben sind schön. Ob du ein guter oder schlechter Mensch wirst, hängt davon nicht ab.“ Schöne und grimmige Erde, wie unendlich reich bist du! Wochenlang durchlebten wir einen winzigen Ausschnitt der Erdgeschichte, lernten ein paar Dutzend Menschen und ihre Lebensumstände kennen. Milliarden Menschen aber besiedeln die Erde — niemals würden wir auch nur den kleinsten Teil ihres Daseins verfolgen können.

Jeden Nachmittag ein neues Leben. Darin war das Totaloskop unerbittlich: Es duldete keine Wiederholungen. Nie erkannten wir völlig, worin das Lehrprogramm bestand — wir durften unsere Illusionen, unsere Erdaufenthalte nach eigenem Ermessen, das beschränkt genug war, selbst wählen.

Mit Gefühlen und unauslöschlichen Erinnerungen fesselten uns die Totaloskope an die Erde. Wir sahen die Welt des Schiffs nun mit neuen Augen, im Licht neuer Erfahrungen. Das Schiff, einst so unermeßlich groß, wurde uns zu eng.

Gamma sein

Schon zu dieser Zeit war mir Gamma von den Geschwistern am vertrautesten. So hinreißend Alfa auf der Insel sein mochte, im Alltag des Lernens kam schnell der Punkt, an dem ich sie fade fand und aufdringlich. Sie konnte mich immer noch erregen, verlocken, aber wenn ich über ein Problem reden Wollte, dann suchte ich Gamma, die mir zugleich die größten Rätsel aufgab. Ich wußte stets, was Etas Lachen, was ihr Kichern bedeutete. In Alfas Gesicht spiegelte sich jede ihrer Regungen wieder, und Ilona, die sagte, was sie gerade dachte oder auch mehr.