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Ich setzte mich zu Gamma auf einen großen Felsbrocken. Wir blickten hinab. Gamma brauchte nichts zu sagen, ich wußte, daß sie es genoß. Ich nahm einen Stein, holte aus und schleuderte ihn über den Abhang. Er schlug auf, polterte. Das Geräusch verlor sich in der Tiefe.

„Hier gibt es nur Basalt, Granit und ähnliches Gestein“, sagte ich, „keine Sedimente, keinen Sandstein, erst recht keinen Kalkstein. Keine Chance, Versteinerungen zu finden. Da müßte man schon hundert Millionen Jahre warten… Sogar die Sternbilder werden dann anders stehen… Wir Menschen werden uns über Andymon ausgebreitet haben und über ein gutes Stück Galaxis, und wir beide werden längst vergangen sein. Unsere Versteinerungen wären zu finden.“

Gamma lachte. „Deine Versteinerungen!“

Ich wechselte das Thema. „Unterwegs habe ich mir überlegt, Gamma, vielleicht sollte ich mir Aufzeichnungen machen: über mein Leben, über unsere Träume, Vorhaben, über Andymon…“

„Du meinst, es hilft dir, die Dinge bewußter zu sehen, dich selbst zu verstehen?“

„Nun ja, siehst du, vieles in unserer Entwicklung war sicher notwendig: unser Pioniergeist mit all seinen Übersteigerungen, unser Drang, eine eigene Welt zu schaffen. Aber nimm Resth zum Beispiel. Die Gruppe auf Gedon. Da denke ich mir, das hätte auch anders kommen können. Schlimmer. Oder besser. Was ist hier zufällig? Ich weiß es nicht.“

„Und du glaubst, du bekommst das heraus, wenn du darüber nachdenkst und alles in Worte faßt?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht.“

„Es lohnt sich sicher, Beth.“

Ich sagte ihr nicht, daß meine Aufzeichnungen noch für eine weitere Person gedacht waren, eine Person, die erst in zehntausend Jahren existieren würde, Beth, mein Ebenbild und Nachfolger im neuen Schiff.

Sie stand auf, ich folgte ihr zu den Rucksäcken. Wir kochten uns Tee und holten belegte Brote heraus, die wir mit großem Appetit aßen. Danach kehrten wir, den Weg mit der Taschenlampe ausleuchtend, zu unserem Beobachtungsplatz zurück. Die Luft war noch immer lau. Knapp unterhalb des Horizonts ließ sich nun ein feiner Lichtschein erkennen: Andymon-City. Allein dieses Licht verriet, daß Andymon bewohnt war.

„Wir haben ja so viel erreicht, so viel geschafft“, sagte ich.

„Du redest, als ob du am Ende wärst.“

Am Himmel, zwischen den dunklen Wolken, waren die ersten Sterne zu sehen.

„Im gewissen Sinne ja. Schließlich ziehe ich mich, ziehen wir uns jetzt von Andymon zurück, wenn wir mit dem Schiffbau beginnen.“

Um meine Worte zu unterstreichen, warf ich einen weiteren Stein hinab. Er rollte eine Weile, dann blieb er liegen.

„Ach Beth, du mußt nicht immer so übertreiben. Wir können jederzeit zurückkehren.“ Tröstend strich mir Gamma über den Kopf.

„Jetzt wird es interessant auf Andymon“, sagte ich. „Unsere Gesellschaft entsteht ja erst. Die jüngeren Gruppen, die nicht sosehr wie wir durch das Totaloskop erzogen wurden, wollen sich weniger an irdischen Traditionen orientieren, eine eigene Kultur aufbauen. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Die Kinder der Siedler werden wieder andere Wege gehen. Der Streit darum, wie weit die Arbeitsteilung getrieben werden sollte, fängt gerade an. Und welche Institutionen werden sich herausbilden?“

„Und du hast Angst, dabei etwas zu verpassen? Diese Probleme sind nicht nur komplizierter als der Schiffbau, die Lösung wird auch längere Zeit in Anspruch nehmen. Generationen.“ Gamma seufzte. „Aber du mußt nicht denken, daß alles verkehrt läuft, wenn wir im Schiff sind und du nicht überall dabeisein kannst. Die anderen sind keine Kinder mehr — und du bist nicht ihr Guro.“

„Ich weiß“, murmelte ich, „und ich folge nur meinem Plan.“

Die Luft wurde kühler, es kam etwas Wind auf. Gamma lehnte sich an mich. Der Horizont war völlig schwarz. Eine Weile saßen wir noch schweigend da, dann kletterten wir zu unseren Schlafsäcken. Erst rückten wir eng zusammen, dann, als Gamma schlief, wälzte ich mich eine Weile hin und her, starrte schließlich mit offenen Augen in den weiten, nur von wenigen Wolken verhangenen Himmel über mir.

Ich versuchte mir vorzustellen, daß ich auf einer riesigen Planetenkugel läge, die mit mir durch das All sauste, durch all die Sterne. Ein paarmal gelang es mir, eine Andeutung des entsprechenden Gefühls hervorzurufen. Dann suchte ich den Himmel nach dem Schiff ab. Es war nicht zu sehen. Ich wartete lange, daß es über den Horizont steige, und schlief dabei ein.

Knotenpunkt Schiff

Jeder Flug zum Schiff ist für mich eine Heimkehr, auch wenn ich Andymon nur ungern verlasse. Sobald ich in den Bannkreis des Schiffs gerate, erfaßt mich ein Prickeln, und mir ist, als wüchsen mir Flügel, als verfügte ich über ungeahnte, ungeheure Kräfte.

Neben Gamma begleiteten mich Jota und Zeth, die uns bei der Vorbereitung des Schiffbaus unterstützten. Termine hatten wir uns nicht gesetzt, in den Knotenstellen der Netzpläne fehlten die Datumsangaben. Ob die Konstruktion zwanzig oder zweihundert Jahre dauern würde, es kam darauf an, zu beginnen.

Wir, der Konstruktionsstab, lebten nun im Schiff, das wir liebevoll und zugleich vorgreifend das „alte“ nannten. Es war fast wie in meiner Jugend. Täglich badete ich mit Gamma im See des Naturparks, nur die Guros und ihre Schützlinge fehlten am Ufer, und die Trampelpfade waren längst überwuchert. Mitunter, wenn wir Neuigkeiten hörten, packte uns die Sehnsucht nach Andymon und den Geschwistern. Die Versuchung war groß, hinab nach Oasis oder City zu fliegen. Bedauernd mußten wir es immer wieder aufschieben, denn die gegenwärtige Phase unserer Arbeit erforderte unsere Anwesenheit. Das Videofon bot einen allerdings unzureichenden Ersatz.

Zeth blieb trotz seiner Freundschaft mit Jota ein Einzelgänger. Kurz entschlossen flog er nach Ladym, wo die Produktion der meisten Konstruktionsmaterialien stattfinden sollte, und sorgte für den Aufbau der entsprechenden Anlagen und des Solenoids, eines gigantischen Linearbeschleunigers, der mehrere hundert Tonnen schwere Container in einen Andymonorbit katapulieren konnte.

Von Zeit zu Zeit kamen andere Geschwister zu uns, um uns für Tage, Wochen oder Monate zu helfen wie Psith, der sein Versprechen nicht vergessen hatte. Oft trieb sie auch nur blanke Neugier. Den größten Nutzen hatten wir jedoch von unseren „Praktikanten“. Für jeweils ein halbes Jahr kam eine der jüngeren Gruppen zu uns, sie lernten die Technik des Schiffs beherrschen. Wenn sie auf Andymon blieben, bestand die Gefahr, daß sie sich nur mit dem allernotwendigsten Gerät vertraut machten.

Den Anfang mit der Ausbildung im Schiff machte die zehnte Gruppe, ja, gerade die ehemalige Garde Resths. Sie, die Verführten, distanzierten sich nun am schärfsten von Resth, und sie bewiesen ihre neue Einstellung, indem sie mit aller Macht danach strebten, mich zu unterstützen. Und sie hatten die trotz angespannten Programms zu kurze Ausbildung bitter nötig.

Ich erwartete gerade die erste Probelieferung von Zeths Solenoidgeschossen, als Gamma die Neulinge nach beendigter Schiffsbesichtigung zu mir in die Zentrale führte. Voller ungestümer Fragen stürzten sie herein.

„Oh, die Zentrale! Kann man von hier aus wirklich das Schiff starten?“

„Was passiert, wenn ich den Hebel da umlege?“

„Gar nichts“, rief ich über ihre Köpfe hinweg, „ich habe vorsichtshalber alles blockiert.“

Sie lachten und umringten mich. „Wie denn?“

„Das werde ich gerade dir verraten, Dasza“, sagte ich und schaute das Mädchen mit den langen blonden Zöpfen an, Ilona hatte damals noch schöneres Haar gehabt, „du würdest doch sofort…“