Ich mußte lachen, Szadeth und sein einfaches Leben! Fahrtwind, aufgewirbelter Staub schienen ihm nichts auszumachen, er redete und redete.
„Ein richtiges Pionierleben, nicht wie im Schiff eingepfercht zwi-schen Computern und Wiederverwertungsanlagen, das alles brauchen wir hier nicht. Wir haben einen grenzenlosen Planeten, sind nur auf uns selbst angewiesen, können alles mit unseren eigenen Händen… Wozu brauchen wir diese Supertechnik, die Computer und Mondstationen? Das ist alles viel zu kompliziert, zu anfällig. Und wenn so ein Computer ausfällt, geht alles drunter und drüber. Da bin ich viel lieber unabhängig, auf mich allein gestellt…“
Ich lachte nicht mehr. Szadeths Begeisterung für ein freies Pionierleben war auf gefährliche Weise naiv. Deshalb durfte ich nicht auf gewöhnliche, belanglose und unverbindliche, darum verbindende Themen ausweichen.
„Szadeth, Szadeth, du vergißt, daß unser Leben durch diese Technik überhaupt erst möglich geworden ist!“ Der Rover sprang über den welligen Boden, ich hielt mich fest. „Schau, du fährst mit Wasserstoff und Sauerstoff, ohne Fusionsreaktor wäre dein Rover bloße Attrappe. Und unsere Computer sind noch nie ausgefallen. Wir haben mehrfache Sicherheitsfaktoren, strukturelle Redundanz, aber das weißt du selbst, weshalb willst du vergessen, daß du ein Kind dieser Technik bist?“
Ich schwieg, vielleicht hatte ich schon zuviel gesagt, auch Szadeth schwieg. Der unerwünschte, zu heiße und zu trockene Wind blies um unsere Ohren.
„Na ja, du hast schon recht“, sprach er gegen den heranwehenden Staub, „aber mir gefällt diese Abhängigkeit nicht. Wenn wir erst ein größeres Stück Andymon umgestaltet haben, mit allen Mitteln, die uns das Schiff bietet, dann können wir ein natürlicheres Leben führen, können auf die überflüssig gewordenen Geräte verzichten. — Gut, nur die, die darauf verzichten wollen… Ist wahrscheinlich sogar günstig, wenn einige von uns das technische Erbe des Schiffs in Schuß halten.“
Vor uns schob sich die Kuppel von Oasis langsam über den Horizont. Sie war Symbol für unsere Abhängigkeit von künstlich geschaffenen Lebensbedingungen. Wenn sie fiele, käme die Zeit, von der Szadeth träumte und in der er mir mit unwilligem Großmut immerhin ein Plätzchen einräumte. Aber noch war nicht entschieden, wessen Vorstellung von der Zukunft sich auf Andymon realisieren würde. Vielleicht, dachte ich, irren wir beide, sehen beide die Dinge zu abstrakt, zu einseitig, zugespitzt, vielleicht wird alles ganz anders.
Der Rover fuhr durch die grüne Umgebung der Kuppel. Künstlich bewässerte Wiesen und Waldstücke, Streifen von Feldern wechselten einander ab. Seit die Regenfälle rarer wurden, sank auch der Grundwasserspiegel. Die Wüste streckte unmerklich ihre trockene Zunge nach Oasis aus. Um die Handbreit kultivierten Landes zu retten, waren wir bereit, ganze Berge in die Luft zu sprengen.
„Du besuchst uns doch?“ wiederholte Szadeth seine Frage. Ich nickte. Er sprang in hohem Bogen aus dem Rover. Ich folgte ihm durch die weitoffene Schleuse in die Kuppel. In ihr herrschte im Gegensatz zur trockenen Glut draußen eine feuchte Wärme. Als wir in die Siedlung gingen, erblickte ich einen die Häuschen überragenden Obelisken aus schwarzem, poliertem Gestein.
„Was ist das?“ fragte ich verwundert. Das vierkantige, schlanke Ding stand da wie aus einer anderen Welt, sah — zumindest in meinen Augen — nach Kosmos aus.
Szadeth räusperte sich, bei ihm ein Verlegenheitszeichen. „Das ist ein Obelisk. Für Delth. Es ist immerhin sieben Jahre her, daß er sein Leben für Andymon gab.“
Ich biß mir auf die Lippen. War es schon soweit, daß wir uns gegenseitig Denkmäler aus Stein errichten mußten? „Ich weiß nicht, ob sich Delth das gewünscht hätte“, sagte ich vorsichtig.
„Resth meint, wir wären es ihm schuldig. Schließlich hat Delth die Eroberung Andymons geleitet“, sagte Szadeth unbekümmert.
Wir gingen weiter, der Obelisk war mir nun ein Dorn im Auge, es tat mir weh, ihn anzusehen - trotz seiner Schmucklosigkeit, Schlichtheit. Und er war Resths Symbol dafür, daß sich das Zentrum unserer Welt nach Oasis verschoben hatte.
„Und was sagt Alfa dazu?“ fragte ich weiter.
„Nichts, nein, sie war einverstanden. Resth hat mit ihr geredet.“
Na schön, hättest du dir denken können, überlegte ich. Alfa ist eben zu sentimental. Ich war sicher, Delth hätte das Ding als Beleidigung aufgefaßt: Er hatte ganz Andymon, da brauchte es keine steinernen Symbole.
„Im übrigen“, sagte Szadeth, und ich bemerkte, daß die Beiläufigkeit seiner Bemerkung nur gespielt war, „Resth behauptet, du hättest damals vielleicht nicht alles getan, um Delth zu retten.“
„Aber das ist doch…“ Ich blieb stehen, die Stimme entglitt meiner Kontrolle. „Wie kann er so etwas behaupten…?“
„Nicht so laut“, unterbrach mich Szadeth.
„Aber wieso, ich versteh das nicht, wir haben doch die Aufzeichnungen von damals, da kann sich jeder überzeugen…“
„Ich glaube dir ja, Beth. Aber was sind schon Aufzeichnungen?“
„Er kann nicht einfach so eine haltlose Anschuldigung verbreiten!“ „Doch, er kann. Du kennst Resth schlecht. Komm.“
Wir waren bei Szadeths Häuschen angelangt. Szina begrüßte ihn stürmisch und mich freundlich. Wir setzten uns, beobachteten den kleinen Prith, der die Arme nach mir ausstreckte und mich anlachte, solange ich mich mit ihm beschäftigte. Ich wußte von Szadeths langen Berichten, wie stolz sie auf jede Kleinigkeit waren, die er hinzulernte. Dann aßen wir vor ihrem Haus echte frische Erdbeeren in synthetischer Milch.
Ich hätte gern Resths ungeheuerliches Verhalten diskutiert, aber Szadeth schien keinesfalls weiter darüber sprechen zu wollen. Zweimal setzte ich an, doch mein Mund sagte nur: „Schmecken ausgezeichnet, eure Erdbeeren, wirklich.“
Szina lächelte mir zu. Desto überraschender traf mich ihre plötzliche Frage: „Stimmt es, daß du gesagt hast, du würdest uns notfalls zwingen, an deinen Projekten mitzuarbeiten?“
Ich verschluckte mich. Auch Szadeth ließ beinahe seinen Löffel fallen. Als ich die Stimme wiedergewonnen hatte, stammelte ich unzusammenhängend: „Wie? Aber… Wer hat das gesagt? Das habe ich nie…“ Ich brach ab, denn plötzlich erinnerte ich mich an unser Gespräch auf dem Turm: Am liebsten würde ich sie zwingen, wenn sie das partout nicht begreifen wollen.
Wer von uns hatte das ausgeplaudert und dabei auf das gröbste entstellt? Jota — nein, sie war zu bedächtig und zudem jederzeit bereit, meine Pläne zu unterstützen. Fith, ja Fith, er hatte hier in Oasis die Angelegenheit mit dem Transformator geregelt. Und er redete, ehe er überlegte. Aber er mußte doch wissen, in welcher brisanten Situation wir uns befanden. Fith!
„Das läßt sich klarstellen“, sagte ich langsam und wiederholte das Gespräch, so gut ich mich daran erinnerte. Prith, der wohl merkte, daß er nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, unterbrach mich durch lautes Plärren. Szina nahm ihn auf den Schoß.
„Ihr müßt wissen“, setzte ich fort, „daß wir in City, also die ersten drei Gruppen, beschlossen haben, nichts ohne eure Einwilligung zu beginnen. Ich möchte nicht, daß unsere Gemeinschaft auseinanderbricht — auch wenn ich dabei riskiere, überstimmt zu werden. Auch wenn ich deshalb mein Lieblingsprojekt auf geben muß.“
Szadeth, der während meiner Worte aufgestanden war und hinter dem Tisch auf und ab ging, sagte kurz: „Hauptsache, du hältst dich dran.“ Damit war dieses Thema abgeschlossen.
Während sie stillte, fragte uns Szina über unsere Arbeit aus, über die Klimaveränderungen und was sich dagegen unternehmen lasse, über die Perspektiven von Oasis und der umliegenden Ebene. Unverfängliche, verbindende Dinge. Ich blieb, bis die Dämmerung einsetzte.