Wir einigten uns mit Guro auf das Gebiet der Automaten- und Algorithmentheorie. Ich war darüber nicht ganz glücklich, denn meine Geschwister hatten zufällig das ausgewählt, was ich noch nicht gründlich genug dürchgearbeitet hatte. Und endgültig zerstörten sie meine Freude an der bevorstehenden Prüfung, als sie strikte Regeln einführten.
„Also“, verkündete Delth, „keiner strebt für sich allein. Wir wollen doch möglichst gleiche Voraussetzungen haben.“
Ich protestierte, es half nichts, sie kannten mich.
So lernten wir gemeinsam im Naturpark, saßen auf einem umgestürzten Baum am Ufer und fragten uns gegenseitig ab. Für mich war es mehr als nur ein Spiel, ich strengte all meine grauen Zellen, auf die ich so stolz war, an. Selbst die herumtollenden jüngeren Geschwister konnten mich in meiner Konzentration nicht stören.
Kaum bemerkten meine Rivalen, wie ernst ich es nahm und daß ich sie überholen könnte, da führten sie eine neue Regel ein. Wer den anderen voraus war, durfte sich nicht mehr beteiligen und mußte zum Ausgleich einige Runden schwimmen. Gamma und ich landeten dabei immer wieder auf der Insel.
Kurz vor dem großen Tag behauptete Teth: „Meine Kapazitäten sind endgültig erschöpft“, und er begann kleine Zettel voller Definitionen und Beweise zu kritzeln - mit einer so feinen Schrift, daß er sie selbst nur mühsam entziffern konnte. Die von ihm eingeführten „externen Speicher“ fanden sofort begeisterte Nachahmung. Nur ich betrachtete sie als meiner unwürdig.
„Du bist schön dumm“, sagte sogar Gamma, „jeder Computer speichert nur, was er braucht.“
Beleidigt vertiefte ich mich in die Fachbücher.
Am Tag der Prüfung stellte sich doch noch das Prüfungsfieber ein. Nicht bei mir, ich fühlte mich darüber erhaben. Ilona aber rannte aufgelöst von einem zum anderen, blätterte dabei nervös in einem Artikel. „Seht doch mal, das habe ich bei dem Erfinder der selbstreproduzierenden Automaten entdeckt, das ist doch falsch, da muß doch ein Fehler drin sein!“
„Na sicher“, Delth versuchte sie zu beruhigen, „der Meister hat sich auch dann und wann verdacht.“ Dabei wurstelte er mit den Fingern in seinem drahtigen, krausen Haar.
„Aber wieso, wo denn…? Gamma, hilf du mir doch mal!“
„Mach lieber autogenes Training, jetzt, fünf Minuten vor der Angst wird sowieso nichts mehr“, riet ich ihr und versuchte mit einem Blick herauszubekommen, was sie in der Hand hielt.
Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Wenn hier ein Widerspruch ist, dann ist doch alles, alles falsch!“ Es fehlte nicht viel, und es hätte Tränen gegeben.
Gerade als Gamma sich erbarmen wollte, begann Eta auf einer Flöte zu spielen — um sich zu beruhigen. Uns regte es auf.
„Mußt du unbedingt hier!“ fauchte Zeth sie an.
Ich lächelte siegessicher über das ganze Durcheinander und unterdrückte mein Herzklopfen. Aus dem Spiel war entnervender Ernst geworden — wie auf der Erde.
„Kommt rein“, sagte Guro, „jeder in sein Prüfungszimmer. Wir fangen an.“
Da stand ich nun in dem kleinen Raum vor dem kybernetischen Instruktor, der Lehrmaschine. Auf dem Display leuchtete ein Bündel Fragen. Ein, zwei einfache, eine Menge, die es in sich hatten, und drei bekanntermaßen unlösbare Probleme.
Ich setzte mich an das Gerät, löste, was mir gerade einfiel, und verlor nach den fünf leichtesten Fragen völlig die Lust. Ich trommelte mit den Fingern auf der Konsole herum. Wozu war ich denn eigentlich Mensch und diesen Maschinen, wie sie selbst immer wieder behaupten, himmelweit überlegen? Ich vergaß, daß wir Guro selbst um diese Prüfung gebeten hatten. Mit mir nicht, meine Herren Maschinen, dachte ich.
Plötzlich überwältigte mich eine glänzende, großartige, mir allein zukommende Idee. So konnte ich richtig beweisen, was in mir steckte!
Ich legte mich auf den Boden, nahm meinen Hilfscomputer und ein Stück Papier, begann wie ein Besessener zu kalkulieren und ein Programm auszutüfteln. Es bereitete mir unheimliches Vergnügen, daran zu denken, wie die anderen über den Aufgaben schwitzten, wie sie annahmen, daß ich genau wie sie schön brav hinter dem Instruktor säße und auf Eingebungen wartete. Zeitweise konnte ich vor Freude keine gerade Linie ziehen. Ich wollte meine Geschwister, all die Computer und auch Guro schon immer mal übers Ohr hauen. Jetzt war die Gelegenheit dazu.
Meine Begeisterung hielt lange vor. Ich verspürte keinen Hunger, vergaß alles um mich. Dann und wann stieß ich auf Schwierigkeiten. Ich tüftelte und tüftelte. Endlich stand das Programm.
Nach ein paar Versuchen lief die Fehlersuchroutine leer. Jetzt konnte ich die Steuereinheit des Instruktors knacken. Ich löste die Sperren, öffnete das Gehäuse und fand die Programmeinheit. Beim Einspeisen meines Programms mußte ich zwar etwas improvisieren, schließlich trug ich nicht immer Spezialgeräte mit mir herum, aber mein Plan gelang. Ich verschloß das Gerät wieder, schob die Sperren vor und setzte mich an den Instruktor.
Ich drückte ein paar Tasten, und siehe da - auf dem Display erschienen die Lösungen. Rasch noch meine Spuren verwischt und fertig!
Selbstsicher trat ich auf den Gang. Draußen warteten meine Geschwister. Ihre höhnischen Blicke trafen mich. Doch Guro, der hinter ihnen stand, nickte mir freundlich zu. „Ausgezeichnet, Beth. Zweihundertfünfunddreißig Minuten. Bis auf Gamma sind alle schon fertig. Aber du hast bewiesen, daß ein echter Kybernetiker in dir steckt.
Dein Täuschungsprogramm ist zehnmal komplizierter als die Lösung der Fragen.“
Guro höhnte nie, mir aber kam es so vor. Ich riß mich zusammen, räusperte mich.
„Tja, ihr mit euren Spickzetteln“, prahlte ich, selbst nicht völlig überzeugt, „ich habe die Computer ganz elegant überlistet. Obwohl es zehnmal so schwer war, nur in der doppelten Zeit!“
„Fakt ist, wir waren schneller“, sagte Delth knapp, „ehrlich währt am längsten.“
Das war sonst nicht sein Leitspruch. Ich ärgerte mich, wußte aber nichts zu antworten. Es sah so aus, als ob außer mir niemand meinen Sieg anerkannte. Hieß das: durchgefallen? Wenn doch wenigstens Gamma mich geschlagen hätte! Ihr hätte ich es gegönnt. Zu klug gewesen und reingefallen, so dachten die Geschwister über mich.
Gamma mußten wir aus dem Prüfungszimmer holen. Sie war beim Lösen der Aufgaben auf ein Problem gestoßen, daß sie viel mehr interessierte. Noch Tage später war sie damit beschäftigt.
Wenn ich zurückdenke, befremdet mich der jugendliche Größenwahn, dem ich für mindestens ein Jahr verfallen war. Ich habe Schwierigkeiten, den Beth zu verstehen, der ich einst war, und mich wundert, daß mich Gamma nicht unausstehlich fand, wenn ich, am Terminal sitzend, jeden Ablenkungsversuch unwirsch ablehnte oder sie zu schulmeistern suchte. Aber wahrscheinlich war diese Entwicklungsphase und mit ihr der Anspruch, alles, aber auch alles zu wissen und zu können, notwendig und förderlich. Wann, wenn nicht in der Jugend, würde man nach den Sternen greifen?
Ungewisse Erde
„Ihr mit eurer Erdsucht! Was wollt ihr denn noch? Draufrumtrampeln, was? Die Totaloskope, die Bücher, die Kristallspeicher genügen euch wohl nicht?“
Großmütig verziehen Gamma und ich Delth, dem nun einmal unser Sinn für tiefgründige Spekulationen abging.
„Was wir wollen? Beweise natürlich.“
Durfte man den Versicherungen Guros Glauben schenken, dann deutete alles im Schiff auf die Erde und die Erdmenschen hin. Doch das gespeicherte Wissen über unsere angebliche Ursprungswelt war nicht nur viel zu umfangreich für unsere — um mit Teth zu sprechen — beschränkten Kapazitäten, es schien uns zudem lückenhaft und widersprüchlich.
Damals begannen wir — unsystematisch und sporadisch — die Informationen aus den Speichern abzufragen und aufzuarbeiten.