»Ich meine, daß Ihr so an den irdischen Dingen hängt.«
»An was sollte ich sonst hängen? Mein Vater hat mich nicht für die geistlichen Orden bestimmt.«
»Auch wenn man nicht der Kirche angehört, braucht man das Heiraten nicht unbedingt als eine Angelegenheit des Geldes anzusehen.«
»Als was denn?«
»Nun ja, schließlich ... auch als eine Angelegenheit der Liebe.«
»Oh, wenn es das ist, was Euch beunruhigt, meine Teuerste, so kann ich Euch versichern, daß ich durchaus die Absicht habe, dieser kleinen Heuschrecke einen ganzen Stall voller Kinder zu machen.«
»Nein!« schrie Angélique zornig.
»Sie soll etwas haben für ihr Geld.«
»Nein!« wiederholte Angélique und stampfte mit dem Fuß.
Philippe sah sie höchst verwundert an.
»Ihr wollt nicht, daß ich meiner Frau Kinder mache?«
»Darum geht es nicht, Philippe. Ich will nicht, daß sie Eure Frau wird, das ist es.«
»Und warum sollte sie es nicht werden?«
Angélique seufzte matt.
»O Philippe, Ihr seid doch ein häufiger Gast in Ninons Salon gewesen. Habt Ihr dort nicht gelernt, wie man eine Unterhaltung führt? Mit Eurem ewigen >warum< und Eurem Verwunderttun bringt Ihr Eure Gesprächspartner schließlich dahin, daß sie sich
lächerlich vorkommen.«
»Vielleicht sind sie’s«, sagte er mit einem kleinen Lächeln.
Dieses Lächeln löste in Angélique, die das Bedürfnis hatte, ihn zu ohrfeigen, eine wunderliche Rührung aus. Er lächelte . Warum lächelte er so selten? Sie hatte das Gefühl, daß es nur ihr allein gelingen würde, ihn zu verstehen und ihn so zum Lächeln zu bringen.
»Ein Dummkopf«, sagten die einen. »Ein Scheusal«, sagten die andern. Und Ninon de Lenclos: »Wenn man ihn gut kennt, merkt man, daß er viel weniger nett ist, als er aussieht. Aber wenn man ihn besser kennt, merkt man, daß er viel netter ist, als er aussieht ... Er ist ein Aristokrat ... Er gehört nur dem König und sich selbst .«
»Und mir gehört er auch«, dachte sie jäh.
Die Unterhaltung, die sie geführt hatten, ließ ihn völlig kühl. Sie wurde wütend. Brauchte er denn Pulvergeruch, um aus seiner Gleichgültigkeit herauszufinden? Schön, den Krieg konnte er haben, wenn er ihn unbedingt wollte. Sie knuffte nervös Chrysanteme, der an den Schließen ihres Mantels knabberte, dann mühte sie sich, ihren Ärger zu beherrschen, und sagte in munterem Ton:
»Wenn es sich nur darum handelt, Euer Wappen neu zu vergolden, Philippe, warum heiratet Ihr mich nicht? Ich habe viel Geld, das nicht der Gefahr ausgesetzt ist, infolge schlechter Ernten gepfändet zu werden. Es sind gesunde, solide Geschäfte, die etwas einbringen.«
»Euch heiraten?« wiederholte er.
Seine Verblüffung war ehrlich. Er brach in ein unangenehmes Gelächter aus.
»Ich? Eine Schokoladenverkäuferin heiraten!« sagte er mit tiefer Verachtung.
Angélique schoß heiß das Blut in die Wangen. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, daß sie sich nach allem Erlebtem die Fähigkeit bewahrt hatte, so zu erröten. Diesem Philippe würde es immer gelingen, sie vor Scham und Zorn außer Fassung zu bringen.
Mit funkelnden Augen sagte sie:
»Vergeßt nicht, daß ich Angélique de Ridouët de Sancé de Monteloup heiße. Mein Blut ist genauso rein wie das Eurige, Vetter, und noch älter, denn meine Familie geht auf die ersten Capetinger zurück, während Ihr Euch väterlicherseits nur eines gewissen Bastards Heinrichs II. rühmen könnt.«
Ohne eine Miene zu verziehen, betrachtete er sie eine ganze Weile, und in seinem blassen Blick schien leises Interesse zu erwachen.
»Ihr habt mir früher schon einmal dergleichen erzählt. Ich erinnere mich. Es war auf Monteloup, in Eurer baufälligen Festung. Ein kleines, ungekämmtes, zerlumptes Greuel erwartete mich am Fuß der Treppe, um mich darauf aufmerksam zu machen, daß sein Blut älter als das meine sei. Es war wirklich recht komisch und lächerlich.«
Angélique sah sich in den eisigen Flur von Monteloup zurückversetzt. Sie erinnerte sich, wie kalt ihre Hände gewesen waren, wie ihr Kopf gefiebert, ihr Leib geschmerzt hatte, während sie ihren Vetter die große Steintreppe hatte herabsteigen sehen. Ihr ganzer, vom Mysterium der Pubertät aufgewühlter junger Körper hatte vor der Erscheinung des schönen, blonden Jünglings gebebt. Sie war ohnmächtig geworden. Als sie in dem großen Bett ihres Zimmers wieder zu sich gekommen war, hatte ihre Mutter ihr erklärt, sie sei nun kein kleines Mädchen mehr. Ein Wunder habe sich in ihr vollzogen.
Daß Philippe so mit den ersten Kundgebungen ihres fraulichen Lebens verquickt war, beunruhigte sie nach all den Jahren noch immer. Ja, er hatte recht, es war albern, aber es lag auch etwas Köstliches darin.
Sie sah ihn ein wenig unsicher an und bemühte sich zu lächeln. Wie an jenem Abend fühlte sie sich bereit, vor ihm zu erbeben. Leise und beschwörend murmelte sie:
»Philippe, heiratet mich. Ihr sollt soviel Geld haben, wie Ihr wollt. Ich bin von adliger Herkunft, und daß ich eine Geschäftsfrau war, wird man rasch vergessen. Im übrigen befassen sich heutzutage viele Adlige mit Handelsgeschäften, ohne daß es ihrer Standesehre Abbruch tut. Monsieur Colbert .«
Sie hielt inne. Er hörte ihr nicht zu. Vielleicht dachte er an etwas anderes ... oder an gar nichts. Hätte er sie gefragt: »Warum wollt Ihr mich heiraten?«, dann hätte sie ihm ins Gesicht geschrien: »Weil ich Euch liebe!« Denn in diesem Augenblick entdeckte sie, daß sie ihn mit derselben schwärmerischen und naiven Liebe liebte, mit der sie ihre Kindheit ausgeschmückt hatte. Doch er stellte keine Frage, und sie fuhr ungeschickt und von Verzweiflung erfaßt fort:
»Versteht mich doch ... ich will in mein Milieu zurückkehren, einen Namen, einen großen Namen tragen ... Bei Hofe vorgestellt werden ... in Versailles.«
So hätte sie nicht reden dürfen. Sie bereute alsbald ihr Geständnis, hoffte, er habe nicht zugehört. Aber er murmelte mit dem blassen Anflug eines Lächelns: »Man könnte das Heiraten ja auch als etwas anderes ansehen als eine Geldangelegenheit!«
Dann fügte er in einem Ton hinzu, als lehne er eine dargereichte Konfektdose ab:
»Nein, meine Liebe, nein, wirklich .«
Sie begriff, daß es unwiderruflich war, und schwieg. Sie hatte verloren.
Gleich darauf machte Philippe sie darauf aufmerksam, daß sie den Gruß Madamoiselle de Montpensiers nicht erwidert habe. Die Kutsche war, wie Angélique bemerkte, in die jetzt sehr belebten Alleen des Cours-la-Reine zurückgekehrt, und sie begann, die ihr zugedachten Begrüßungen mechanisch zu erwidern. Es kam ihr vor, als sei die Sonne erloschen, als schmecke das Leben nach Asche. Daß Philippe neben ihr saß und sie so völlig entwaffnet war, bedrückte sie. War denn wirklich nichts mehr zu machen? Man konnte einen Mann nicht zur Heirat zwingen, wenn er einen weder liebte noch begehrte und wenn bei einer anderen Lösung genausoviel für ihn heraussprang. Einzig die Angst konnte ihn zwingen, aber welche Angst würde die Stirn des Gottes Mars zu beugen vermögen?
»Da ist Madame de Montespan«, sagte Philippe. »Gestern hat sie in Versailles getanzt. Der König hatte sie eingeladen.«
Angélique überwand sich zu der Frage, ob das bedeute, daß Mademoiselle de La Vallière nächstens den Abschied erhalten werde. Sie ertrug diesen Hofklatsch nur mit Widerwillen. Es war ihr vollkommen gleichgültig, daß Monsieur de Montespan Hahnrei wurde und ihre wagemutige Freundin Mätresse des Königs: Sorgen einer Welt, die ihr für immer verschlossen sein würde.
»Der Fürst Condé macht Euch ein Zeichen«, murmelte ihr Gefährte.
Mit ihrem Fächer winkte Angélique zurück.
»Ihr scheint die einzige Frau zu sein, der Seine Exzellenz noch einige Galanterie erweist«, stellte der Marquis mit einem Lächeln fest, von dem sich nicht sagen ließ, ob es spöttisch oder bewundernd gemeint war. »Nach dem Tode seiner zärtlichen Freundin, Mademoiselle Le Vigean, schwor er, von nun an von den Frauen nur noch rein physisches Vergnügen zu verlangen. Ich möchte wissen, was er früher anderes von ihnen verlangen konnte.«