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»Komm, rede! Was war bei Glazer?«

Angélique war in Schweiß gebadet. Ein unerträglicher, stechender Schmerz folterte ihren Nacken, die Schulterblätter und strahlte bis in die Lenden aus.

»Es ist doch nicht so schlimm, was ich da von dir verlange. Eine harmlose kleine Auskunft in einer Angelegenheit, die dich nicht einmal betrifft, weder dich noch deine Gaunergenossen ... Rede, mein Kind, ich höre dir zu. Du willst immer noch nicht?«

Er machte eine unmerkliche Bewegung, und die zarten Finger seines Opfers knackten. Sie schrie auf. Ungerührt fuhr er fort:

»Nun, Freund Prudent sprach im Châtelet von einem Mehl, einem weißen Pulver . Hast du das auch gesehen?«

»Ja.«

»Was war es?«

»Gift ... Arsenik.«

»Ach, du wußtest sogar, daß es Arsenik war?« sagte er lachend.

Und er gab sie frei. Er war nachdenklich geworden und schien in Gedanken mit etwas anderem beschäftigt. Allmählich kam Angélique wieder zu Atem. Dann schob Desgray einen Schemel heran und setzte sich vor sie.

»So, da du vernünftig geworden bist, wird man dir kein Wehwehchen mehr tun.«

Ganz dicht saß er vor ihr und preßte ihre zitternden Knie zwischen den seinen. Sie betrachtete ihre Handflächen, die blutleer und wie abgestorben waren.

»Nun erzähl mir deine kleine Geschichte.«

Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah sie nicht mehr an. Er wurde wieder zum unerbittlichen Beichtvater unheilvoller Geheimnisse. Sie begann mit eintöniger Stimme zu sprechen.

»Bei Glazer gab es ein Zimmer mit Retorten . ein Laboratorium.«

»Natürlich . Jedermann weiß, daß er Apotheker ist.«

»Jenes weiße Pulver war auf einem Gestell in einer Bronzeschüssel. Ich erkannte es an seinem Knoblauchgeruch. Prudent wollte es kosten. Ich hinderte ihn daran, indem ich sagte, es sei Gift.«

»Was hast du noch bemerkt?«

»Neben der Arsenikschüssel lag ein in grobes Papier gewickeltes Päckchen, das mit roten Siegeln versehen war.«

»Stand etwas drauf?«

»Ja: >Für Monsieur de Sainte-Croix<.«

»Gut. Und weiter?«

»Prudent warf eine Retorte um, die zerbrach. Von dem Geräusch muß der Besitzer des Hauses aufgewacht sein. Wir liefen davon, aber als wir in den Hausflur kamen, hörten wir ihn die Treppe herabsteigen. Er rief: >Nanette - oder einen ähnlichen Vornamen -, Ihr habt vergessen, die Katzen einzuschließen, und dann hat er gesagt: >Seid Ihr es, Sainte-Croix? Wollt Ihr die Arznei abholen?<«

»Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!«

»Danach .«

»Das danach interessiert mich nicht. Ich habe, was ich brauche .«

Sie sah die dunkle Straße vor sich, in der die Silhouette des Hundes Sorbonne aufgetaucht war. Sie überblickte ihren tragischen Lebensweg. Die Vergangenheit wollte nicht sterben. Sie erstand aufs neue, düster und schmutzig, und löschte mit einem Schlage diese vier Jahre geduldigen und ehrlichen Mühens aus. Angéliques Kehle war wie zugeschnürt. Schließlich brachte sie mühsam hervor:

»Desgray ... seit wann wißt Ihr .?«

Er warf ihr einen spöttischen Blick zu.

»Daß du die Marquise der Engel bist? Nun, seit jener Nacht. Glaubst du, es ist meine Art, ein Mädchen laufenzulassen, das ich geschnappt habe, und ihr noch dazu ihr Messer zurückzugeben?«

Er hatte sie also erkannt! Er wußte über alle Etappen ihres Abstiegs Bescheid. Sie verging vor Schamgefühl. Überstürzt sagte sie: »Ich muß Euch das erklären. Calembredaine war ein Bauernsohn aus meiner Heimat ... ein Kindheitsgefährte. Wir haben denselben Dialekt gesprochen.«

»Ich verlange nicht, daß du mir deinen Lebenslauf erzählst«, knurrte er streng.

Aber sie klammerte sich an ihn und fuhr fast schreien fort: »Doch ... ich muß Euch das sagen ... Ihr müßt verstehen. Er war mein Kindheitsgefährte. Er war Knecht im Schloß. Dann ist er verschwunden. Er stöberte mich auf, als ich nach Paris kam . Er wollte mich von jeher haben, versteht Ihr . Und alle hatten mich im Stich gelassen ... Auch Ihr hattet mich im Stich gelassen ... damals im Schnee. Da nahm er mich zu sich, unterwarf mich seinem Willen . Es stimmt, daß ich mit ihm gegangen bin, aber ich habe die Verbrechen, die Ihr mir zur Last legt, nicht verübt. Desgray, ich war es nicht, der den Büttel Martin getötet hat, ich schwöre es Euch ... Ich habe nur ein einziges Mal getötet. Ja, es ist wahr, ich habe den Großen Coesre getötet. Aber nur, um mein Leben zu retten, um mein Kind vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren .«

Desgray sah sie amüsiert und verwundert an. »Du hast den Großen Coesre umgebracht? Rolin-le Trapu, vor dem jedermann sich fürchtete?«

»Ja.«

Er lachte vor sich hin. »O lala! Eine tolle Nummer, diese Marquise der Engel! Du ganz allein mit deinem großen Messer?«

Sie wurde bleich. Das Ungeheuer war da, zwei Schritte von ihr entfernt, zusammengesunken, aus seiner durchschnittenen Kehle sprudelte Blut. Es wurde ihr übel. Desgray tätschelte lachend ihre Wange.

»Na, nun mach kein solches Gesicht! Du siehst ja wie erstarrt aus. Komm, laß dich ein bißchen aufwärmen.«

Er zog sie auf seine Knie, drückte sie fest an sich und biß ihr heftig in die Lippen. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus und riß sich los. Plötzlich hatte sie ihre Kaltblütigkeit wiedergewonnen.

»Monsieur Desgray«, sagte sie, während sie einen letzten Rest von Würde aufbot, »ich wäre Euch zu Dank verpflichtet, wenn Ihr eine Entscheidung über meine Person treffen würdet. Verhaftet Ihr mich, oder laßt Ihr mich gehen?«

»Im Augenblick weder das eine noch das andere«, sagte er lässig. »Nach einer anregenden kleinen Unterhaltung wie der unsrigen kann man nicht einfach so auseinandergehen. Du würdest mich ja für einen Unmenschen halten. Obwohl ich zuzeiten doch recht sanft sein kann!«

Er erhob sich lächelnd, doch in seinen Augen funkelte wieder jener rötliche Glanz. Ohne daß ihr eine abwehrende Geste gelang, nahm er sie in seine Arme, neigte sich über sie und flüsterte:

»Komm, mein hübsches, kleines Tier.«

»Ich dulde nicht, daß Ihr auf solche Weise zu mir sprecht«, rief sie und schluchzte auf.

Ganz plötzlich war es über sie gekommen: eine Sintflut von Tränen, die ihr das Herz aus dem Leibe rissen, die sie fast zum Ersticken brachten.

Desgray trug sie zum Bett, wo er sie niedersetzte und lange Zeit aufmerksam betrachtete. Als ihre Verzweiflung sich schließlich ein wenig legte, begann er, sie zu entkleiden. Sie spürte auf ihrem Nacken seine Finger, die die Haken ihres Mieders mit der Geschicklichkeit von Zofenhänden lösten. Tränenüberströmt, hatte sie keinen Funken Kraft mehr, um Widerstand zu leisten.

»Desgray, Ihr seid schlecht!« stammelte sie.

»Nicht doch, mein Herzchen, ich bin nicht schlecht.«

»Ich glaubte, Ihr wäret mein Freund ... Ich glaubte ... ach, mein Gott, wie unglücklich ich bin.«

»Na, na, was sind das für dumme Ideen!« sagte er in nachsichtig-brummendem Ton.

Mit geschickter Hand streifte er ihre weiten Röcke ab, löste die Strumpfbänder und zog ihr die Schuhe aus. Als sie nur noch ihr Hemd anhatte, wandte er sich ab und entkleidete sich seinerseits. Dann schwang er sich zu ihr aufs Bett und zog die Vorhänge zu.

»So, nun hör endlich mit dem Geflenne auf, jetzt wird’s lustig! Komm ein bißchen zu mir.«

Er riß ihr das Hemd herunter und versetzte ihr im gleichen Augenblick einen schallenden Klaps, daß sie ob dieser Demütigung zornig auffuhr und ihre spitzen kleinen Zähne in seine Schulter bohrte.

»Warte, mein Hündchen, das sollst du büßen!«

Aber sie wehrte sich. Sie kämpften miteinander. Sie bedachte ihn mit den übelsten Schimpfworten. Das ganze Vokabular der Polackin rollte ab, und Desgray bog sich vor Lachen. Das Blitzen dieser weißen Zähne, der scharfe Tabaksgeruch, der sich mit dem Schweißgeruch dieses Mannes vermischte, verwirrten Angélique zutiefst. Sie war überzeugt, daß sie Desgray haßte, daß sie seinen Tod wünschte. Sie drohte ihm, ihn mit ihrem Messer umzubringen. Er lachte schallend. Endlich gelang es ihm, sie zu überwältigen, und er suchte ihre Lippen.