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Seit Ilona zu uns gestoßen war, um aus der Genbank neue Arten nach Andymon zu exportieren, waren auch die Labortrakte wieder belebt, und man konnte sich im Schiff wie in alten Tagen fühlen. In den Gängen herrschte Leben, Lachen erklang aus den Gemeinschaftsräumen, woran auch die vierte Gruppe beteiligt war. Allen voran Daleta, wollten sie sich nützlich machen, mit zupacken.

Ilona und ich wetteiferten darin, Arbeit zu verteilen. Was war wichtiger: die Aufzucht von Schaben, Strudelwürmern, Fäulepilzen und hunderterlei Bakterien für die Ökologisierung Andymons oder die Energieversorgung meiner Montageautomaten? Wenn ich mich auch halb im Scherz über ihr verwerfliches Interesse für Unkräuter, Ungetier und Ungeziefer, Parasiten und Bazillen beschwerte, wußte ich doch, daß alles in der künftigen Biosphäre seinen Platz haben würde und daß auch für das entstehende Schiff die genetischen Ressourcen des alten erschlossen und dupliziert werden müßten.

Ich war zufrieden — bis auf eins. Mit Gimth wurde es nicht besser. Daß er mit mir hinter einem Terminal hockte oder in der Zentrale auf und ab trottete, war weniger schlimm. Aber auch abends folgte er mir in unsere Räume. Saß mit seinen ein Meter dreiundneunzig einfach da, als ob er zur Einrichtung gehörte. Auf die Fragen des Alltags antwortete er mit einem Wort oder einer Kopfbewegung. Sonst schwieg er nur und hörte zu, wie Gamma und ich uns unterhielten. Auf Andeutungen, ob er nicht in seinem Zimmer…, reagierte er selten.

Ich versuchte, ihn für das Leben auf Andymon zu begeistern, schwärmte ihm etwas vor und bestand darauf, daß er sich mit uns die AN-ALLE-Nachrichten ansah. Qia und Psith aus der dritten Gruppe hatten nach der Auseinandersetzung im Amphitheater ein Informationssystem entwickelt, das genau unseren Bedürfnissen entsprach. Ich benutzte es selbst, um die Geschwister auf Andymon über den Beginn des Schiffbaus, die Probleme mit der vierten Gruppe und das Leben im Schiff überhaupt auf dem laufenden zu halten. Jeder, der sich an die Gemeinschaft wenden wollte, sprach seine Neuigkeiten, Fragen, Beschwerden, Hinweise einfach in den Videokanal unter der Codierung AN ALLE. Der Computer speicherte das und verteilte die Aufzeichnungen auf Abruf.

„Ich brauche Hilfe“, sagte Lameth aus der fünften Gruppe und ließ die Kamera über große Baumaschinen schweifen, die im harten Boden wühlten, „allein schaffe ich es nicht, den Bewässerungskanal rechtzeitig fertigzustellen. In zwölf Tagen will Samecha mit der Aussaat beginnen. Und vor mir liegen noch acht Kilometer. Irgendwer muß sich verplant haben.“

„Na, Gimth, wäre das nichts für dich? Frischer Wind, festen, staubigen, echten Boden unter den Füßen, eine handfeste Arbeit unter freiem, sonnigem Himmel? Und Lameth ist ein guter Kumpel.“ Wenn Gamma so redete, bekam ich richtig Lust, mich in schwere Maschinen zu setzen und Kanalfurchen durch die Wüste zu ziehen.

Gimth blieb stumm.

Die schon wieder schwangere Szina und Szadeth, der Prith im Arm hielt, berichteten kurz, daß es ein Mädchen werden würde nach dem Untersuchungsergebnis und daß sie es Secca nennen wollten, „und hoffentlich wird es so schön wie Szina.“

Gimth war nicht zu verlocken.

Ebenso ließ ihn der Bericht über eine neue Fabrik, der von Xith in geradezu perfektem Reportagestil mit viel zu vielen Fakten gegeben wurde und von echter Etamusik begleitet war, völlig kalt.

Nicht gerade Begeisterung, aber doch eine gewisse Aufmerksamkeit riefen die Bilder von einem mausähnlichen Tier hervor, das ganz unschuldig auf Myths Handteller saß. „Wer kann mir sagen, wie diese Bestie, die mich in den Finger gebissen hat, heißt und wo sie herkommt? Wenn noch kein Name festliegt, schlage ich ‚braungefleckter Fingerbeißer‘ vor. Das soll auch eine Warnung sein!“

Ein Dutzend oder mehr Beiträge unterschiedlichster Wichtigkeit je Tag, das war die Regel. Selbst Kinder beteiligten sich, luden zu einem Schwimmfest ein.

Kopa aus der sechsten Gruppe beschwerte sich lauthals: „Wer ist über mein Feld gefahren? Auch wenn es noch nicht grün aussieht, gesät ist schon. Und einem Roboter traue ich so einen Vandalismus nicht zu. Ich bestehe mindestens auf einer Entschuldigung!“

Heiteres und Ernstes wechselten sich ab. Nur Gimth verzog kaum eine Miene. Vielleicht waren Bilder prinzipiell ungeeignet für ihn? Hatte er nicht als Bestandteil des Wesens seine Informationen in Bildern bekommen und sich dabei völlig passiv verhalten?

Der Reigen der Meldungen wurde von Lameth abgeschlossen, der sich nun für die zahlreichen Hilfsangebote bedankte. Neben der Förderung des Zusammenhalts und der Diskussion von Fragen allgemeiner Bedeutung war dies wohl die wichtigste Funktion des AN-ALLE-Systems: uns über unterbesetzte Betätigungsfelder zu informieren.

Gimth erweckte nicht den Eindruck, irgendeine Lücke füllen zu wollen. Er war wie schon an den Abenden vorher im Sessel eingenickt.

Wir zogen uns in unser Schlafzimmer zurück. Rar waren die Minuten ohne Gimth. Vor dem Einschlafen flüsterten wir miteinander, was wir machen sollten.

„Du darfst ihm deine Ungeduld nicht zeigen“, sagte Gamma beschwörend, „denk dran, der arme Bursche hat einen Knacks weg. Er braucht Gesellschaft.“

„Aber immer dieselbe, daß ihm die nicht langweilig wird.“ Ich stöhnte. Gamma hatte ihn wenigstens tagsüber nicht um sich.

„Vielleicht bist du sein großes Vorbild“, spottete sie, während sie sich an mich kuschelte. Ich lachte ungläubig. Und am nächsten Morgen begann alles von vorn.

Natürlich informierte ich Alfa, doch auch sie wußte keinen Rat außer: „Ihr müßt aushalten, bis er wieder vernünftig wird.“

Überall hatte ich den langen, dünnen Gimth bei mir, selbst im Schlaf sah ich sein knochiges Gesicht. Ein Schatten konnte nicht anhänglicher sein. Schließlich kam mir ein Zufall zu Hilfe.

Gimth und ich hatten Ilona in ihren Laboren besucht. Schweigend liefen wir den Gang entlang. Von einem der gekrümmten Seitenkorridore drangen Stimmen zu uns: „…paßt auf, daß der Alte nicht zu früh Wind davon bekommt.“

„Pah, der redet uns nicht rein.“

Erschrocken hielt ich inne. Braute sich da wieder Ärger zusammen? Was führte die zehnte Gruppe im Schilde? Mir war schon aufgefallen, daß sie sich sehr spezialisierten: Bhriga auf Computer, Nrada auf Energie- und Antriebstechnologie, Laath auf Biowissenschaften. Nun gut, sie wollten als Gruppe die Technik des Schiffs möglichst umfassend kennenlernen, und sie konnten sich in der kurzen Zeit nur die Anfangsgründe je eines Fachgebietes aneignen.

„Was ist denn?“ fragte Gimth.

Ich warf ihm einen nicht gerade freundlichen Blick zu. Die Geräusche verstummten. Rasch bog ich um die Ecke.

Die gesamte zehnte Gruppe blickte mir verärgert entgegen. Auf dem sanft nach oben gekrümmten Boden des Ganges zum Hangar standen Dutzende von Containern. Aus einem ertönte ein leises Gluckern.

„Hallo“, sagte ich, „was heckt ihr denn gegen den Alten aus?“

„Du weißt doch, daß wir immer die Bravsten sind“, antwortete Nrada und sah mich herausfordernd an.

Neugier peinigte mich. Weshalb standen hier Container? Was bedeuteten die Geräusche? Aber ich wollte mich nicht aufspielen; es war schlimm genug, wenn sie mich den „Alten“ nannten.

„Na schön“, sagte ich gedehnt, „ich bin gewarnt, daß ihr wieder eine Teufelei ausbrütet. Ich seh mich schon, wie ich euch der Reihe nach übers Knie lege.“ Damit wollte ich gehen.

In diesem Moment wurde Gimth munter. Nrada, die ihm den Weg verstellte, schob er einfach beiseite, und als Atrith, der fast ebenso groß wie er war, sich einmischte, war es schon geschehen. Gimth hatte den Container, aus dem das verdächtige Glucksen ertönte, geöffnet. Der Behälter kippte, Aquarien, Plast- und Glasgefäße verschiedener Größe fielen heraus, manche zerbrachen dabei oder gingen auf. Wasser, versetzt mit grünen Schlingpflanzen, ergoß sich über den Boden. Zwischen meinen Füßen zuckten kleine silbrige, rotgepunktete Fische. Dasza kreischte laut, Gimth sprang zurück, stieß mich an, daß ich ausglitt und mitten zwischen schlierigem Tang und Wassergetier landete. Ich saß da, schaute mich entgeistert um. Dann fiel ich in das Lachen der anderen ein.