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»Ich kann dieses Dasein nicht mehr ertragen«, sagte sie sich. Sie zündete ihre Kerze an, denn es tagte noch nicht. In dem Spiegel über ihrem Frisiertisch betrachtete sie ihr bleiches, abgespanntes Gesicht. »Grüne Augen: eine Farbe, die Unglück bringt. Es ist also wahr, ich bringe allem, was ich liebe . und denen, die mich lieben, Unglück.«

Claude der Poet? Gehenkt. Nicolas? Vermutlich ebenfalls gehenkt. Joffrey? Bei lebendigem Leibe verbrannt. - Mit beiden Händen strich sie sich über die Schläfen. Sie zitterte innerlich so sehr, daß es ihr den Atem benahm. Und gleichwohl waren ihre Hände ruhig und eiskalt.

»Warum kämpfe ich eigentlich? Es kommt mir nicht zu. Der Platz einer Frau ist an ihrem Herd, neben ihrem Gatten, den sie liebt, in der Wärme des Feuers, in der Stille des Hauses und des Kindes, das in seiner hölzernen Wiege schläft. Erinnerst du dich, Joffrey, an das kleine Schloß, in dem Florimond zur Welt kam ...? Der Sturm peitschte die Fensterscheiben, und ich, ich setzte mich auf deine Knie, ich lehnte meine Wange an deine Wange. Und ich betrachtete ein wenig ängstlich und mit köstlichem Vertrauen dein wunderliches Gesicht, über das die Reflexe des Kaminfeuers spielten . Wie du lachen konntest! Und zeigtest dabei deine weißen Zähne. Oder ich streckte mich auf unserm breiten Bett aus, und du sangst für mich, mit einer vollen, sammetweichen Stimme, die wie ein Echo aus den Bergen zu kommen schien. Dann schlief ich ein, und du legtest dich neben mich zwischen das kühle, bestickte, nach Iris duftende Linnen. Ich habe dir viel gegeben, das wußte ich. Und du, du hast mir alles gegeben ... Und ich glaubte, wir würden ewig glücklich sein .«

Sie wankte durch den Raum, sank neben dem Bett in die Knie und barg ihr Gesicht in den zerwühlten Laken.

»Joffrey, mein Geliebter .!«

Der Schrei, den sie allzu lange zurückgehalten hatte, brach aus ihr hervor.

»Joffrey, Liebster, komm zurück, laß mich nicht allein ... Komm zurück!«

Aber er würde nie mehr zurückkommen, sie wußte es. Er war in allzu weite Ferne gegangen. Wo würde sie sich künftig mit ihm vereinen können? Sie hatte ja nicht einmal ein Grab, an dem sie beten konnte ... Seine Asche hatte der Seinewind verstreut.

Angélique erhob sich, ihr Gesicht war tränenlos.

Sie setzte sich an den Tisch, nahm ein weißes Blatt und spitzte ihre Feder.

»Wenn Ihr diesen Brief lest, Messieurs, bin ich nicht mehr am Leben. Ich weiß, daß es eine große Sünde ist, selbst Hand an sich zu legen, aber Gott, der die tiefsten Gründe der Seele kennt, wird mir diese Sünde vergeben. Ich überlasse mich seiner Barmherzigkeit.

Ich vertraue das Schicksal meiner beiden Söhne der Gerechtigkeit und Güte des Königs an.

Als Gegendienst für ein Schweigen, von dem die Ehre der königlichen Familie abhing und das ich gewahrt habe, bitte ich Seine Majestät, sich gleich einem Vater über diese beiden Wesen zu neigen, deren erste Lebensjahre unter dem Zeichen des Unheils gestanden haben, und ihnen den Namen und das Erbe ihres Vaters, des Grafen Peyrac, zurückzugeben. Zum mindesten möge Seine Majestät sie während ihrer Kindheit ernähren und ihnen späterhin die für ihr Fortkommen erforderliche Ausbildung angedeihen lassen .«

Sie schrieb weiter und fügte einige auf das Leben ihrer Kinder bezügliche Einzelheiten hinzu, bat außerdem um Protektion für den jungen, verwaisten Chaillou.

Dann faßte sie einen Brief für Barbe ab, in dem sie diese beschwor, Florimond und Cantor nie zu verlassen. Sie vermachte ihr die wenigen Dinge, die sie besaß, Kleider und Schmuck.

Sie schob den zweiten Brief in den Umschlag und versiegelte ihn.

Danach fühlte sie sich wohler. Sie wusch sich und kleidete sich an, dann verbrachte sie den Vormittag im Zimmer ihrer Kinder. Sie war wie erstarrt. Der Anblick der Kleinen tat ihr wohl, aber der Gedanke, daß sie im Begriff war, sie für immer zu verlassen, beunruhigte sie nicht. Sie brauchten sie nicht mehr. Sie hatten Barbe, die sie kannten, Barbe, die sie nach Monteloup bringen würde. Sie würden in Sonne und frischer Landluft aufwachsen, fern dem schmutzigen, übelriechenden Paris.

Nach dem Mittagessen nutzte sie den Schlaf der Kinder, um ihren Mantel umzulegen und das Haus zu verlassen. Den versiegelten Brief steckte sie ein. Sie wollte Desgray bitten, ihn zu der bewußten heimlichen Zusammenkunft mitzunehmen. Dann würde sie ihn verlassen und am Ufer entlanggehen. Sie würde mehrere Stunden vor sich haben. Sie hatte die Absicht, lange zu wandern. Sie wollte das freie Land erreichen, als letzte Vision das Bild der herbstlich vergilbten Wiesen, der vergoldeten Bäume mitnehmen, ein letztes Mal den Moosgeruch einatmen, der sie an Monteloup und ihre Kindheit erinnern würde.

Angélique wartete auf Desgray in dessen Haus auf dem Pont Notre-Dame. Der Polizist wohnte mit Vorliebe auf den Brücken, während diejenigen, denen er nachstellte, unter den Brücken hausten.

Aber das Dekor hatte sich seit jenem ersten Besuch verändert, den Angélique ihm einige Jahre zuvor in einem der baufälligen Gebäude des Petit-Pont abgestattet hatte. Er besaß jetzt ein eigenes, offenbar erst vor kurzem in bürgerlich-protzigem Stil erbautes Haus, dessen Fassade mit Frucht- und Blumenkörbe tragenden Karyatiden und Königsmedaillons geschmückt war - alles »nach der Natur« in grellen Farben bemalt.

Das Zimmer, in das Angélique vom Pförtner geführt worden war, wies den gleichen bürgerlichen Komfort auf, aber die junge Frau warf weder einen Blick auf das breite Bett, dessen Baldachin gewundene Säulen stützten, noch auf den mit Gegenständen aus vergoldeter Bronze gezierten Arbeitstisch.

Sie machte sich keine Gedanken über die Umstände, die dem ehemaligen Advokaten zu solchem Wohlstand verhelfen haben mochten. Desgray war zugleich eine Gegenwart und eine Erinnerung. Sie hatte das beruhigende Gefühl, daß er alles über sie wußte. Er war schroff und kühl, aber unbedingt zuverlässig. Sie konnte, wenn sie Desgray ihre letzten Verfügungen übergeben hatte, ruhigen Herzens von hinnen gehen: ihre Kinder würden nicht gänzlich verlassen sein.

Das offenstehende Fenster ging nach der Seine. Von fern waren die Rudergeräusche einer Galeere zu hören. Die Herbstsonne ließ die sorgfältig mit Öl eingeriebenen schwarzweißen Fliesen aufleuchten.

Endlich hörte Angélique Desgrays festen, sporenklirrenden Schritt. Er trat ein und zeigte sich nicht überrascht, sie vorzufinden.

»Madame, ich begrüße Euch. Sorbonne, mein Freund, bleib mit deinen schmutzigen Pfoten draußen.«

Aber diesmal war er, wenn nicht ausgesucht, so doch jedenfalls gepflegt gekleidet. Schwarzer Samtbesatz verzierte den Kragen seines weiten Mantels, den er auf einen Stuhl warf. Aber sie erkannte den Desgray von einst an der lässigen Art wieder, in der er sich des Huts und der Perücke entledigte. Dann schnallte er seinen Degen ab. Er schien sehr aufgeräumt.

»Ich komme von Monsieur d’Aubrays. Es steht alles zum Besten. Meine Liebe, Ihr werdet den bedeutendsten Persönlichkeiten des Handels und der Finanzen begegnen. Es ist sogar die Rede davon, daß Monsieur Colbert persönlich der Besprechung beiwohnt.«

Angélique zwang sich ein höfliches Lächeln ab. Seine Worte erschienen ihr unnütz; es gelang ihnen nicht, ihre innere Erstarrung zu lösen. Sie würde nicht die Ehre haben, Monsieur Colbert kennenzulernen. Zu der Stunde, da diese hochmögenden Herren sich in irgendeinem entlegenen Stadtteil versammelten, würde der Leichnam Angéliques de Sancé, Gräfin Peyrac, Marquise der Engel, von den Fluten der Seine davongetragen werden. Dann würde sie frei sein; niemand würde ihr mehr etwas zufügen können. Und vielleicht würde sich Joffrey wieder mit ihr vereinen .

Sie schrak zusammen, weil Desgray gesprochen und sie nichts gehört hatte.

»Was sagt Ihr?«

»Ich sage, daß Ihr verfrüht zu dieser Verabredung gekommen seid.«

»Ich bin ja auch nicht deswegen hier. Ich komme nur auf einen Sprung zu Euch, denn es erwartet mich ein charmanter Kavalier, der mich zur Galerie des Palais fahren will, um mich die letzten Neuheiten bewundern zu lassen. Vielleicht geleitet er mich danach in die Tuileriengärten. Jedenfalls werden mir diese Ablenkungen die Zeit bis zu jener gewichtigen Besprechung verkürzen helfen. Aber ich habe da einen Umschlag, den ich nicht dorthin mitnehmen möchte und der mich behindert. Kann ich ihn hierlassen? Ich hole ihn dann im Vorbeigehen ab.«