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Dann schloß sie zu Chrysantemes großer Verwunderung die Augen und sank in den Fond des Wagens zurück, als habe sie all ihre Kraft verloren. Als sie indessen vor den Tuilerien anlangte, wurde sie plötzlich wieder munter. Mit glänzenden Augen griff sie nach dem kleinen Zierspiegel, der an ihrem Gürtel hing, und betrachtete sich prüfend. Schwarze Wimpern, rote Lippen: Das war die einzige Nachhilfe, die sie sich zugestand. Ihre sorgfältig mit Ginsterblütenpulver eingeriebenen und mit Branntwein gespülten Zähne hatten einen feuchten Glanz.

Sie lächelte sich zu, nahm Chrysanteme unter den Arm und betrat die Tuilerien. Während eines kurzen Augenblicks sagte sie sich, daß sie den Kampf aufgeben würde, falls Philippe nicht dasein sollte. Aber er war da. Sie entdeckte ihn vor dem großen Springbrunnen in Gesellschaft des Fürsten Condé, der mit Vorliebe an diesen Ort kam, um sich den Müßiggängern zu zeigen.

Angélique näherte sich beherzt der Gruppe. Nun wußte sie, daß sich erfüllen würde, was sie beschlossen hatte, denn das Schicksal hatte Philippe in die Tuilerien geführt.

Der späte Nachmittag war mild und frisch. Ein leichter Regenschauer hatte den Sand dunkel gefärbt und den ersten Blättern an den Bäumen Glanz verliehen.

Angélique grüßte lächelnd. Mißmutig stellte sie fest, daß ihr Kleid auf krasse Weise von dem Gewand abstach, das Philippe trug. Er, der stets blasse Farben bevorzugte, präsentierte sich an diesem Abend in einem ungewöhnlichen pfauenblauen Kostüm mit reichem Goldbesatz. Stets der Mode voraus, hatte er seinem Anzug bereits die neue Form eines weiten Rocks gegeben, der hinten vom Degen hochgehoben wurde.

Seine Handkrausen waren schön, aber er trug keine Stulpen, und die Hosen lagen an den Knien eng an. Unter dem Arm hielt Philippe einen feinen, kleinen Kastorhut, daß man hätte meinen können, er bestünde aus altem, poliertem Silber. Der Federnkranz war himmelblau, und da der junge Mann eben erst angekommen war, hatte der Frühlingsregen diesem Meisterwerk keinen Schaden zugefügt.

Mit der über die Schultern fallenden seidig-blonden Perücke wirkte Philippe du Plessis-Bellière wie ein stolzierender, schillernder Vogel.

Angélique hielt nach der kleinen Lamoignon Umschau, aber ihre armselige Rivalin war nicht anwesend. Mit einem Seufzer der Erleichterung trat sie rasch auf den Fürsten Condé zu, der jedesmal, wenn er ihr begegnete, den enttäuschten und resignierten Liebhaber spielte.

»Nun, meine Hübsche«, seufzte er und rieb seine lange Nase an Angéliques Stirn, »werdet Ihr uns die Ehre erweisen, mit uns in unserer Kutsche über den Korso zu fahren?«

Angélique gab ein bedauerndes »Oh!« von sich, dann glitt ihr Blick in geheuchelter Verlegenheit zu Philippe, und sie murmelte:

»Eure Hoheit mögen verzeihen, aber Monsieur du Plessis hat mich bereits zur Promenade aufgefordert.«

»Hol der Teufel diese jungen gefiederten Hähne!« grollte der Fürst. »Heda, Marquis, habt Ihr die Absicht, für lange Zeit eine der schönsten Damen der Hauptstadt mit Beschlag zu belegen?«

»Gott soll mich bewahren, Monseigneur«, erwiderte der junge Mann, der offensichtlich die Unterhaltung nicht mitangehört hatte und nicht wußte, um welche Dame es sich handelte.

»Na schön! Ihr könnt sie entführen. Ich gönne sie Euch. Aber vielleicht geruht Ihr in Zukunft rechtzeitig aus den Wolken herabzusteigen, um Euch darüber klarzuwerden, daß Ihr nicht allein auf der Welt seid und daß auch andere ein Anrecht auf das strahlendste Lächeln von Paris haben.«

»Ich will es mir merken, Monseigneur«, versicherte der Höfling, während er mit seinen blauen Federn den Sand fegte.

Schon hatte Angélique - nach einer tiefen Verneigung vor der Gesellschaft - Philippes Hand ergriffen und zog ihn mit sich. Armer Philippe! Warum fürchtete man ihn eigentlich? Er war doch so hilflos in seiner hochmütigen Zerstreutheit, die sich so leicht ausnützen ließ.

Als das Paar an einer Bank vorbeikam, auf der die Herren La Fontaine, Racine und Boileau saßen, wisperte der erstere vernehmlich: »Der Goldfasan und seine Henne!«

Angélique begriff, daß die Bemerkung eine Anspielung auf den Kontrast ihrer Kleidung sein sollte: sie braun und diskret bei aller Pracht, er in grellen Farben schillernd. Hinter ihrem Fächer schnitt sie dem Dichter eine kleine Grimasse, die dieser mit einem schelmischen Augenzwinkern beantwortete. Und sie dachte: »Der Goldfasan und seine Henne .? Gott geb’s!«

Sie senkte die Augen und beobachtete klopfenden Herzens Philippes sicheren und edlen Schritt. Kein Edelmann verstand wie er den Fuß zu setzen, keiner hatte so schöngeformte, volle Beine. Selbst der König nicht, was man auch sagen mochte. Übrigens würde sie, um das beurteilen zu können, den König wieder einmal aus nächster Nähe betrachten und zu diesem Zweck nach Versailles gehen müssen. Sie würde nach Versailles gehen! Genauso, Arm in Arm mit Philippe, würde sie die königliche Galerie durchschreiten. Ein paar Schritte vor dem König würde sie stehenbleiben ... »Madame la Marquise du Plessis-Bellière« ...

Ihre Finger verkrampften sich ein wenig. Philippes Stimme sagte in mürrischer Verwunderung:

»Ich habe noch immer nicht begriffen, weshalb der Fürst mir Eure Gesellschaft aufgezwungen hat?«

»Weil er Euch ein Vergnügen bereiten wollte. Ihr wißt, daß er Euch noch mehr liebt als der Herzog. Ihr seid der Sohn seines kriegerischen Geistes.«

Während sie ihm einen schmeichlerischen Blick zuwarf, fuhr sie fort: »Langweilt Euch meine Gesellschaft denn so sehr? Wart Ihr mit jemand anderem verabredet?«

»Nein! Aber ich hatte heute abend nicht die Absicht, am Korso teilzunehmen.«

Sie hatte nicht den Mut, zu fragen, weshalb. Der Korso war noch kaum belebt. Ein Geruch nach frischem Holz und Pilzen würzte die Luft unter dem schattigen Gewölbe der großen Bäume.

Als Angélique Philippes Kutsche bestiegen hatte, war ihr die mit silbernen Borten eingefaßte Decke des Kutscherbocks aufgefallen, deren Fransen bis zur Erde herabhingen. Woher waren ihm die Mittel für diese neuerliche Eleganz zugeflossen? Jetzt, nach der Karnevalszeit, steckte er doch sicher tief in Schulden. War das etwa schon eine Auswirkung der Großzügigkeit des Präsidenten de Lamoignon seinem zukünftigen Schwiegersohn gegenüber?

Noch nie hatte Angélique Philippes Schweigsamkeit so schwer ertragen. In ihrer Ungeduld tat sie, als interessiere sie sich für Chrysantemes Possen oder für die Kutschen, denen sie begegneten. Zu wiederholten Malen setzte sie zu einer Äußerung an, aber das unbewegliche Profil des jungen Mannes nahm ihr den Mut.

Jetzt war es dunkler, denn die Bäume wurden dich-ter. Der Kutscher ließ durch einen Lakaien fragen, ob man wenden oder durch den Bois de Boulogne weiterfahren solle.

»Weiterfahren«, befahl Angélique, ohne Philippes Zustimmung abzuwarten. Und da das Schweigen endlich gebrochen war, fügte sie rasch hinzu:

»Wißt Ihr, was für eine Albernheit man sich erzählt, Philippe? Ihr wollt angeblich die Tochter Lamoignon heiraten.«

Er wandte seinen schönen, blonden Kopf zu ihr.

»Diese Albernheit trifft zu, meine Liebe.«

»Aber ...«

Angélique holte tief Atem und wagte sich vor: »Aber das ist doch nicht möglich. Ihr, der Arbiter ele-gantiarum, werdet mir doch nicht erzählen wollen, daß Ihr dieser armseligen Heuschrecke Reize abgewinnt?«

»Ich habe keine Meinung über ihre Reize.«

»Ja, was fesselt Euch dann an ihr?«

»Ihre Mitgift.«

Mademoiselle de Parajonc hatte also die Wahrheit gesagt. Angélique unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung. Wenn es eine Geldfrage war, konnte noch alles in die Reihe kommen. Aber sie bemühte sich, ihrem Gesicht einen bekümmerten Ausdruck zu geben.

»O Philippe, ich habe Euch nicht für so materialistisch gehalten!«

»Materialistisch?« wiederholte er mit einer Miene, die deutlich verriet, daß das Wort ihm fremd war.