Nach reichlich drei Wochen empfingen wir die ersten Ergebnisse der Voraussonde. Sie ließen sich in zwei Sätzen zusammenfassen:
Andymon ist nicht belebt.
Andymon ist nicht bewohnbar.
Um Mitternacht
„Die Bilder kommen, die Bilder kommen!“
Ich drehte mich auf die andere Seite, jemand schüttelte mich energisch. Da erkannte ich Gammas Stimme. „Die Bilder kommen, Beth, wach auf!“
Mühsam schlug ich die Augen auf, die plötzlich aufflammende grelle Beleuchtung blendete mich. Gamma stand, sich dehnend und streckend, am Intercom, sagte undeutlich: „Ja, sofort.“ Dann unterbrach sie die Verbindung.
Mein ganzer Körper war warm, dumpf und schien keine Knochen zu haben. Ich tappte zum Einbauschrank und warf mir einen Kittel über. Dann folgte ich gähnend Gamma ins Bad, um kaltes Wasser über Kopf und Arme laufen zu lassen. Was war eigentlich los?
Mit einem Blick auf mein Gesicht erbarmte sich Gamma. „Teth empfängt gerade die ersten Bilder von Andymon, er hat uns in die Flugleitstelle gerufen.“ Auch sie gähnte.
Auf dem Weg zur Flugleitstelle versuchte ich vergebens, meine Gedanken auf Andymon zu lenken, der Schlaf hatte mich noch in seiner Gewalt. Mit uns trafen unsere Geschwister ein, wie wir in Pärchen. Zu einer anderen Tageszeit und bei anderer Gelegenheit hätte ich vielleicht darauf geachtet, wer mit wem, aber in diesem Augenblick war mir alles gleich. Und hätte mich nicht Gamma gezogen, wäre ich zurück ins warme Bett gekrochen.
Teth saß vollständig angezogen am Kontrollpult, rechts neben ihm standen eine Kanne Tee und ein Glas.
Ich trank einige Schlucke direkt aus der Kanne, der Tee war lau und unangenehm süß.
Teth wartete, bis unsere Gruppe vollzählig war, dann drehte er sich um, Augen, Wangen, sein ganzes Gesicht war gerötet: „Seht euch das an, das sind die Bilder der Eintauchsonden!“
Drei Bildschirme flammten rot und gelb und graubraun auf, ein Chaos von verwaschenen Farbfetzen, ein Quirlen und Lodern. Jeweils in der linken oberen Ecke stand weiß die Zeit bis zum Bodenkontakt.
Neun Minuten für die Sonden auf der Tagseite, siebzehn Minuten für die am Terminator, zweiunddreißig für die auf der Nachtseite. Der Bildschirm der letzteren wogte von Purpur in allen Tönungen; es handelte sich um Infrarotaufnahmen. Obwohl kein Begleitton aufgenommen wurde, schwiegen wir und hielten die Luft an. Hitze schien von den Bildschirmen herüberzustrahlen.
Gamma tippte schließlich Teth an und flüsterte ihm etwas ins Ohr, gleich darauf erschienen auf einem Display die langen Reihen der telemetrischen Daten.
Zwei Minuten bis zum Bodenkontakt für die erste Sonde, die Wolken rissen auf, gaben sekundenlang den Blick frei auf einen schwarzgezackten, wild schaukelnden Horizont, dann sah man nur die rissige, steinige Oberfläche, ocker und grau, rötliche und gelbliche Schattierungen, dem Chaos der Wolken noch immer ähnlich. Ruckartig sprangen die rauhen Hügel uns entgegen — und eine dunkle Spalte! Wir fürchteten, die Sonde würde in sie stürzen, die Spalte wanderte langsam über den Schirm, endlich glitt sie über seinen Rand. Dann gab es einen Stoß, ein letztes Wippen, das Bild stand, Brocken ohne Schatten im Vordergrund, eine rosa Wolke aufgewirbelten Staubes zog davon. Andymon!
Diese rote Wüste sollte unsere Heimat werden? Ich öffnete den obersten Knopf meines Pyjamas.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, räusperte sich Teth und sprach, ganz trocken, betonungslos wie ein Automat: „Temperatur etwa vierhundertfünfzig Kelvin, Druck in Bodennähe vier Atmosphären, reduzierende Atmosphäre: Kohlenwasserstoffe, Methan, Schwefelwasserstoff, Wasserdampf… Windgeschwindigkeit zwölf Meter je Sekunde… Seismische Wellen im Boden..
„Dort werden wir ja nie leben können“, hörte ich Eta murmeln. Ich drehte mich um, sie saß da, ebenfalls im leichten Kittel, und hatte den Kopf in beide Hände gelegt. Ab und zu schüttelte sie ihn ruckhaft.
Zeth, sonst stets bereit, sie zu trösten, las den Computerausdruck. „Da läßt sich nichts machen“, sagte er bitter, „es ist schlimmer, als ich befürchtet habe, da gibt es keine Methode.“
Andymon! Wie hatten wir von unserem künftigen Heimatplaneten geträumt, uns ausgemalt, wie wir am Rande eines blauen Sees Häuschen errichteten, Gärten, Felder und Schonungen anlegten — und nun diese heiße, giftige Hölle! Nun würden wir bis zu unserem Tod im Schiff leben müssen oder bestenfalls in beengten Stationen auf dem Planeten, Plastboden unter unseren Füßen und Plastplatten über unseren Köpfen, wie wir es von Geburt an kannten. Bis ans Ende unserer Tage in dieser riesigen Konservenbüchse — ich wollte es nicht wahrhaben. Auf immer… Ich blickte mich um und sah die Plastwände und dahinter wieder Plastwände und Metallwände und den viele Meter starken Ceramitmantel und dahinter die grenzenlose Leere. Gefangen waren wir, gefangen auf Lebenszeit. Und alles hier war viel zu eng, zu knapp bemessen, die paar Meter Naturpark… Ich atmete schwer, durch alles drang die Glut Andymons.
Wer weiß, wie lange wir durchhalten würden … Wie schnell wir in die Totaloskope fliehen würden, in Traumwelten, in den privaten Wahn… Andymon!
„Vielleicht“, sagte Gamma mit beleger Stimme, „vielleicht haben wir uns geirrt’, vielleicht ist" es gar nicht unser Ziel und Auftrag, Planeten umzugestalten… Aber nein, weshalb hätten wir sonst so außerordentlich viel Literatur über Planetentechnik und -umformung…“
Ich schaute in die Runde. Müde und zerschlagen saßen sie da, achteten nicht auf den Bildschirm, auf dem in Purpurwolken gerade die letzte Sonde landete. Ilona, sonst von so aufrechter Haltung, war resigniert zusammengesunken. Teth starrte mit zusammengekniffenen Lippen ins Leere. Es fehlte nicht viel, daß sie zu weinen begannen, Alfa und Teth, mir war selbst nicht anders zumute. Andymon! Es durfte nicht sein, wir mußten den Kopf oben behalten. Ich holte tief Luft, um etwas zu sagen, da trafen meine Blicke die Delths.
Delth glitt von der Konsole, auf der er gesessen hatte. „Was habt ihr denn erwartet?“ schrie er uns an. „Etwa grüne Wiesen mit Häschen drauf, etwa eine fertig eingerichtete Welt mit bezugsbereiten Häusern? Ihr habt wohl gedacht, wir finden ein Land, wo Milch und Honig fließen? Ich denke, ihr habt alle Planetologie studiert! Nur vierhundertfünfzig Kelvin, nur vier Atmosphären — das sind fast irdische Bedingungen!“
Er schwieg eine Weile, in der purpurnen Beleuchtung durch die Bildschirme sah sein sonst hellgelber Pyjama wie eine blutrote Robe aus. In diesem Moment bewunderte ich ihn neidlos - zum erstenmal in meinem Leben.
„Wollt ihr etwa aufgeben, bloß weil euch ein paar Bildchen und ein paar Zahlen erschrecken? Und wenn es zehntausend Jahre dauert, wir verwandeln Andymon in ein Paradies für Menschen! Dazu sind wir da, und das werden wir auch tun.“
„Zehntausend Jahre, du bist verrückt, Delth“, sagte Ilona, „das ist mir zu lange, das erlebe ich nicht mehr, das kann mir schnuppe sein, kommt mir jetzt nicht mit zukünftigen Generationen, bis dahin ist das Schiff ausgestorben.“
„Und selbst wenn es so lange dauern sollte“, Delth schrie nicht mehr, er sprach jetzt ruhig und eindringlich, „kannst du dir eine andere Aufgabe für uns vorstellen, etwas anderes, das uns am Leben erhält?“
„Ich mach uns neuen Tee, heute kommen wir doch nicht mehr zum Schlafen“, murmelte Teth und ging hinaus. Vielleicht wollte er nur eine Weile allein sein.
Die Hitze war verflogen, ich schlug den Kittel über meine Knie, dann sprach ich: „In zehntausend Jahren ist alles zu schaffen, so lange brauchen wir für einen läppischen Planeten nicht. Wir sollten jetzt gleich mit der Auswertung beginnen; es müßte doch möglich sein, daß wir bis zum Einschwenken in den Orbit wissen, wie wir mit Andymon in annehmbarer Zeit fertig werden.“