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Indessen ließ sich der Marquis nieder, und während er mit seinem von einer seidenen Schleife gezierten Ebenholzstock spielte, berichtete er, er käme direkt von Saint-Germain, die Straßen seien Kloaken, und bat abermals um Vergebung wegen seiner bescheidenen Aufmachung.

»Wie sähen sie erst aus, wenn sie prächtig gekleidet wären?« dachte Angélique.

Der Großvater, den das wiederholte Gerede über Kleidung reizte, berührte mit dem Ende seines Stocks die Stiefelstulpen seines Besuchers.

»Nach den Spitzen Eures Schuhwerks und Eures Kragens zu schließen, ist das Edikt in Vergessenheit geraten, mit dem der Herr Kardinal im Jahre 1633 allen Flitterkram verboten hat.«

»Pah!« seufzte der Marquis. »Was glaubt Ihr! Die Regentin ist arm und streng. So mancher von uns ruiniert sich, damit dieser frömmlerische Hof ein wenig Originalität bewahrt. Monsieur de Mazarin hat Sinn für Prunk, aber er trägt das Priesterkleid. Seine Finger sind mit Diamanten überladen, aber wegen ein paar Bändern, die sich die Adligen ans Wams stecken, wettert er wie sein Vorgänger Monsieur de Richelieu. Die Stulpen ... ja.«

Er kreuzte die Beine und beaugenscheinigte sie mit ebensoviel Aufmerksamkeit, wie Baron Armand es bei seinen Maultieren tat.

»Weshalb sind Eure Stiefel unten so lang und am Ende viereckig?« fragte Madelon.

»Weshalb? Das weiß kein Mensch, kleine Nichte, aber es ist der letzte Schrei und eine nützliche Mode. Während kürzlich Monsieur de Condé jemandem mit Feuereifer etwas auseinandersetzte, schlug ihm Monsieur de Rochefort durch das Ende seiner beiden Schuhe einen Nagel. Als der Fürst sich entfernen wollte, fand er sich am Boden festgenagelt. Man stelle sich vor - wären seine Schuhe weniger lang gewesen, so wären seine Füße durchbohrt worden.«

»Das Schuhzeug ist nicht für Leute geschaffen worden, die Nägel durch die Füße anderer schlagen«, brummte der Großvater. »Das ist ja geradezu lächerlich.«

»Wißt Ihr, daß der König in Saint-Germain ist?« fragte ungerührt der Marquis.

»Nein«, sagte Armand de Sancé. »Inwiefern ist diese Nachricht von Bedeutung?«

»Aber mein Lieber, wegen der Fronde.«

Dieser Ausspruch amüsierte die Damen und die Kinder, doch die beiden Edelmänner fragten sich, ob sich ihr geschwätziger Verwandter nicht wie üblich über sie lustig mache.

»Die Fronde? Aber das ist doch ein Spiel für Kinder!«

»Ein Spiel für Kinder! Wo denkt Ihr hin, Vetter! Ich meine nicht die Schleudern. Was wir Fronde bei Hofe nennen, ist ganz einfach die Revolte des Pariser Parlaments gegen den König. Habt Ihr je dergleichen gehört? Schon seit mehreren Monaten zanken sich diese Herren mit den viereckigen Mützen mit der Regentin und ihrem italienischen Kardinal herum ... Steuerfragen, die ihre Privilegien nicht einmal berühren. Aber sie schwingen sich zu Beschützern des Volkes auf, das Barrikaden in den Straßen errichtet hat.«

»Und die Königin und der kleine König?« fragte die gefühlvolle Pulchérie besorgt.

»Was soll ich Euch sagen? Sie empfing die Herren vom Parlament hoheitsvoll, dann gab sie nach. Seitdem hat man sich wiederholt gestritten und von neuem versöhnt. Die Herren fürchteten immer, die Königin würde den kleinen König aus der Stadt bringen, und kamen dreimal des Abends in hellen Haufen und baten, den schönen Knaben schlafen sehen zu dürfen, in Wirklichkeit aber, um sich zu vergewissern, ob er noch da sei. Doch Mazarin ist sehr schlau. Am Dreikönigstag nämlich tranken und schmausten wir bei Hofe und verspeisten ohne Hintergedanken den traditionellen Fladen. Gegen Mitternacht, als ich mich eben mit einigen Freunden in die Schenken zu verfügen gedachte, gab man mir den Befehl, meine Leute, meine Equipagen zu versammeln und mich an eins der Tore von Paris zu begeben. Von dort nach Saint-Germain. Hier fand ich bereits die Königin und ihre beiden Söhne, ihre Hofdamen und Pagen vor, die ganze Gesellschaft im zugigen alten Schloß auf Stroh gebettet. Auch Monsieur de Mazarin erschien bald darauf. Inzwischen wird Paris vom Fürsten Condé belagert, der sich an die Spitze der Armee des Königs gestellt hat. Das Parlament in der Hauptstadt schwingt weiterhin die Fahne der Empörung, aber es ist ihm nicht mehr sehr wohl dabei. Der Koadjutor von Paris, Fürst Gondy, Kardinal de Retz, der Mazarins Stelle einnehmen möchte, steht auch auf Seiten der Rebellen. Ebenso Elbeuf, Beaufort und viele andere. Ich selbst bin Monsieur de Condé gefolgt.«

»Das freut mich zu hören«, seufzte der alte Baron.

»Seit den Zeiten Heinrichs IV hat man kein solches Durcheinander erlebt. Parlamentarier, Fürsten im Aufruhr gegen den König von Frankreich! Da erkennt man wieder einmal den Einfluß der umstürzlerischen Ideen von jenseits des Kanals. Heißt es nicht, daß auch das englische Parlament das Banner der Revolte gegen seinen König schwingt, ja daß es wagt, ihn einzusperren?«

»Sie haben sogar sein Haupt auf den Block gelegt. Seine Majestät Karl I. ist im vergangenen Monat in London hingerichtet worden.«

»Wie entsetzlich!« riefen alle Anwesenden erschüttert aus.

»Wie sich vermuten läßt, hat die Nachricht am französischen Hof, wo sich übrigens die unglückliche Witwe des englischen Königs mit ihren beiden Kindern aufhält, nicht eben zur Beruhigung beigetragen. Folglich hat man beschlossen, hart und unnachgiebig gegen Paris zu sein. Jetzt eben bin ich als Bevollmächtigter Monsieur de Saint-Maurs ins Poitou gesandt worden, um Truppen auszuheben und sie Monsieur de Turenne zuzuführen, der gewiß der tüchtigste Armeeführer im Dienste des Königs ist. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht in meinem Bereich und im Eurigen, mein lieber Vetter, mindestens ein Regiment für meinen Sohn auf die Beine stellen könnte. Schickt also Eure Faulpelze und Taugenichtse zu meinem Sergeanten, Baron, und man wird Dragoner aus ihnen machen.«

»Muß denn wieder von Krieg die Rede sein?« sag-te der Baron zögernd. »Es sah so aus, als würden die Dinge in die Reihe kommen. Hat man nicht erst im Herbst in Westfalen einen Vertrag unterzeichnet, der die Niederlage Österreichs und Deutschlands bestätigt? Wir glaubten, ein wenig aufatmen zu können. Und doch finde ich, daß wir uns in unserer Gegend nicht einmal beklagen dürfen, wenn ich an die Picardie und an Flandern denke, wo noch die Spanier sind, und das seit dreißig Jahren .«

»Jene Leute sind daran gewöhnt«, sagte der Marquis obenhin. »Mein Lieber, der Krieg ist ein notwendiges Übel, und es ist geradezu ketzerisch, einen Frieden zu fordern, den Gott den sündigen Menschen nicht bestimmt hat. Man muß nur sehen, daß man bei denen ist, die den Krieg machen, und nicht bei denen, die ihn erdulden.«

Er hielt heftig hustend inne, denn der zum Kammerdiener aufgerückte Stallknecht hatte, um das Feuer zu beleben, ein riesiges Bündel feuchten Strohs in den Kamin geworfen.

»Sapperment, Herr Vetter«, rief der Marquis aus, nachdem er wieder zu Atem gekommen war, »ich verstehe Euer Bedürfnis, ein wenig aufzuatmen. Euer Holzkopf da verdiente eine tüchtige Tracht Prügel.«

Er nahm die Sache mit Humor, und Angélique fand ihn trotz seiner herablassenden Art sympathisch. Sein Geplauder hatte sie gefesselt. Es war, als sei das alte, erstarrte Schloß aufgewacht und habe seine schweren Portale nach einer andern, lebenerfüllten Welt geöffnet.

Philippe aber runzelte immer mehr die Stirn. Steif auf seinem Stuhl sitzend, die blonden Locken wohlgeordnet über den breiten Spitzenkragen fallen lassend, warf er von Ekel erfüllte Blicke auf Josselin und Gontran, die angesichts der Wirkung, die ihr Treiben hervorrief, ihr ungehöriges Benehmen noch betonten und mit dem Finger in der Nase zu bohren und sich den Kopf zu kratzen begannen. Ihr Gehabe brachte Angélique außer Fassung und verursachte ihr fast so etwas wie Übelkeit. Übrigens fühlte sie sich schon seit einiger Zeit nicht recht wohl; sie litt an Leibschmerzen, und Pulchérie hatte ihr verboten, rohe Möhren zu essen, was sie so gerne tat. Heute abend jedoch, nach all dem Umtrieb, den der ungewöhnliche Besuch mit sich brachte, hatte sie das Gefühl, richtig krank zu werden. Aber sie äußerte nichts und blieb ganz still auf ihrem Stuhl sitzen. Jedesmal, wenn sie ihren Vetter Philippe du Plessis anschaute, schnürte ihr etwas die Kehle zusammen, und sie wußte nicht, war es Abscheu oder Bewunderung. Nie hatte sie einen so schönen Jüngling gesehen.