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Weiter trieben wir die Analyse mit neuen Ideen von Ilona und Zeth. Untersuchten die eigenen biologischen Merkmale: Hautpigmentation, Blutgruppe, Morphologie. Das Ergebnis überraschte uns nicht. Wir stellten einen ziemlich repräsentativen Querschnitt der Menschheit dar. Ähnlich war es mit dem Naturpark, in dem sich Tiere aus allen Kontinenten tummelten, Pflanzen aus fast allen Klima- und Vegetationszonen sprossen.

Ein neues Indiz: unsere Sprache. Sie hätte auf ein Herkunftsland, einen Kulturkreis hindeuten können. Wieder gefehlt. Unsere Mundart existierte auf der Erde vor dem Jahr 2000 nicht, sie trug eindeutig synthetische Züge. Man erkannte es an der regulären, ausnahmearmen Grammatik.

Teth versuchte sogar, informationslinguistisch zu beweisen, daß unsere Sprache den bekannten irdischen strukturell überlegen sei, knappere Mitteilungen und genauere Beschreibungen gestattete. Eta hingegen beschwerte sich, daß wir wie Computer redeten, für echte Poesie aber gerade die Unregelmäßigkeiten wichtig seien. Den Gegenbeweis hat sie später selbst angetreten.

„Vielleicht“, spekulierte ich, „benutzen wir die Verkehrssprache der Menschheit nach zweitausend, die Weltsprache, neben der die Muttersprachen bestehenbleiben als Träger kultureller Eigenarten?“

„Hypothesen haben wir genug“, entgegneten mir meine Geschwister. Und sie lachten sogar über Gamma, als diese fragte, ob wir nicht daran gedacht hätten, daß unser Bild von der Erde trügen könne, daß vielleicht auf unseren Globen ganze Kontinente wie das sagenhafte Atlantis fehlten — oder auch bestimmte Gesellschaftsstrukturen. Im Vergleich zu ihren Alles-nur-Illusion-Hypothesen und zu meinen nächtlichen Ängsten war das für mich eine schale und abgeschmackte Vorstellung.

Über das Tageslicht

Als die zweite Gruppe uns aus dem Naturpark in den technischen Teil des Schiffs nachrückte, beachteten wir sie sowenig wie vordem im Park. Waren wir unseren acht nächstjüngeren Geschwistern nicht stets unerreichbar voraus? Gaben uns nicht die im Durchschnitt achtzehn Monate Altersdifferenz eine Überlegenheit, die uns auf sie, auf die Kleinen, herabblicken ließ? Was hätten sie uns geben, wozu uns nützen können? Besonders Teth, unser Jüngster, bestritt energisch, daß sie es vermochten, an unseren Spielen, an unseren Forschungen und Bastelprojekten teilzunehmen; klein, unfähig und ungeschickt, wie sie waren.

Wenn ich sie traf, grüßte ich zwar freundlich: „Na, Lambda, wie geht’s, was habt ihr denn Neues gelernt?“ Doch blieben die Fragen rhetorisch, und wenn ich eine Antwort bekam, was nicht immer geschah, dann konnte ich nur nicken: „Aha, das also!“ und daran denken, was für alte Kamellen und simple Anfangsgründe das waren.

Langsam, aber unaufhaltsam wurde der Altersunterschied unwirksam, geistig und körperlich. Eines Tages, während des gemeinsamen Mittagessens, überraschte uns Ilona mit einer erstaunlichen Nachricht: „Die Kleinen, sie wollen über das Tageslicht klettern. Xith hat die Idee gehabt.“

„Ein Unsinn“, wandte Teth ein, „die Leuchtfläche ist spiegelglatt und senkrecht, da kommen die nie rauf.“ Er blickte von einem zum anderen.

„Doch, mit Saugnäpfen, sie haben sich extra welche hergestellt.“ Ilona warf triumphierend die blonden Zöpfe nach hinten. Sie vergaß ihre Suppe völlig und berichtete über Details.

Teth war kritisch, er wollte es nicht wahrhaben. „Aber an der Achse des Naturparkzylinders ist die Luft doch dünner, vielleicht kann man dort gar nicht mehr atmen?“

„Doch, doch, der Effekt ist nicht so groß.“

„Trotzdem werde ich es nachrechnen, auf die Kleinen kann man sich ja nicht verlassen.“ Teth stocherte mit seiner Gabel unwillig im Gemüse herum.

Auch Delth war sehr unzufrieden. Da die zweite Gruppe den Speisesaal bereits verlassen hatte, ließ er seinem Ärger freien Lauf. Er murrte über unsere Einfallslosigkeit, über das „tollkühne Abenteurertum“ der Kleinen, die alle abstürzen würden. Schließlich überschüttete er Ilona mit Vorwürfen, daß sie sich mit den Kleinen herumtreibe, ohne Rücksicht auf die Interessen der eigenen Gruppe zu nehmen.

„Du bist bloß neidisch, du Ekel, dir erzähl ich überhaupt nichts mehr!“ gab Ilona schnippisch zurück.

„Also, Kinder“, mischte sich Alfa ein, „laßt Ilona in Frieden.“

„Na schön“, erwiderte Delth böse und verschluckte sich dabei fast, „aber eins sag ich euch: Wir müssen da rauf. Wer ist dafür?“

Gamma wischte sich die Lippen ab. „Wir können ihnen nicht einfach ihre Idee stehlen“, wandte sie ein.

„Ich für mein Teil lege keinen Wert darauf, über die Leuchte zu krabbeln. Nicht wahr, Gamma, wir bleiben unten“, sagte ich.

Bei meinen Worten verdüsterte sich Delths Gesicht. „Es wird dir nicht gelingen, die anderen gegen mich aufzuhetzen“, rief er wütend, „außerdem — ihr beide könnt euch nicht dauernd absondern. Was die Gruppe beschließt, wird gemacht, basta!“ Zustimmung heischend, blickte er in die Runde.

Ich erinnerte ihn aufgebracht an das kürzlich beschlossene Prinzip der Einstimmigkeit. Delth ballte die Faust. Aber diese Art von Argumenten hatten wir uns abgewöhnt.

Alfa legte besänftigend ihre Hand auf seine Schulter. Wie meist saß sie neben ihm. „Was mischen wir uns überhaupt in Angelegenheiten der zweiten Gruppe! Das bringt nur Unfrieden.“

„Vielleicht können wir uns ihnen anschließen!“ schlug Eta vor.

Delth stand einfach auf. „Mir schmeckt der Fraß heute nicht mehr. Bis dann.“ Er ging und ließ sein Geschirr stehen, Alfa räumte es ab.

Bis zum Abend hörten wir nichts mehr von dem Vorfall. Dann klopfte es, und Alfa schreckte Gamma und mich aus unserer abendlichen Lektüre. „Morgen ganz früh geht es los. Ihr kommt doch mit?“ „Nein.“ Als ich ihren bittenden Blick sah, fügte ich hinzu: „Keine Lust. Wozu das Ganze?“

„Ist es denn so wichtig, daß Delth seinen Willen bekommt?“ fragte Gamma und legte ihr Buch beiseite.

„Also, Kinder.“ Alfa setzte sich auf den kleinen Tisch und warf dabei beinahe die Vase mit den Wiesenblumen um. „Ihr glaubt ja nicht, welche diplomatischen Schwierigkeiten ich heute hinter mir habe. Die zweite Gruppe überzeugen, daß wir gemeinsam klettern. Dann Jotas Bedingung, daß sie das Unternehmen leitet, Delth nahebringen. Ich mußte sogar Guro hinzuziehen. Und nun ihr — ihr habt einfach keine Lust.“

„Das ist glatte Erpressung, und…“

„…bei Erpressung müssen wir eben nachgeben“, sagte Gamma und stieß mich mit dem Fuß an.

Ich resignierte und nahm mir vor, die Wand hinauf kein einziges Wort zu sagen.

Am anderen Morgen marschierten wir, schwer bepackt mit Saugnäpfen, Seilen, Fallschirmen und etwas Marschverpflegung, aber ohne ein Gramm Kleidung auf dem Leib, durch den Naturpark. Für die wirklich noch Kleinen, die dort lebten, war unsere Expedition eine Sensation. Sie folgten uns ein Stück Weges, stellten Fragen und bettelten, daß wir sie mitnehmen sollten. Jota lehnte es kategorisch ab.

Zielstrebig durchquerten wir den Dschungelstreifen und gelangten an den sanften Anstieg des Zylinderbodens, der hoch vor uns aufragte.

Wir schnallten die Saugnäpfe an Hände und Füße, seilten uns an. Mühsam krochen wir auf allen vieren. Zuerst staksten wir durch die immer steiler ansteigende Rundung. Das Betätigen der Hebel, wodurch sich die Gummischalen festsaugten, das Lösen Sekunden später strengten an. Jeder Meter empor kostete viel Kraft. Wir kletterten in einer langen Reihe, allen voran Jota, deren Haut bronzefarben glänzte. Sie schlug ein hohes Tempo an. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt alles unbeteiligt über mich ergehen lassen, kein Wort gesprochen und gerade so viel Aktivität entfaltet, daß ich die anderen nicht behinderte.

Endlich erreichten wir den Rand der kilometergroßen, sanft gelblich leuchtenden, milchigen Plastscheibe, die den Naturpark erhellte.