Und dann kam für mich die Überraschung des Tages. Szina erhielt, das Wort. Ich fürchtete, daß es von ihr verwendet werden könnte, um in irgendeiner Weise Resth den Rücken zu stärken. Aber sie eröffnete, Resth müsse sich für weit Schlimmeres verantworten. „Stellt euch vor, Resth hat uns heimlich belauscht, systematisch unser aller Gespräche abgehört. Fith, der als erster einen Abhörsender gefunden hat, kann das beweisen.“
Noch während ich wie angewurzelt dasaß, bestätigte Fith ihre Anklage mit verworrenen Sätzen und holte aus seinen Hosentaschen etliche knopfgroße schwarze Geräte hervor. Schlagartig erinnerte ich mich, wie er das erste fand — in meinem Beisein auf dem Turm! Fiths weit ausholende fahrige Gesten waren überflüssig, diesen unerlaubten Einbruch in ihre Privatsphäre würden die Geschwister Resth nie verzeihen.
„Hast du das gehört, Gamma?“ flüsterte ich beschwörend in das Intercom.
Als Antwort ertönten undeutlich gemurmelte Zahlenkolonnen. Gamma verfolgte konzentriert die Befehlsstrukturen von Resths Löschprogramm.
Der Entrüstungssturm, der nun über Resth hereinbrach, mußte ihm die Augen öffnen.
„Was heißt bespitzelt“, versuchte er sich zu verteidigen, „ich mußte doch wissen, was die erste Gruppe ausheckt!“
„Wir hätten wissen müssen, was du ausheckst!“ Szinas Stimme überschlug sich fast. „Und du hast auch uns abgehört und selbst die Gespräche der zehnten Gruppe. Ja, da staunt ihr wohl, so kennt ihr euren großen Anführer nicht!“
Resth stammelte etwas von „eure Interessen kennen, um sie zu vertreten“, seine Garde machte verblüffte, verärgerte Gesichter. Dann standen nach einem kurzen Getuschel Laath und Bhriga auf und gingen unsicher hinüber zu den Bewohnern von Oasis. Einzeln und zögernd folgten ihnen die anderen.
Und Pea? „Nein, ich habe nichts gewußt, ja, geahnt schon, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß Resth…“ Ihre weinerliche Stimme ging im Lärm unter, der durch das Amphitheater hallte. Im Gegensatz zu Resth, der allein in der brütenden Hitze saß, wurde sie von ihrer Gruppe, soweit ich erkennen konnte, getröstet.
Joth, von seinen Nachbarn angestoßen, erhob sich und winkte mit den Armen, steckte dann die Finger in den Mund und pfiff, daß es von den Felsen widerhallte. Resth erhielt eine letzte Gelegenheit, die Anschuldigungen zu widerlegen. Von seiner Selbstsicherheit war nur die Pose geblieben.
„Versteht ihr nicht, daß ich ausschließlich in eurem Interesse gehandelt habe? Es ging um Andymons Zukunft! Ihr habt gut reden, jetzt, da ich für euch die Kastanien aus dem Feuer geholt habe, jetzt richtet ihr über mich, distanziert euch. Von mir aus verstoßt mich, eure Kinder werden anders über mich denken. Mein persönliches Leben zählt da nicht.“
„Wir bauen dir später mal ein Mausoleum“, höhnte Xith.
Wie es unser Brauch seit Schiffszeiten war, entschied Resths eigene Gruppe über ihn. Szadeth sprach so leise, daß er sich damit Ruhe erzwang. Mit systematischer Umständlichkeit legte er dar, daß Resths verborgene Tricks und geheime Manipulationen gefährlicher für unsere Gemeinschaft waren als alle unrealistischen Projekte.
„Wenn wir Konflikte weiter auf deine Weise austragen würden, hätten wir bald Tote zu beklagen. Und, Resth, du hast nicht nur die Konstrukteure des Schiffs verachtet, indem du ihr Wissen löschtest, du hast auch uns verachtet, indem du dir herausnahmst, unsere Interessen besser zu kennen als wir selbst. Sei froh, daß alles ans Tageslicht gekommen ist, du wärst sonst ein kleiner, aber größenwahnsinniger Diktator geworden. Und das für die Zukunft Andymons. Ich kann das Wort nicht mehr hören.“
Zustimmung von allen Seiten. Resth saß mit steinernem Gesicht da. Ein geschlagener Sieger. Und Szadeth, den ich immer für einen speziellen Freund Resths gehalten hatte, schloß mit Worten, in denen Endgültigkeit klang: „Resth hat sich als unfähig erwiesen, in unserer Gemeinschaft zu leben, ich will ihn in Oasis nicht mehr sehen.“
„Ja“, rief Xith, „er bespitzelt uns sonst weiter. Verbannen wir ihn! Er bekommt eine Minimalausrüstung und ab nach Ladym!“
Unwillkürlich sprang ich auf. In jenem anderen Szenarium hätten sie das gegen mich geschrien: Auf den Mond mit ihm!
„Was wollt ihr denn“, brüllte ich erregt. „Wollt ihr euch rächen? Glaubt ihr, das hilft euch oder ihm? Ihr wollt ihn bloß weghaben, was? Heute Resth — morgen wen? So einfach ist das: Er hat sich als unfähig erwiesen, in unserer Gemeinschaft zu leben.“
Ich stockte, die Frage, was ich denn mit ihm zu unternehmen gedenke, klang unausgesprochen durch das Amphitheater. Und ich wußte keine Antwort. Daß er nicht mehr in Oasis leben konnte, war klar. Ebenso, daß Andymon-City ihm verschlossen bleiben würde.
„Auf keinen Fall wird er von Andymon verbannt. Er wird sich jetzt selbst seinen Platz suchen — oder ihn durch überzeugende Taten wiedergewinnen müssen.“
Ob Resth meinen Fingerzeig verstand, oder ob er einfach fühlte, daß er diese seine Gemeinschaft würde verlassen müssen? Ohne jemanden anzusehen, stieg er schwerfällig die breite Treppe hinauf. Schweigen herrschte, bis er hinter dem Rand des Amphitheaters verschwand.
Jetzt, als Resth den Kreis der Geschwister verlassen hatte, spürte ich, daß ich schwitzte. Das Hemd klebte mir am Oberkörper, und mein Mund war wie ausgedörrt. Auch die Geschwister begannen nun die lästige Hitze wahrzunehmen. Zögernd stand dieser und jener vom unbequem gewordenen Sitz auf und reckte sich.
Wir können doch nicht so auseinandergehen, dachte ich, ich muß noch etwas sagen, aber was? Auch mein Gehirn war ausgedörrt.
Joth erhob sich. „Verehrte Geschwister“, begann er. Die Last war von ihm gewichen, und er erfreute sich seiner Präsidentenrolle. „In Anbetracht gewisser meteorologischer Unbilden und unter Berücksichtigung der nicht vorliegenden Anträge von drei noch nicht geborenen Mitgliedern dieser Versammlung verkünde ich in meiner Eigenschaft als nichtgewählter Präsident dieser noch nicht zu beendenden Versammlung deren Vertagung bis zur Verbesserung der erwähnten Unbilden.“
„Was ist?“ fragte mich Teth verständnislos.
„Pause“, übersetzte ich.
Vertagt
Die unteren Reihen des Amphitheaters lagen bereits im Schatten, als wir uns gestärkt, erfrischt und erholt gegen Abend erneut versammelten. Ich wählte denselben Platz — es ist mein Stammplatz geworden. Die Steine strahlten eine nunmehr angenehme Wärme aus.
„Ich habe die Zentraldatensperre aufgehoben und jetzt direkten Zugriff, aber die Codes sind gestört und das Directory ist verfälscht. Ich würde dich wirklich hier brauchen, Beth.“ Gamma hatte stundenlang ununterbrochen am Schiffscomputer gearbeitet. Selbst auf dem Intercombildschirm waren ihre Augen gerötet.
„Der Fall Resth ist erledigt“, hörte ich Jota sagen, die die Diskussion eröffnete, „aber wird es der einzige bleiben? Wir sind weder Engel noch perfekte Roboter. Unsere Nachfahren…“ Ihre Worte gingen an mir vorbei.
„Du meinst, es ist also doch alles gelöscht oder verfälscht, Gamma?“
„Das kann ich jetzt noch nicht sagen, jedenfalls war Resths Programm wesentlich klüger, als ich dachte. Hilf mir doch, Beth!“
Jota — oder war es jemand anders? — begann von der Notwendigkeit zu reden, Normen des Zusammenlebens zu formulieren und zu beschließen, Gesetze aufzustellen. Früher oder später wären diese sowieso nötig.
„Und Beamte, Kontrolleure, Gesetzeshüter — nein, danke!“ Lediglich ablehnende Zwischenrufe antworteten ihr.
„Ich kann hier nicht weg“, sprach ich leise in das Intercom, „es ist zu wichtig. Eigentlich müßtest du auch hiersein. Schließlich geht es um die Zukunft der Menschheit auf Andymon.“