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»Es ist unerhört, daß niemand von euch daran gedacht hat, sich beim letzten Halt mit Kerzen zu versehen. Ihr hättet euch denken können, daß in diesen gottverlassenen Gegenden die sogenannten Edelleute nicht mehr taugen als ihre Bauernlümmel. Hat man wenigstens heißes Wasser für mein Bad bereitet?«

Der Mann antwortete etwas, das Angélique nicht verstand. Philippe sprach in resigniertem Ton weiter: »In Gottes Namen. Ich werde mich in einem Kübel waschen. Zum Glück hat mir mein Vater gesagt, daß es in Schloß Plessis zwei florentinische Badestuben gibt. Ich sehne mich danach. Ich habe das Gefühl, daß der Geruch dieser Sancé-Leute mir nie mehr aus der Nase gehen wird.«

»Diesmal soll er mir’s bezahlen«, dachte Angélique.

Sie sah ihn im Schein der auf der Konsole des Vorraums stehenden Laterne wieder herunterkommen. Als er ganz nahe war, trat sie aus dem Dunkel der Nische hervor.

»Wie könnt Ihr es wagen, zu den Lakaien so unverschämt über uns zu reden?« fragte sie mit klarer Stimme, die in den Gewölben widerhallte. »Habt Ihr denn gar kein Gefühl für Adelswürde? Das kommt natürlich daher, daß Ihr von einem Bastard des Königs abstammt. Wohingegen unser Blut rein ist.«

»Genauso rein wie Eure Haut schmutzig«, gab der junge Mann eisigen Tons zurück.

Mit einem unerwarteten Satz sprang Angélique ihm mit gezückten Krallen ins Gesicht. Doch der Bursche hatte eine bereits männliche Kraft, packte sie an den Handgelenken und stieß sie heftig gegen die Mauer. Dann ging er gelassen seines Weges.

Angélique war wie betäubt und fühlte ihr Herz wild schlagen. Sie verabscheute ihn mehr, als sie ertragen konnte, und ein ungekanntes, aus Scham und Verzweiflung gemischtes Gefühl preßte ihr die Kehle zusammen.

»Ich hasse ihn«, dachte sie. »Eines Tages werde ich mich rächen. Er wird sich beugen, mich um Vergebung bitten müssen.«

Doch im Augenblick war sie nichts als ein unglückliches kleines Mädchen im Dämmerlicht der Flure eines feuchten, alten Schlosses.

Eine Tür knarrte, und Angélique erkannte die massive Silhouette des alten Wilhelm, der mit zwei Eimern dampfenden Wassers für das Bad des jungen Herrn auf die Treppe zusteuerte. Als er sie bemerkte, blieb er stehen.

»Wer ist das?«

»Ich bin’s«, antwortete Angélique auf deutsch.

Wenn sie mit dem alten Soldaten allein war, redete sie immer in dieser Sprache, die er ihr beigebracht hatte.

»Was treibt Ihr da?« fragte Wilhelm ebenfalls auf deutsch. »Es ist kalt. Geht doch in den Saal und hört Euch die Geschichten Eures Onkels, des Marquis, an. Da habt Ihr Euern Spaß fürs ganze Jahr.«

»Ich verabscheue sie«, sagte Angélique düster. »Sie sind unverschämt und so anders als wir. Sie zerstören alles, was sie anrühren, und lassen uns dann allein und mit leeren Händen zurück, während sie wieder auf ihre schönen Schlösser voller herrlicher Dinge gehen.«

»Was ist denn, mein Kind?« fragte ruhig der alte Lützen. »Könnt Ihr Euch nicht über ein paar Spötteleien hinwegsetzen?«

Angéliques Mißbehagen verschärfte sich. Kalter Schweiß trat auf ihre Schläfen.

»Wilhelm, du, der du nie an einem Fürstenhof gewesen bist, sag mir: Was soll man tun, wenn man zu gleicher Zeit einem bösen und einem erbärmlichen Menschen begegnet?«

»Komische Frage für ein Kind! Da Ihr sie mir stellt, so will ich Euch sagen, daß man den bösen töten und den erbärmlichen laufenlassen soll.«

Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu, indem er seine Eimer wieder aufnahm:

»Aber Euer Vetter Philippe ist weder böse noch erbärmlich. Ein bißchen jung, das ist alles ... und zu verwöhnt.«

»Du verteidigst ihn also auch!« rief Angélique mit schriller Stimme aus. »Du auch? Weil er schön ist ... weil er reich ist .«

Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Munde aus. Sie taumelte und glitt ohnmächtig zu Boden.

Angéliques Krankheit beruhte auf ganz natürlichen Vorgängen. Über deren Erscheinungen, die das zum jungen Mädchen gewordene Kind ein wenig ängstigten, hatte Madame de Sancé sie mit dem Hinweis beruhigt, das würde künftighin bis zu einem vorgerückten Alter jeden Monat so sein.

»Werde ich auch jeden Monat ohnmächtig werden?« erkundigte sich Angélique, verwundert, daß sie nicht häufiger die sozusagen zwangsläufigen Ohnmächten der Frauen ihrer Umgebung bemerkt hatte.

»Nein, das ist nur ein Zufall. Du wirst dich erholen und dich an deinen neuen Zustand vollkommen gewöhnen.«

»Immerhin, bis zum vorgerückten Alter ist es noch lang«, seufzte das Mädchen. »Und wenn ich alt bin, kann ich nicht wieder anfangen, auf die Bäume zu klettern.«

»Du kannst sehr wohl weiterhin auf die Bäume klettern«, sagte Madame de Sancé, die in der Erziehung sehr viel Feingefühl bewies und Angéliques Kummer zu verstehen schien, »aber wie du selbst erkennst, wäre dies tatsächlich der Augenblick, Manieren abzulegen, die deinem Alter und deinem Adelstitel nicht entsprechen.«

Sie fügte einen kleinen Vortrag hinzu, in dem von der Freude die Rede war, Kinder zur Welt zu bringen, und von der Erbsünde, die durch die Schuld unserer Urmutter Eva auf den Frauen laste.

»Fügen wir das zum Elend und zum Krieg hinzu«, dachte Angélique.

Während sie so unter ihren Decken ausgestreckt dalag und dem Rieseln des Regens lauschte, empfand sie ein gewisses Wohlbehagen. Sie hatte den Eindruck, an Bord eines Schiffes zu liegen, das sich von bekannten Gestaden entfernte, um einer anderen Bestimmung entgegenzufahren. Von Zeit zu Zeit dachte sie an Philippe und knirschte mit den Zähnen.

Man erzählte ihr, der Marquis und sein Sohn hätten sich in Monteloup nicht lange aufgehalten. Philippe habe sich über die Wanzen beklagt, die ihm beim Schlafen hinderlich gewesen seien.

»Und meine Bittschrift an den König?« hatte der Baron de Sancé in dem Augenblick, da sein illustrer Verwandter den Wagen bestieg, gefragt. »Konntet Ihr sie ihm überreichen?«

»Mein armer Freund, ich habe sie überreicht, doch ich glaube nicht, daß Ihr Anlaß habt, viel zu erwarten. Der kleine König ist gegenwärtig ärmer als Ihr und hat sozusagen kein Dach über dem Kopf.«

Geringschätzig fügte er hinzu:

»Man hat mir erzählt, daß Ihr Euch damit verlu-stiert, schöne Maultiere zu züchten. Verkauft doch einige.«

»Ich werde mir Euren Vorschlag überlegen«, sagte Armand de Sancé mit spürbarer Ironie. »In dieser Zeit ist es für einen Edelmann bestimmt vorteilhafter, arbeitsam zu sein, als auf die Großmut seiner Standesgenossen zu rechnen.«

»Arbeitsam! Pfui! Welch garstiges Wort!« versetzte der Marquis mit einer koketten Handbewegung. »Adieu also, Herr Vetter. Schickt Eure Söhne zur Armee und Eure kräftigsten Bauernlümmel in das Regiment des meinigen. Adieu. Ich küsse Euch tausendmal.«

Die Karosse hatte sich ratternd entfernt, während eine zierliche Hand durch das Türfenster winkte.

Ländliche Stille senkte sich wieder über das alte Schloß. Angélique schaute durch das Fenster in jene Richtung des Wegs, aus der die Reisenden und das Echo der fernen Welt zu erwarten waren: Winterhausierer mit ihren Pelzmützen und ihren mageren Hunden, reiche Händler, die ihre Tiere brachten: Esel oder Pferde.

Der Besuch der Herren von Schloß Plessis wiederholte sich nicht. Es hieß, sie gäben ein paar Feste, dann, sie kehrten mit ihrem nagelneuen Regiment in die Ile-de-France zurück. Rekrutenwerber waren in Monteloup vorbeigekommen.

Im Schloß erlagen Jean-der-Küraß und ein Bauernknecht der Versuchung der den Dragonern des Königs verheißenen glorreichen Zukunft. Die Amme Fantine weinte sehr beim Aufbruch ihres Sohnes.

»Er war nicht schlecht, und nun wird er ein Reitersmann von Eurer Art«, sagte sie zu Wilhelm Lützen.

»Das ist Vererbung, meine Gute. Hatte er nicht einen Haudegen zum mutmaßlichen Vater?«

Um einen Zeitraum zu bezeichnen, gewöhnte man sich daran, »es war vorher« oder »nach dem Besuch des Marquis du Plessis« zu sagen.