Als der Hauptschirm und die unzähligen Anzeigen der Zentrale erloschen, glaubte ich zuerst an eine totale Havarie, ehe ich aufatmend begriff, daß die Zeit der Flugsimulation abgelaufen war.
Müde, schlapp und ausgebrannt suchte ich meine Kabine auf. Das bunte Leben außerhalb der Zentrale erschien mir die nächsten Tage fade und abgeschmackt, nur langsam kehrte ich zu unserem Alltag zurück.
Einen Haupteffekt jedoch hatte unsere Mühsaclass="underline" Wir wußten, daß wir das Schiff steuern konnten. Wir waren seine Meister. Der Zeitpunkt konnte nicht mehr fern sein, von dem an es unserer geringsten Weisung gehorchte.
Die Sterne
Wir standen in der äußeren Schleuse, nur wenige Meter von der Außenhaut des Raumschiffs entfernt, und überprüften unsere leichten Skaphander. Seilten uns an und kontrollierten die Magnetschuhe und Lavierpistolen. Dann saugten Pumpen die Luft mit einem leisen Pfeifen ab. Langsam öffnete sich das Schleusentor.
Delth flog uns voran. Obwohl wir das Schiff nahe der Achse verlassen hatten, katapultierte ihn die Zentrifugalkraft ins All, bis sich die Leine straffte. Alfa folgte ihm, und in einem Schwarm kamen dann wir anderen. Ganz sacht drifteten wir nun auf das abgebremste Schiff zu.
Zuerst sah ich nur die riesige Kreisscheibe des Schiffs und meine Geschwister. Dann wendete ich mich von ihnen ab und vergaß, wo ich mich befand und daß ich an einem gespannten Seil hing. Ein gigantisches Karussell drehte sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit um mich. Lichtpunktbesäte Schwärze, hier und da hellere Flecken. Ich sah in den Kosmos, der in all seiner Pracht um mich rotierte. Konstellationen, die kein irdisches Auge je erblickt hatte, stürzten in mein Blickfeld, funkelnde Diagramme ohne Namen.
Das Kreisen verlangsamte sich, stoppte. Wohin ich auch schaute, dicht an dicht standen Sterne, helle und weniger helle, schwache, kaum mehr erkennbare. Das breite Band der Milchstraße. Meine Blicke bohrten sich in die Schwärze, loteten sie aus, tiefer und tiefer, drangen zu immer ferneren Sternen vor, die sich zu neuen Konstellationen fügten, mir Himmel um Himmel öffneten, die abgrundtiefe Finsternis der Dunkelnebel, milchige Flecken von fliehenden Galaxien …
Ich schwamm unter Sternen, in ihrem weißen und blauen und gelben und rötlichen Licht, driftete als einer der Ihren. Kein Halten, keine Wände, nur Nichts und Leere und Weite. Ich fürchtete die Unendlichkeit nicht mehr, sog sie in mich auf, wurde ein Teil von ihr, dehnte mich in ihre entlegensten Fernen. Sterne trieben in mir, der ich keinen Körper mehr besaß, und Galaxien.
Mein Helmfunk piepte, und gleich darauf sprach Gamma: „Der Sauerstoff geht zur Neige, wir müssen rein, Beth.“
Ich gestattete mir noch, aus meiner Trance gerissen, einen Abschiedsblick auf meine Heimatwelt, das Schiff, das sich in etwa zwei Minuten einmal unter den Sternen drehte.
Von meiner Position aus konnte ich nur einen kleinen Teil des Schiffszylinders überschauen. Obwohl er fast die Hälfte des Himmels bedeckte, hatte ich alles Gefühl für seine Größe verloren. Hätte ich nicht gewußt, daß er so viele Kilometer maß, hätte ich glauben können, daß bis zu seinem abrupten Ende ein paar Schritte genügten. Durch die vom kosmischen Gas und von Mikrometeoriten erodierte Außenhaut des Schiffs liefen hier und dort die Nute des Außentransportsystems, Markierungslinien trennten die Sektoren.
Der Zielstern, zu dem wir flogen, wurde vom Schiff verdeckt, ebenso der gleißende Antriebsstrahl, in dem Wasserstoff zu Helium verbrannte und der das Schiff bremste, indem er ihm mit enormer Geschwindigkeit vorausflog.
Delth zog mich an der Sicherungsleine in die Schleuse. Es war höchste Zeit. Das Tor schloß sich, ich war wieder abgeschnitten von den Sternen.
In den nächsten Tagen verließen wir erneut das schützende Innere des Schiffs, lernten, uns trotz der Zentrifugalkraft auf der Oberfläche zu bewegen, die Außensysteme zu benutzen, Außenreparaturen auszuführen.
Kampf dem Computer
Das Schiff war unsere Welt, wir konnten sie nicht verlassen. Mochte Delth mit einem der Exkursionsvehikel auch so weit fliegen, wie es die Sicherheitsautomatik zuließ, er mußte doch zum Schiff zurückkehren und hatte sich eigentlich nie richtig von ihm gelöst.
Suchte Delth Ungebundenheit in den bodenlosen kosmischen Leeren? Er verschwieg uns seine Motive. Wir hatten Delth als unseren Anführer akzeptiert, und doch wurde jeder seiner Schritte ebenso wie die unsrigen vom Schiffscomputer im voraus abgeschätzt, mit Wahrscheinlichkeiten bewertet, kontrolliert und für weitere Pläne berücksichtigt. Auch dieser eine scheinbar entscheidende Schritt.
Delth suchte mich und Gamma im Waschraum auf, er legte den Finger an die Lippen, bedeutete uns mitzukommen. Neugierig folgten wir ihm. In seinem Zimmer hatten sich bereits die übrigen Geschwister versammelt, sie tuschelten leise miteinander. Delth schloß geräuschvoll die Tür. „Ihr könnt euch ruhig laut unterhalten, ich habe alle Mikrofone in meinem Raum unschädlich gemacht.“
Ich unterließ die Frage: Welcher Guro soll’s denn heute sein? Wir saßen zu fünft auf seinem Bett, Zeth und Eta benutzten die beiden Stühle, für Delth blieb nur ein Stehplatz.
„Es wird Zeit, daß wir die Herrschaft über das Schiff übernehmen“, sagte Delth. „Guro hält uns schon viel zu lange hin. Wir haben längst alles Nötige gelernt.“
„Du willst ja nur den Kommandanten •spielen“, unterbrach ich ihn.
„Mensch, Beth, und du willst dich wohl weiter durch Automaten manipulieren und befehligen lassen?“
Ich winkte ab.
„Wir hätten schon damals nicht Guro analysieren sollen, sondern den Schiffscomputer, der steuert alles, auch ihn“, sagte Zeth und legte seine Stirn in gewichtige Falten.
„Nieder mit dem Computer!“ rief Eta und schüttelte lachend ihre geballte Faust. Auf Delths strafenden Blick hin wurde sie wieder ernst.
„Wenn uns der Schiffscomputer die Befehlsgewalt nicht freiwillig übergibt, müssen wir sie uns erkämpfen. Wir haben lange genug gewartet.“ Delth sprach für uns alle.
Entschlossen machten wir uns an die Arbeit. Teth, Eta und Ilona übernahmen die Software. Aus der Ecke, in die sie sich zurückgezogen hatten, um die Programme auszutüfteln, die andere in unserem Sinne verändern oder löschen sollten, drangen Gelächter und Wortfetzen wie „Gib doch mal die Subroutine rüber…!“ an mein Ohr. Gamma berechnete mit Alfas Unterstützung immer bessere Varianten für unser Eindringen in den Dschungel logischer und materieller Sperren, die den Schiffscomputer schützten.
Delth und Zeth arbeiteten an den mechanischen Blockiereinrichtungen. Ihren knappen Erfolgsmeldungen entnahm ich, daß es ihnen gelang, versiegelte und verbarrikadierte Zugänge zu weiteren Datenbanken und Recheneinheiten aufzubrechen. Vor mich hinpfeifend, tauschte ich Speichereinheiten der Computer aus, verlegte Informations- und Befehlsströme. System auf System entblößte seine Programmstrukturen. Nur der Hauptcomputer, der bislang unser Leben gesteuert hatte, der auch aus der Entfernung Guros und Rammas lenkte, der all unsere psychologischen Eigenheiten und Verhaltensmuster kannte, entzog sich weiterhin unserem Zugriff.
„Es hilft nichts“, sagte Delth, „wir müssen es mit Gewalt versuchen.“
Wir stiegen in schwere Schutzanzüge und brachten einen Hochleistungslaser in Stellung. Die Zentraleinheit des Schiffscomputers befand sich in einem durch meterstarke Keramikplatten gesicherten Raum. Nur langsam brachte der Laserstrahl das Material zum Glühen, erst nach Stunden wurde es zähflüssig und tropfte zu Boden.
Ich hockte mich, müde geworden, auf den Boden und nahm die Zerstörung wahr, die wir inzwischen angerichtet hatten. Um uns herrschte eine Temperatur von mehreren hundert Grad. Normale Plastwände zu unseren Seiten schlugen Blasen, wurden porös und fielen zuletzt in sich zusammen. Verbissen laserten wir weiter.