»Meine kleine Angélique, du siehst aus wie eine junge Dame! Vielleicht sollten wir dein Haar hochnehmen?«
Doch Angélique weigerte sich. Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr, daß sie die Wirkung ihres einzigen Schmucks nicht mindern durfte.
Sie bestieg ein hübsches, braunrotes Maultier, das man eigens für sie hatte satteln lassen, und schlug in Begleitung ihres Vaters den Weg nach Schloß Plessis ein.
Das Schloß war aus seinem Zauberschlaf erwacht. Nachdem der Baron und seine Tochter ihre Tiere beim Verwalter Molines eingestellt hatten, schritten sie die Hauptallee entlang. Musikklänge wehten ihnen entgegen. Rassige Windhunde und reizende Affenpinscher tollten auf den Rasenflächen umher. Herren mit gelockten Perücken und Damen in schillernden Kleidern ergingen sich in den Alleen. Manche starrten verwundert den Landjunker im dunklen wollenen Anzug und das junge Mädchen in der Pensionstracht an, die ihnen da begegneten.
»Komisch, aber hübsch«, sagte eine der Damen, während sie mit ihrem Fächer spielte.
Angélique fragte sich, ob sie es sei, um die es sich handelte. Weshalb nannte man sie komisch? Sie musterte die prächtigen Toiletten mit ihren lebhaften Farben und dem Spitzenbesatz genauer und begann ihr graues Kleid unpassend zu finden.
Der Baron teilte die Verlegenheit seiner Tochter nicht. Er dachte nur an die Unterredung, um die er den Marquis du Plessis bitten wollte.
Auf einer kleinen Estrade saßen Musikanten und entlockten ihren Instrumenten - Viellen, Lauten, Hoboen und Flöten - zarte und bezaubernde Töne. In einem großen, mit Spiegeln geschmückten Saal sah Angélique junge Leute beim Tanz. Sie fragte sich, ob wohl ihr Vetter Philippe unter ihnen sei.
Nachdem Baron de Sancé ins Innere der Salons gelangt war, nahm er seinen alten, mit einer dürftigen Feder besetzten Hut ab und verbeugte sich. Angélique begann zu leiden. Bei ihrer Armut schien ihr einzig Arroganz am Platze. Statt den Knicks zu vollführen, den Pulchérie sie dreimal hatte wiederholen lassen, blieb sie daher steif wie eine Drahtpuppe stehen und starrte vor sich hin. Die Gesichter rund um sie her ver-schwammen ein wenig, aber sie wußte, daß alle Welt bei ihrem Anblick gar zu gern gelacht hätte. Eine jähe, von unterdrücktem Kichern unterbrochene Stille war eingetreten, als der Diener verkündet hatte:
»Baron de Ridouët de Sancé de Monteloup.«
Auch das Gesicht der Marquise du Plessis lief hinter ihrem Fächer rosig an, und ihre Augen glänzten vor unterdrückter Erheiterung.
Schließlich kam der Marquis du Plessis allen zu Hilfe, indem er liebenswürdig vortrat.
»Mein lieber Herr Vetter«, rief er aus. »Ihr macht mich überglücklich, indem Ihr so rasch herbeieilt und eure reizende Tochter mitbringt. Angélique, Ihr seid noch hübscher als bei meinem letzten Besuch. Nicht wahr? Sieht sie nicht aus wie ein Engel?« fragte er, indem er sich an seine Frau wandte.
»Vollkommen«, stimmte diese zu, die sich wieder gefaßt hatte. »Mit einem andern Kleid wird sie himmlisch sein. Setzt Euch auf diesen Schemel, mein Kind, damit wir Euch richtig betrachten können.«
»Herr Vetter«, sagte Armand de Sancé, dessen rauhe Stimme in diesem kostbaren Salon bizarr klang, »ich würde gerne unverzüglich wichtige Angelegenheiten mit Euch besprechen.«
Der Marquis hob verwundert die Brauen.
»Wirklich? So redet.«
»Ich bedaure, aber diese Dinge lassen sich nur unter vier Augen behandeln.«
Monsieur du Plessis warf einen resignierten und zugleich verschmitzten Blick auf seine Umgebung.
»Gut! Gut, lieber Vetter Baron. Wir werden uns in mein Privatboudoir begeben. Meine Damen, entschuldigt uns. Bis gleich ...«
Angélique auf ihrem Schemel war jetzt der Mittelpunkt eines neugierigen Kreises. Die furchtbare Beklemmung, die sie erfaßt hatte, löste sich ein wenig. Nun konnte sie alle diese Gesichter unterscheiden, die sie umgaben. Die meisten waren ihr fremd. Doch neben der Marquise stand eine sehr schöne Frau, die sie wiedererkannte. »Madame de Richeville«, dachte sie. Sie hatte von ihr sagen hören, daß sie zarte Beziehungen zu dem Abbé von Nieul unterhalte.
Das goldbestickte Kleid der Gräfin und ihr diamantengeschmückter Brusteinsatz ließen sie nur zu deutlich empfinden, wie unansehnlich ihr eigenes graues Kleid war. All diese Damen funkelten von Kopf bis Fuß. Sie trugen seltsame Spielereien am Gürteclass="underline" kleine Spiegel, Schildpattkämme, Konfektdöschen und Uhren. Nie würde Angélique sich so kleiden können. Nie würde sie fähig sein, so hochmütig auf andere hinabzublicken, nie würde sie es fertigbringen, sich in so überheblichem Ton zu unterhalten.
»Meine Liebe«, sagte die eine, »sie hat bezauberndes Haar, wenn es auch nie irgendwelche Pflege erfahren hat.«
»Für fünfzehn Jahre ist ihre Brust zu dürftig.«
»Aber meine Teuerste, sie ist knapp dreizehn.«
»Wollt Ihr meine Ansicht wissen, Henriette? Es ist zu spät, um das Mädchen abzuschleifen.«
»Bin ich ein Maultier, das man kauft?« fragte sich Angélique, zu verblüfft, um ernstlich verletzt zu sein.
»Was wollt Ihr«, rief Madame de Richeville aus, »sie hat grüne Augen, und grüne Augen bringen Unglück wie der Smaragd.«
»Es ist eine seltene Farbe«, protestierte eine.
»Aber ohne Reiz. Seht Euch doch den harten Ausdruck an, den dieses Mädchen hat. Nein, wirklich, ich mag grüne Augen nicht.«
»Will man mir mein einziges Gut nehmen, meine Augen und mein Haar?« dachte Angélique entrüstet.
»Gewiß, Madame«, sagte sie unvermittelt mit lauter Stimme, »ich bezweifle nicht, daß die blauen Augen des Abbés von Nieul sanfter sind . und daß sie Euch Glück bringen«, fügte sie leiser hinzu.
Es trat eine tödliche Stille ein. Ein paar unterdrückte Lacher wurden vernehmbar, erstarben aber alsbald. Einige Damen schauten im Kreise umher, als könnten sie nicht fassen, daß solche Worte aus dem Munde dieses bescheidenen Mädchens gekommen waren.
Das Gesicht der Gräfin de Richeville war purpurrot geworden. Die Marquise du Plessis, die eine sehr böse Zunge hatte, erstickte schier vor Lachen hinter ihrem Fächer, und um die peinliche Situation zu überbrücken, rief sie mit lauter Stimme:
»Philippe! Philippe! Wo ist mein Sohn? Monsieur de Barre, wollt Ihr die Güte haben, den Oberst zu suchen?«
Und als der junge Mann zur Stelle war: »Philippe, hier ist deine Base de Sancé. Nimm sie mit zum Tanzen. In der Gesellschaft der jungen Leute wird sie sich besser unterhalten als in der unsrigen.«
Angélique war sofort aufgestanden. Sie ärgerte sich, daß ihr Herz so stark klopfte. Der junge Edelmann schaute seine Mutter mit unverhohlener Entrüstung an. »Wie könnt Ihr es wagen«, schien er sagen zu wollen, »mir ein so unmöglich ausstaffiertes Mädchen in die Arme zu werfen?«
Aber er las wohl von den Mienen der Umstehenden ab, daß etwas Ungewöhnliches vorging, und murmelte, während er Angélique die Hand reichte:
»So kommt denn, Base.«
Schweigend geleitete er sie bis zur Schwelle der Galerie, in der die Pagen und die jungen Leute seines Alters sich nach Herzenslust tummeln durften.
»Platz! Platz!« rief er plötzlich. »Meine Freunde, ich stelle euch meine Base, die Baronesse Trauerkleid vor!«
Es gab ein schallendes Gelächter, und alle seine Kameraden kamen angestürzt. Die Pagen trugen kleine, komisch aufgebauschte Hosen, die am Schenkelansatz aufhörten, und mit ihren langen, mageren Jünglingsbeinen, denen hohe Absätze untergeschoben waren, sahen sie aus wie Stelzenvögel. »Schließlich sehe ich in meinem düsteren Kleid auch nicht lächerlicher aus als sie mit diesen Kürbissen um die Hüfte«, dachte Angélique.
Sie hätte gern einiges von ihrer Selbstachtung geopfert, um noch bei Philippe bleiben zu können. Aber einer der Jungen fragte: »Könnt Ihr tanzen, Demoiselle?«