Die quecksilbrige kleine Brhiga fing mit bloßen Händen Fische, andere sammelten Muscheln und Wasserpflanzen in die geretteten halbleeren Gefäße.
Laath war an eine der Rufanlagen getreten und gab dem Schiffscomputer den überflüssigen Befehl, den Gang zu säubern.
„Hm“, sagte ich erleichtert, als das schlimmste Durcheinander vorüber war, „ich begreife nur nicht, was es da vor mir geheimzuhalten gibt. Neue Arten aufzuziehen und mit der Fähre nach Andymon zu bringen ist völlig normal. Und Ilona wird mit eurer Hilfe zufrieden sein. Für welchen See ist die Ladung eigentlich bestimmt?“
Sie schwiegen, blickten sich gegenseitig an. Pilasth, der jüngste der zehnten Gruppe, saugte an dem Finger, den er sich an einer Glasscheibe verletzt hatte.
„Ich sag’s ihm“, verkündete unvermittelt Laath.
„Wehe!“ drohte Nrada und boxte auf ihn ein. Er ließ sich nicht beirren.
„Das ist eine außerplanmäßige Ladung für die Lagunen im Delta des Nordwestflusses.“ Unter den Blicken seiner Geschwister stockte Laath.
Das ergab keinen Sinn. Welchen Zweck sollte es haben, sich jetzt um die vielen kleinen Seen zu kümmern? Im Gegensatz zum Ozean mit seinen über zwölf Prozent Salzgehalt boten sie mit zwei bis sechs Prozent die Voraussetzung für Leben. Aber bislang hatten wir diese Aufgabe aufgeschoben.
Laath faßte sich und fuhr fort: „Wir wollen uns dort am Meer eine eigene unabhängige Siedlung einrichten. Wir wollen nicht nach Oasis zurückkehren, wollen uns nicht in ein gemachtes Nest setzen und so leben müssen, wie die Siedler leben. Ihr äfft alle zu sehr die Erde nach. So.“
Meine Hoffnung, sie würden mich länger als das abgesprochene halbe Jahr beim Schiffbau unterstützen, zerplatzte. Bedächtig strich ich mir den Tang von der Hose. Sie sollten die Enttäuschung nicht merken.
„Wenn ihr jetzt hofft, daß ich es euch verbiete, damit ihr rebellieren könnt, dann irrt ihr euch gewaltig“, sagte ich. „Bis jetzt hat sich jede Gruppe ihren eigenen Weg gesucht. Ihr seid genau richtig für Andymon.“
Große Worte und viel zu allgemein. Man würde erst hinterher erkennen, welcher Weg wirklich originell war. Und was das Nachäffen der Erde betraf — kannten wir denn die Erde? Einen winzigen, längst vergangenen Abschnitt vielleicht aus den Totaloskopen.
„Ich hab’s euch ja gesagt“, schimpfte Nrada, „wenn er davon erfährt, macht es überhaupt keinen Spaß mehr.“
Von beiden Seiten rollten Serviceroboter heran. Mit Reinigungsschwämmen, so breit wie der Gang, schoben sie das Wasser zusammen. Die grünliche Brühe stand uns bis zu den Knöcheln, und die Saugrohre der Automaten gaben bedrohliche Geräusche von sich. Wie auf Kommando bückten wir uns und retteten die letzten Tiere und Pflanzen. Es erstaunte mich, wie behende Gimth dabei vorging. In Sekunden war alles vorbei. Nur die Saugrohre rülpsten noch eine Weile wie durstige Elefantenrüssel um unsere Füße.
Wir begutachteten unsere nasse Kleidung. Pilasth wurde von Bhriga verbunden.
„Wie wollt ihr denn anders leben?“ fragte ich unvermittelt.
„Für uns wird kein Projekt so wichtig sein, daß wir unsere Geschwister vernachlässigen“, sagte Laath mit unvermutetem Ernst. „Wir werden eng Zusammenleben, nicht isoliert wie ihr in Einzelhäusern. Wir werden alles miteinander teilen.“
„Jedenfalls wird bei uns so ein Streit wie zwischen dir und Resth nicht Vorkommen“, unterbrach ihn Nrada, „außerdem machen wir, was wir wollen!“
Ich nickte und beteuerte nochmals, daß ich nicht die geringsten Einwände gegen ihr Vorhaben hätte. Ich nicht — aber die Geschwister auf Andymon? Was würden sie zu einer neuerlichen Zersplitterung unserer Kräfte sagen? Vielleicht hätten wir doch von Anfang an bei unseren ursprünglichen Plänen bleiben, uns auf eine Siedlung konzentrieren, alle individuellen Wünsche, alle kleinen Utopien aufgeben sollen.
„Ich habe nichts, absolut nichts dagegen, Nrada, aber es wird schwer werden, die Ressourcen für eure Pläne aufzutreiben.“
Nrada stand schweigend da, sie wollte etwas erwidern, wußte nicht, was. Dann blickte sie meinen Schützling an. „Wenn Gimth nicht so ein Tolpatsch gewesen wäre…“
Gimth sah unschlüssig auf den inzwischen wieder geschlossenen Container. Ohne den Kopf zu heben, fragte er: „Kann ich mit euch kommen?“
Zu meinem großen Erstaunen antwortete Nrada schlicht und einfach: „Natürlich.“
Sowenig ich seine plötzliche Entscheidung verstand, so sehr freute ich mich, daß er neuen Anschluß gefunden hatte. Die ersten Tage, die ich wieder allein mit Gamma war, kamen mir himmlisch vor. Außerdem konnte ich nun all meine Arbeitskraft dem neuen Schiff zuwenden.
Auf Andymon entstand ein zusätzliches Wohngebiet. Die Pläne, die wir vor Jahren für die Besiedlung entworfen hatten, großartige globale Entwürfe und Computerszenarien, konzentrisches Wachstum des menschlichen Einflusses, hatten sich samt und sonders und nach jeder Korrektur erneut als zu starr erwiesen. Ich selbst, ein eifriger Verfechter dieser Pläne, mußte nun einsehen, daß Ideen und Zielvorstellungen sich nicht im einzelnen vorausplanen ließen. Alles blieb in Fluß. Aber jeder von uns konnte sagen: Hier habe ich mitgewirkt. Diese Idee stammt von mir. Ohne mich sähe es hier anders aus - ärmer.
Bestandsaufnahme
Hätte ich nur zwei Leben! Ich könnte eines Andymon widmen und das andere dem Schiffbau. So aber pendelte ich hin und her, ständig mit den Gedanken, seltener mit dem Lander. Im Schiff blickte ich hinab auf den Planeten, sah mir jeden Abend die AN-ALLE-Berichte an und nahm Gammas in das Gewand einer Frage gekleideten Vorschlag gern an: „Müssen wir nicht wieder mal unten nach dem Rechten schauen?“ Auf Andymon jedoch suchten meine Augen den Himmel ab: Dort, das Schiff, wie weit ist der Bau gediehen? Kommen die Geschwister zurecht? Noch heute hat sich daran nichts geändert. So konnte ich damals die Gruppen, die mich im Orbit unterstützten, gut verstehen, wenn sie zugleich die Montage leiteten und Pläne für ihr Leben auf Andymon entwarfen.
Wir flogen nach Gedon, um zu sondieren, was aus der Hinterlassenschaft des Wesens verwertet werden konnte. Wir: Daleta, die behauptete, nunmehr die Furcht vor der Rückkehr verloren zu haben, Alefth aus ihrer Gruppe, auf dessen Beisein sie bestanden hatte, Bhriga, die sich im Rahmen ihrer Ausbildung für die Computersysteme von Gedon interessierte, und ich.
Es war das drittemal, daß ich auf diesem Mond landete, jedesmal mit anderen Gefühlen, jedesmal überrascht von den Veränderungen. Diesmal sah ich keine neuen Bauwerke zwischen den Felsen. Gedon war tot. Kein Licht drang aus den Stationsgebäuden, schemengleich starr standen vereinzelte Montageautomaten im unwirklich fahlen Schein Andymons, Überreste unterbrochener Bauvorhaben. Stahlstreben und Container lagen sauber gestapelt.
Skaphanderbekleidet führte uns Daleta. Damals hatte die vierte Gruppe ihren Anteil an den Schätzen des Schiffs gefordert. Wie viele Maschinen aus den großen Lagern, wieviel von den Materialien aus den Behältern, wieviel von den Automaten mochten sie abgezweigt haben? Ich würde jeden Logikchip, jede Schraube, jeden Tropfen gebrauchen können. Im Schiff gähnten die einst übervollen Speicher und Hallen leer, die Zeit des eilfertigen Installierens war vorbei.
Wir betraten eine weite Röhre, die direkt in den Fels zu führen schien. In der Schleuse glomm grünlich die Notbeleuchtung. Daleta tastete Befehle in eine kleine Konsole an der Wand. Helles Licht überflutete uns, aus einer Öffnung sprühten weißliche Schwaden: Luft. Als ich den Helm abnahm, schlug mir schneidende Kälte entgegen.