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Ich schob ihn von mir weg, aber er hielt sich mit aller Kraft fest und schrie mir seine Anklage ins Gesicht: Die borniertesten Eltern auf der Erde wären tausendmal besser als wir, ja, unterdrücken würden wir die jüngeren Geschwister und dabei ständig lauthals beteuern, daß wir alle gleich seien.

Und während er so schimpfte und ich wieder und wieder den Mund öffnete, um etwas zu sagen, fand zwischen uns ein stummer Kampf statt. Ich versuchte, seine Hand, mit der er sich an meinem Overall festkrallte, aufzubiegen, er wehrte sich mit der anderen.

„Laß mich…“ Ich sah, daß meine Gruppe bei einer sich entwickelnden Schlägerei hoffnungslos unterliegen würde. Doch meine Arme boxten, schoben, rangen weiter.

Alfa schrie irgend etwas, Teth stolperte gegen mich und riß mich dabei fast um. In diesem allerletzten Moment kam unerwartete Hilfe von den Kleinsten, die zuerst unsere Auseinandersetzung für ein Spiel gehalten hatten und sich beteiligen wollten, nun aber erschrocken und verstört zu weinen anfingen.

Xiths Griff lockerte sich. „He, wer wird denn gleich heulen, Atrith.“

Der angesprochene Junge lief weg. Das war das Ende unserer handgreiflichen Auseinandersetzung.

Ich kniete mich vor einem etwa vierjährigen Mädchen nieder und erklärte ihm, wie dumm es sei, sich mit Worten oder Fäusten zu prügeln. „Aber weißt du, wir meinen das gar nicht so, wir sind nur etwas überdreht, haben zu lange nicht geschlafen. So ein Problem kann man durch eine sachliche Aussprache lösen, verstehst du? Schließlich sind wir alle Geschwister.“ Ich wischte ihr die Nase sauber, sie schluckte noch einmal und lächelte dann wieder.

Jota und Delth waren zur Seite getreten. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sie miteinander diskutierten. Eine Weile gestikulierte Jota, und Delth schaute zu Boden, scharrte mit den Füßen im Laub, dann wieder nestelte Jota an ihrem langen schwarzen Zopf, und Delth redete auf sie ein. Ich habe nie erfahren, wie Jota ihre Vorstellungen Delth aufzwingen konnte. Durch Drohungen? Oder Argumente? Delth hat kein Wort darüber verloren.

Jedenfalls verkündete er, nachdem er durch einen lauten Pfiff die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, vor Kleinen wie Großen: „Also, die erste Gruppe und besonders ich versprechen, daß alle wichtigen Entscheidungen nur noch gemeinsam durch alle Gruppen, die den Naturpark verlassen haben, gefällt werden. Und daß bei bedeutsamen Ereignissen alle Geschwister zusammengerufen werden.“

Dieses Versprechen war damals eine bloße Proklamation, uns abgetrotzt durch die zweite und dritte Gruppe. Wir bekannten uns zwar prinzipiell dazu, doch dauerte es noch lange, bis wir bei der gemeinsamen Arbeit lernten, die Interessen der anderen auch im Kleinen zu achten, bis wir nicht nur die Mitglieder der eigenen Gruppe, sondern auch die Heranwachsenden, die noch nicht über unser Wissen verfügten, als gleichberechtigte Mitglieder der Gemeinschaft akzeptierten.

Obwohl uns die Arbeit unter den Nägeln brannte, gaben wir an diesem Tag dem Drängen der Kleinen nach und spielten mit ihnen. Es galt, einen unschönen Eindruck zu verwischen. Erst am Abend, als sie erschöpft, doch glücklich einschliefen, durften wir sie verlassen. Ich war keineswegs weniger erschöpft.

Vorbereitungen

Man nehme einen Planeten mit nicht zu unirdischer Atmosphäre, werfe ein paar Bakterien hinein, die Zirkulation besorgt das Umrühren, man warte die festgesetzte Frist: zehn, hundert oder tausend Jahre, dann ist alles fertig, man kann hinabsteigen, sich auf die grünen Wiesen legen und tief durchatmen.

Doch je größer Andymon in den Teleskopen wurde, je mehr Daten die Sonden, die noch nicht ausgefallen waren, übermittelten, je genauer wir die planetarischen Verhältnisse kennenlernten, desto lächerlicher erschienen uns unsere anfänglichen naiven Vorstellungen. Woche um Woche der Annäherung verging, keine konkrete, durchführbare Lösung stellte sich ein, kein Superbakterium, keine Algenchimäre wurde gefunden, auf der wir unsere Pläne hätten aufbauen können.

Hatten wir in der ersten Zeit gern auf Andymon geblickt, das Wachsen der Planetenscheibe beobachtet und die fehlenden Tage gezählt, so wichen wir dem Gedanken an die Ankunft nun aus, und wir glaubten, Jahre wären nötig, um den goldenen Schlüssel zu unserem Planeten zu finden. Wenn wir uns in den Korridoren trafen, gingen wir schweigend aneinander vorbei, tauschten bestenfalls ein paar Meßdaten aus. Die Frage nach dem Fortgang der Arbeiten war verboten — und jeder kannte die nicht erfragte Antwort.

Sechzig Tage vor Orbit stand mein Modell der Andymonatmosphäre: mit vertikaler Schichtung, Klimazoneneinteilung, jahreszeitlichen Variationen. Ich hätte Wetterberichte ausgeben können, Wolken, Hitze, Sturm, nur Niederschläge gab es bei den herrschenden Temperaturen nicht.

Der Computer gestattete es, mir das herbeizuspielen, herbeizuträumen, was uns in Wirklichkeit bislang versagt blieb. Ich brauchte nur einzutippen: Grünalge — Existenzbedingungen, Vermehrungsparameter, chemische Umwandlungsraten, katalytische Eigenschaften. Wie leicht war es doch, alles optimal zu simulieren, ohne Rücksicht darauf, ob es genetisch, biochemisch oder thermodynamisch möglich war. Wie leicht sah dann alles auf dem Display aus: Fotosynthese in den mittleren Atmosphärenschichten, Kohlendioxid und Wasser werden in Kohlehydrate und Sauerstoff umgewandelt; weiter unten zersetzen sich die Algenzellen in der größeren Hitze, organische Verbindungen fallen aus, das Wasser kehrt zurück in den Kreislauf der Atmosphäre. Parallel dazu wird Stickstoff fixiert, Düngemittel für künftige Kontinente. Nach und nach sinkt der atmosphärische Druck der durch die dichten Wolken hervorgerufene Treibhauseffekt verschwindet mit diesen; erträgliche Temperaturen stellen sich ein. In der oberen Schicht dissoziiert unter dem Einfluß kosmischer Strahlung der neugebildete molekulare Sauerstoff, Ozon bildet sich, und die gefährliche UV-Strahlung wird absorbiert.

Wunderbar, ganz nach Belieben und vorgegebener Vermehrungsrate simulierte der Computer eine Verwandlung der Atmosphäre in eine für Menschen atembare Lufthülle in einem, zwanzig oder fünfhundert Jahren. Einen Haken nur hatte die Sache: Es gab weder die Einjahresalge noch die für zehntausend Jahre. Es existierte überhaupt kein Mikroorganismus, der in den höllischen Bedingungen von Andymon länger als Sekundenbruchteile überlebte.

Nachdem ich drei Tage rfiit fruchtlosen Variantenrechnungen verbracht hatte, hielt ich es am Computer nicht mehr aus. Brotlose, nicht durch Fakten gestützte, völlig wirklichkeitsferne Künste. C02-Partialdruck, Enthalpiebilanzen… Ich wollte nichts mehr davon sehen.

Ich versuchte Gamma zu überreden, mit mir Ferien im Naturpark zu machen, einige Tage nur zu wandern, zur Achse zu klettern, mit Drachen zu segeln — ihr Blick verriet mir, daß sie dies für Desertation halten würde.

„Weshalb überschlagt ihr euch denn jetzt so, wenn es sowieso zehn oder hundert Jahre dauert?“ schrie ich sie an.

„Du bist überarbeitet“, antwortete sie bedauernd, „aber ich kam jetzt nicht weg von unseren Versuchen.“

Wohin ich auch ging, in welches Labor ich auch schaute, sie alle hatten sich tief in die Arbeit vergraben. Und obwohl es sich niemand eingestand, wußte ich, weshalb: um ja nicht an den möglichen Mißerfolg denken zu müssen. Wie, überlegte ich, wollen sie Jahre so durchhalten? Mit schwarzen Ringen unter den Augen?

Ich sprach eindringlich mit Alfa und konnte sie von meinen Befürchtungen überzeugen. Gemeinsam gingen wir zu Jota, die die biologischen Vorbereitungen leitete. Sie stand da, über ein Mikroskop gebeugt, und schien unser Eintreten überhaupt nicht wahrzunehmen. Als wir sie antippten, fragte sie unwirsch: „Was ist denn?“

„So geht es nicht weiter“, sagte Alfa, „wir machen uns kaputt und haben kein bißchen Kraft mehr, wenn wir Andymon erreichen. Jota, wir müssen einmal eine Pause einlegen, einmal wieder zur Besinnung kommen. Wenn wir morgen einen Feiertag…“