„Ich habe das durchgerechnet“, konterte Teth und pochte bekräftigend auf den Computerausdruck. „Eine Woche lang zwei g müßte ich aushalten, auch läßt sich die Kabine so ausstatten, daß…“
„Halt“, unterbrach ihn Alfa, „ich will nicht, daß über technische Details diskutiert wird, bevor wir grundsätzlich entschieden haben. Gamma, bitte!“
Gamma zwinkerte mir schalkhaft zu, dann beugte sie sich nach vorn, um vorbei an einer Säule von Geräten Teth besser sehen zu können. „Danke schön, Teth, für die Einladung, aber ich werde nicht annehmen. Schau, alle können wir nicht voraus zu Andymon fliegen. Und wem kann man zumuten, zurückzubleiben und zuzusehen, wie andere…“
„Ein halbes Jahr allein oder auch mit dir, Teth, das halte ich bestimmt nicht durch“, fügte Ilona nachdenklich hinzu. Dann pflückte sie ein Fädchen von ihrem beigefarbenen Overall. „Das ist schlimmer, als mit den anderen im Schiff zu warten. Denke nicht, daß ich feige bin, aber ich kenne dich, dir würde es bestimmt nicht anders gehen.“ Teth war rot geworden, jetzt sah er sich hilfesuchend nach Eta um, die, fest die Knie umschlungen, in einem Sessel kauerte und an den Lippen nagte.
„Nein“, sagte sie leise, „wir Mädchen machen da nicht mit.“
„Dann fliege ich eben allein!“
„Niemand wird dich daran hindern“, meinte Alfa und schaute dabei Delth an. „Bitte, sag du doch was.“
„Du hast recht, Alfa, wir zwingen niemanden, etwas zu tun oder zu lassen — aber wir werden Teth natürlich auch nicht unterstützen. — Zeth, wir machen weiter, dein Bus ist gebilligt.“
Einen Tag später kehrte Teth zu uns zurück und bot seine Mitarbeit an. Er hatte errechnet, daß er, auf sich allein angewiesen, zu länge an einem Kleinstraumschiff bauen würde. Und eine andere Gruppe hinzuziehen? Die Kleinen um Hilfe anflehen? Dazu war Teth zu stolz.
Die Konstruktion der Voraussonde verlief unter Zeths Leitung glatt, wenn auch nicht ohne gelegentliche kleinere Probleme und Verzögerungen, die unseren Eifer nur anstachelten. Die Hilfe der Jüngeren, die uns wie immer begierig unterstützten, nahmen wir vor allem für den Bau der Orbiter in Anspruch. Doch dann, am letzten Tag, warf ein unerwartetes Ereignis all unsere Pläne um.
Keine drei Stunden vor dem Start überraschte Teth, der nun die Sonde eifersüchtig hütete, zwei Geschwister, die im Skaphander zur Katapultrampe liefen. Teth alarmierte uns sofort über das Intercom. Doch der Countdown lief bereits. Ich rannte, meine langsamen Beine verwünschend, durch die langen Korridore zur Flugleitstelle, von wo aus der Start überwacht werden sollte. Teth, Jota, Myth und ein paar jüngere Geschwister waren schon da. Gleich hinter mir drängten sich Zeth und Eta durch die Tür. Um Atem ringend, versuchte ich zu verstehen, was vorgefallen war.
„Sie haben die Zugänge blockiert.“
„Und von hier aus läßt sich der Countdown nicht abbrechen?“
„Sie lassen alles über den eigenen Computer laufen…“
Delth schob mich beiseite. „Wer - sie?“ fragte er keuchend.
„Nya und Xith aus meiner Gruppe, die müssen den Verstand verloren haben!“ Jota schlug die rechte Faust gegen die linke Handfläche.
„Countdown minus zehn Minuten.“ Delths Stimme klang verändert, leer. „Wir müssen sie doch stoppen können! Zeth, Gamma, Beth, laßt euch doch was einfallen! — Minus neun Minuten.“
Ich saß an einem Terminal, versuchte, Zugriff zu ihrer Energieversorgung zu bekommen. Nur mit halbem Ohr verfolgte ich noch die Gespräche.
„Sie bringen sich um. Keine Sicherheitstests, keine Simulation, und wer weiß, wie sie die Sonde, in der sie sich verschanzen, zusammengeschustert haben.“
Ihre Energieversorgung lief ebenfalls bereits autonom. Sekundenlang wußte ich nicht, was ich noch versuchen sollte.
„Minus sieben Minuten.“
„Sie haben die Kabine einer Fähre umgerüstet heute nacht, mit ein paar Robotern, und sie in unsere Sonde eingebaut. Sie müssen das von langer Hand vorbereitet haben.“
„Wieso kommt das jetzt erst raus?“
„Hast du noch nichts, Beth?“
Und wenn ich probierte, ihr Miniraumschiff flugunfähig zu machen? Mit einem Laser die Triebwerke zerschoß, besser noch: die Rampe? Aber in der Starthalle befand sich kein Laser, und wie hätte ich ihn steuern sollen?
„Minus fünf Minuten.“
„Ich habe Sprechverbindung mit ihnen.“
„Nya, seid ihr verrückt geworden, wollt ihr euch umbringen? Euer Unternehmen klappt doch nie! Xith, sei du wenigstens vernünftig!“
„Wir haben alles überprüft, Jota, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Für euer privates Abenteuer setzt ihr all unsere Pläne aufs Spiel, und ich glaube euch einfach nicht, daß es ungefährlich ist.“
„Minus vier Minuten.“
Allmählich begann ich zu schwitzen. Laß dir auf der Stelle etwas einfallen! Delth hatte Vorstellungen.
„Hier spricht Delth. Im Namen der Geschwister befehle ich euch, den Countdown sofort abzubrechen.“
„Weißt du, Delth“ — ich hatte den Eindruck, als halte Nya nur mit Mühe die Tränen zurück - „wir wollen raus, mal was selbständig machen, was Eigenes. Im Schiff, da ist doch alles so festgelegt.“
„Minus drei Minuten.“
„Das geht uns allen so.“
„He!“ rief Teth verwundert. Der Countdown war bei minus zwei Komma achtunddreißig stehengeblieben.
Gleich darauf meldete sich Zeth: „Wir haben die Öffnung der Starthalle blockiert. Damit wird der Start automatisch unterbrochen.“
Erleichtert lehnte ich mich zurück. Als letzter verließ ich die Flugleitstelle und folgte den Geschwistern.
Fast niemand fehlte aus den ersten drei Gruppen. Wir standen schweigend im Hangar, wo die gut dreißig Meter lange umgerüstete Voraussonde auf den breiten Schienen des Katapultes ruhte. Rechts und links davon lagen der Rumpf des Busses, wirr durcheinander einige der Orbiter, die besonders voluminösen Hochtemperatur-Eintauchkörper, aber auch verschiedenste Module, Kisten mit zurückgelassenen Konserven und ähnliches. Laut fluchend stapfte Zeth zwischen den so unsachgemäß behandelten Sondenteilen umher.
Die Schleuse des Miniaturraumschiffs öffnete sich nicht sofort. Delth klopfte von außen dagegen. Lautlos schwang die Luke auf. Zögernd, auffallend langsam kletterten sie von der Katapultrampe, im Skaphander, den Helm abgesetzt. Verhinderte Kosmonauten. Schweigend kamen sie auf uns zu, und sicher hatten viele, Zeth vor allem, der seine Arbeit vernichtet glaubte, nicht übel Lust, sie gründlich zu vertrimmen. Aber als ich die Zornestränen in Nyas müdem, enttäuschtem Gesicht sah, empfand ich nur noch Mitleid.
Laut genug, daß es alle hören konnten, sagte Alfa: „Und ich hatte schon Angst, daß ihr draufgeht.“
Vielleicht hatte Alfa diesmal nicht ganz den richtigen Ton getroffen, vielleicht wäre eine Tracht gemeinsam verabreichter Prügel besser gewesen, jedenfalls war der Bann gebrochen. Wir johlten, sie schimpften. Ich versuchte, Nya zu trösten, indem ich ihr erklärte, daß sie ganz pfiffig gewesen wären und nur ein dummer Zufall… Sie sah mich tagelang nicht an.
Die zweite Gruppe litt Einzelgänger, die die Arbeit der anderen zerstörten, sowenig wie unsere erste. Ich weiß nicht, ob sie mit Xith und Nya lange Diskussionen führten oder ob sie sie ausschlossen von gemeinsamer Arbeit und gemeinsamer Fröhlichkeit: Das war Angelegenheit der zweiten Gruppe. Aber gewiß ist, die beiden hatten es eine Weile nicht leicht.
Die Voraussonde konnten wir mit einer Verzögerung von drei Tagen starten. Wenn man unsere geringen Erfahrungen bedenkt, kann man ihren Einsatz als einen vollen Erfolg werten. Es versagte lediglich die Telemetrie eines Orbiters, und eine Eintauchsonde zerschellte. Wir redeten nicht darüber, aber alle glaubten, daß dies bei regulärem Start nie passiert wäre.