Der Staub schwebte wie ein Pastellhauch in der Luft, von der untergehenden Sonne rötlich gefärbt. Die Wangen des Schalmeienspielers glichen zwei Kugeln, und er blies so angestrengt in sein Instrument, daß ihm die Augen förmlich aus dem Kopf traten.
Man legte eine Pause ein, um sich an den mit Kannen reich bestellten Tischen zu erfrischen.
»Woran denkt Ihr, Vater?« fragte Angélique, während sie sich neben den Baron setzte, dessen Stirnfalten sich noch nicht geglättet hatten.
Sie war gerötet und atemlos. Fast nahm er es ihr übel, daß sie unbekümmert und glücklich war, während er sich so sehr quälte, daß er nicht einmal mehr wie ehedem ein Dorffest genießen konnte.
»An die Steuern«, erwiderte er, indem er einen finsteren Blick auf sein Gegenüber warf, das kein anderer war als der Steuereintreiber Corne, den man so oft vor das Schloßportal gesetzt hatte. Sie widersprach lebhaft.
»Es ist nicht recht, daran zu denken, während alle Welt sich vergnügt. Tun das vielleicht all unsere Bauern hier? Dabei drücken sie die Abgaben noch viel mehr. Nicht wahr, Monsieur Corne«, rief sie fröhlich über den Tisch hinweg, »nicht wahr, an einem solchen Tag darf niemand mehr an die Steuern denken, nicht einmal Ihr .?«
Ihre Worte lösten schallendes Gelächter aus. Man begann zu singen, und Vater Saulier gab das Lied vom »Steuereintreiber als Holzdieb« zum besten, das Monsieur Corne mit biederem Lächeln anzuhören geruhte. Aber da es vermutlich das Signal für weitere, weniger harmlose Reime war und Armand de Sancé angesichts des Benehmens seiner Tochter, die einen Becher nach dem andern leerte, immer unruhiger wurde, entschloß er sich zum Aufbruch. Raymond und die kleineren Kinder waren schon lange mit der Amme heimgekehrt. Nur der älteste Sohn Josselin verweilte sich noch, den Arm um die Hüfte eines der artigsten Mädchen des Dorfes geschlungen. Der Baron hütete sich, ihn zurechtzuweisen. Er war froh, daß der schmale und blasse Kollegschüler in den Armen von Mutter Natur gesündere Farben und Gedanken bekam. In seinem Alter hatte er selbst schon lange mit einer drallen Schäferin aus dem Nachbarort tüchtig im Heu scharmuziert. Wer weiß, vielleicht würde ihn das in der Heimat festhalten?
Überzeugt, daß Angélique ihm folgte, begann er sich von der Tischrunde zu verabschieden.
Doch seine Tochter hatte andere Pläne. Seit ein paar Stunden suchte sie nach einem Mittel, um bei Tagesanbruch der Zeremonie der »Brautsuppe« beiwohnen zu können. So tauchte sie im Gedränge unter und machte sich davon. Sie nahm ihre Holzschuhe in die Hand und rannte zum Ende des Dorfs, dessen Häuser jetzt sogar von den Großmüttern verlassen waren. An einer Scheune lehnte eine Leiter, sie kletterte hurtig hinauf und fand oben weiches, duftendes Heu vor.
Der Wein und die Müdigkeit vom Tanzen ließen sie gähnen.
»Ich werde schlafen«, dachte sie. »Wenn ich aufwache, wird es soweit sein, und ich werde zur Brautsuppe gehen.«
Ihre Lider schlossen sich, und sie fiel in tiefen Schlaf.
Sie erwachte in einem wohligen, frohen Gefühl. Das Dunkel der Scheune war noch dicht und warm. In der Ferne war das Lärmen der feiernden Bauern zu hören.
Angélique begriff nicht recht, was mit ihr vorging. Süße Mattigkeit hatte ihren Körper überwältigt, und sie empfand das Bedürfnis, sich zu strecken und zu seufzen. Plötzlich spürte sie, wie eine Hand leise über ihre Brust strich und sich dann bis hinunter zu ihren Beinen bewegte. Ein kurzer, heißer Atem brannte auf ihrer Wange. Ihre vorgestreckten Finger begegneten einem steifen Stoff.
»Bist du’s, Valentin?« flüsterte sie. Er antwortete nicht, rückte aber noch näher.
Der Weindunst und das Flimmern der Finsternis vernebelten Angéliques Denken. Sie hatte keine Angst. Sie erkannte ihn, Valentin, an seinem schweren Atem, an seinem Geruch, sogar an seinen so oft von Dornen und Gräsern des Moors aufgerissenen Händen, deren Rauheit ihre Haut erschauern ließ.
»Fürchtest du nicht, deinen schönen Anzug zu verderben?« murmelte sie mit einer Naivität, die nicht frei von unbewußtem Spott war.
Er brummte und preßte seine Stirn an den schlanken Hals des Mädchens.
»Du riechst gut«, seufzte er. »Wie die Angelikablüte.«
Er versuchte sie zu küssen, aber sie mochte seinen feuchten Mund nicht und stieß ihn zurück. Er packte sie heftiger, drückte sie nieder. Diese plötzliche Brutalität machte Angélique vollends wach und gab ihr das Bewußtsein zurück. Sie wehrte sich und versuchte, sich aufzurichten. Aber der Bursche hielt sie heftig umklammert. Da schlug sie ihm wütend mit ihren Fäusten ins Gesicht und schrie.
»Laß mich los, du Bauernlümmel, laß mich los!«
Er gab sie endlich frei, und sie ließ sich vom Heu hinabgleiten und kletterte die Scheunenleiter hinunter. Sie war zornig und bekümmert, ohne zu wissen, weshalb ... Draußen war die Nacht von Lärm und sich nähernden Lichtern erfüllt.
Die Farandole!
Sich gegenseitig an den Händen haltend, zogen die Mädchen und Burschen an ihr vorbei, und sie wurde vom Strom mitgerissen. Im Dämmerlicht des frühen Morgens nahm die Farandole ihren Weg durch die Gassen, sprang über die Gatter, brach in die Felder ein. Alle waren trunken vom Wein und vom Most und taumelten johlend und lachend dahin. Man kehrte zum Platz zurück; Tische und Bänke waren umgeworfen - die Farandole stieg über sie hinweg. Die Fackeln erloschen.
»Die Brautsuppe! Die Brautsuppe!« forderten jetzt die Stimmen. Man klopfte an die Tür des Dorfschulzen, der sich schlafen gelegt hatte.
»Wach auf, Spießbürger! Wir wollen die Neuvermählten stärken!«
Angélique, der es mit zerschundenen Armen geglückt war, sich aus der Kette zu lösen, sah nun einen seltsamen Aufzug daherkommen. An der Spitze marschierten zwei spaßige Gesellen, nach Art der einstigen Hofnarren des Königs mit Flitterwerk und Schellen behängt. Es folgten zwei junge Burschen mit einer Stange auf den Schultern, über die die Henkel eines riesigen Kochkessels geschoben waren. Zu beiden Seiten gingen andere, die Weinhumpen und Becher trugen. Alle Leute aus dem Dorf, die sich noch auf den Beinen zu halten vermochten, folgten hinterdrein, und es war bereits eine stattliche Truppe.
Ohne Scheu trat man in die Hütte des jungen Paars ein.
Angélique fand sie nett, wie sie da so Seite an Seite in ihrem großen Bett lagen. Die junge Frau war puterrot. Gleichwohl tranken sie, ohne zu murren, den gewürzten heißen Wein, den man ihnen reichte. Doch einer der Zuschauer, der noch betrunkener als die andern war, wollte die Decke wegziehen, die sie sittsam bedeckte. Der Ehemann versetzte ihm einen Fausthieb, worüber sich eine Prügelei entspann, in deren Tumult man die Schreie der jungen Frau vernahm, die sich an ihre Laken klammerte. Von den schwitzenden Körpern hin und her gestoßen, halb erstickt von dem bäuerlichen Geruch nach Wein und ungewaschener Haut, wäre Angélique beinahe zu Boden gerissen und getreten worden. Nicolas war es, der sie befreite und hinausführte.
»Uff!« stöhnte sie, als sie endlich an der frischen Luft war. »Diese Geschichte mit der Brautsuppe ist nicht grade ein ausgesprochenes Vergnügen. Sag, Nicolas, weshalb bringt man eigentlich den Brautleuten heißen Wein zu trinken?«
»Nun ja, sie müssen eben eine Stärkung kriegen nach ihrer Hochzeitsnacht.«
»Ist das so anstrengend?«
»Man sagt so .«
Er brach unvermittelt in Lachen aus. Seine Augen glänzten von Tränen, die Locken seiner dunklen Haare fielen über seine braune Stirn. Sie sah, daß er genauso betrunken war wie die andern. Plötzlich streckte er die Arme nach ihr aus und näherte sich ihr schwankend.
»Angélique, du bist süß, wenn du so redest ... Du bist süß, Angélique.« Er legte seinen Arm um ihre Schultern. Wortlos machte sie sich frei und ging. Über dem verwüsteten Dorfplatz stieg die Sonne auf. Das Fest war zu Ende. Angélique folgte zögernden Schrittes dem Weg zum Schloß und stellte bittere Betrachtungen an.