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Und nachdem er ein Gähnen unterdrückt hatte:

»Seine Exzellenz hat nur noch einen Wunsch: wieder ein militärisches Kommando zu bekommen. Seitdem von einem neuen Feldzug die Rede ist, bleibt sein Platz am Spieltisch des Königs nie leer, und er begleicht seine Verluste mit Goldpistolen.«

»Welch ein Heroismus!« sagte Angélique brüsk und mit spöttischem Lachen. Allmählich geriet sie in Zorn über Philippes blasierten und preziösen Ton. »Was tut dieser vollendete Höfling nicht alles, um wieder in Gnaden aufgenommen zu werden? Wenn man bedenkt, daß es einmal eine Zeit gab, in der er versuchte, den König und seinen Bruder zu vergiften!«

»Was sagt Ihr da, Madame?« protestierte Philippe empört. »Daß Seine Exzellenz sich gegen Monsieur de Mazarin aufgelehnt hat, leugnet er nicht. Sein Abscheu hat ihn weiter getrieben, als ihm selbst lieb war. Aber dem König nach dem Leben zu trachten, das ist ihm nie im Traum eingefallen. Das übliche törichte Frauengeschwätz, weiter nichts.«

»Oh, spielt doch nicht den Ahnungslosen, Philippe! Ihr wißt so gut wie ich, daß es wahr ist, denn das Komplott wurde in Eurem eigenen Schloß geschmiedet.«

Er schwieg, und sie spürte, daß sie ihn zutiefst getroffen hatte.

»Ihr seid wahnsinnig!« flüsterte er erregt.

Angélique wandte sich ihm jäh zu. Hatte sie so rasch den Weg zu seiner Angst gefunden, seiner einzigen Angst .?

Sie sah, daß er bleich geworden war, sah in den Augen, die sie belauerten, endlich den Ausdruck gespannten Interesses. Wilde Freude keimte in ihr auf, und sie sagte mit leiser Stimme:

»Ich war dort. Ich habe sie belauscht. Ich habe sie gesehen. Ihn, den Mönch Exili, die Herzogin von Beaufort, Euren Vater und viele andere, die heute noch am Leben sind und die sich jetzt bei Hofe beliebt zu machen suchen. Ich habe gehört, wie sie sich Monsieur Fouquet verkauften.«

»Das ist nicht wahr!«

Mit halbgeschlossenen Augen zitierte sie:

»>Ich, Ludwig II., Herzog von Enghien, Fürst Condé, gebe Monseigneur Fouquet die Versicherung, daß ich nie zu jemand anderem als zu ihm halten, ausnahmslos nur ihm gehorchen, ihm meine Städte, Befestigungen und sonstiges übergeben werde, wann immer ...<«

»Schweigt!« schrie er entsetzt.

>»Gegeben zu Plessis-Bellière am 20. September 1649.<«

Frohlockend sah sie ihn erblassen.

»Kleine Törin«, sagte er mit verächtlichem Achselzucken, »was grabt Ihr diese alten Geschichten aus? Was vergangen ist, ist vergangen. Selbst der König würde sich weigern, ihnen Glauben zu schenken.«

»Der König hat noch nie solche Beweisstücke in Händen gehabt. Er hat nie erfahren, wie weit die Verräterei der Großen gehen kann.«

Sie hielt inne, um die Kalesche Madame d’Alençons zu grüßen, dann fuhr sie in überaus sanftem Tone fort:

»Es sind noch keine fünf Jahre vergangen, Philippe, seitdem Monsieur Fouquet verurteilt wurde .«

»Und? Worauf wollt Ihr hinaus?«

»Darauf, daß dem König auf lange Zeit hinaus alle die verhaßt sein werden, die mit Monsieur Fouquet in Verbindung standen.«

»Er wird sie nicht sehen. Diese Dokumente sind vernichtet worden.«

»Nicht alle.«

Der junge Mann rückte ihr auf der gepolsterten Bank näher. Sie hatte sich eine solche Geste erträumt, aber dies war ja wohl kaum der Augenblick für einen Liebeskuß. Er griff nach ihrem Handgelenk und preßte es in seiner schmalen Hand. Angélique biß sich vor Schmerz in die Lippen, aber das Gefühl der Freude war mächtiger. Tausendmal lieber sah sie ihn so, gewalttätig und roh, als geistesabwesend, ausweichend, unangreifbar in seiner verachtungsvollen Zurückhaltung.

Unter der dünnen Schminkeschicht, die er aufzulegen pflegte, war das Gesicht des Marquis du Plessis aschfahl.

»Das Kästchen mit dem Gift ...?« flüsterte er. »Ihr also habt es beseitigt!«

»Gewiß.«

»Dirne! Verdammte kleine Dirne! Ich bin immer überzeugt gewesen, daß Ihr etwas wißt. Mein Vater wollte es nicht glauben. Das Verschwinden jenes Kästchens hat ihn bis an sein Lebensende gequält. Und Ihr wart es! Habt Ihr es noch?«

»Ich habe es noch.«

Mit zusammengebissenen Zähnen begann er zu fluchen, und Angélique bereitete der Rosenkranz von Verwünschungen, der da zwischen diesen schönen, frischen Lippen hervorquoll, inniges Vergnügen.

»Laßt mich los«, sagte sie. »Ihr tut mir weh.«

In seinen Augen blitzte es sekundenlang, bevor er sich langsam zurückzog. Die junge Frau erfaßte den Sinn.

»Ja, Ihr möchtet mir gern noch mehr weh tun. Mir weh tun, bis ich auf immer schweige. Aber Ihr würdet dadurch nichts gewinnen, Philippe. Am Tage meines Todes wird man dem König mein Testament übergeben, der darin die notwendigen Aufklärungen finden wird, samt einem Hinweis, wo jene Dokumente versteckt liegen.«

Mit gespielter Behutsamkeit löste sie die goldene Kette von ihrem Handgelenk, deren Glieder Philippes Finger in ihr Fleisch eingepreßt hatten.

»Ihr seid ein Rohling, Philippe«, sagte sie obenhin.

Dann gab sie sich, als schaue sie durchs Fenster. Sie war jetzt ganz ruhig.

Die Sonne näherte sich dem Horizont. Noch war es hell, aber bald würde die Nacht hereinbrechen. Angélique spürte die durchdringende Feuchtigkeit unter dem Dach der Bäume und fröstelte. Ihr Blick kehrte zu Philippe zurück. Weiß und regungslos wie eine Statue saß er da, aber sie bemerkte, daß sein blonder Schnurrbart feucht von Schweiß war.

»Ich habe den Fürsten gern, und mein Vater war ein rechtschaffener Edelmann«, sagte er, in seinen banalen Ton zurückfallend. »Ich meine, man kann ihnen das nicht antun. Wieviel Geld wollt Ihr für diese Dokumente? Ich werde mir welches leihen, wenn es nötig ist.«

»Ich will kein Geld.«

»Was wollt Ihr dann?«

»Ich habe es Euch vorhin gesagt, Philippe. Daß Ihr mich heiratet.«

»Niemals!«

Philippes Weigerung traf sie härter als seine Flüche. War sie ihm denn so zuwider? Immerhin hatten zwischen ihnen andere als nur rein gesellschaftliche Beziehungen bestanden. Hatte er nicht auf ungewöhnliche Weise Umgang mit ihr gesucht? Sogar Ninon hatte eine Bemerkung in diesem Sinne gemacht.

Sie schwiegen eine Weile. Erst als die Kutsche vor der Toreinfahrt des Hôtel d’Aumont hielt, wurde Angélique sich bewußt, daß man nach Paris zurückgekehrt war. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden, und sie sah Philippes Gesicht nicht mehr. Es war besser so.

Sie brachte de Mut auf, in bissigem Ton zu fragen:

»Nun, Marquis, wie weit seid Ihr in Euren Überlegungen gediehen?«

Er rührte sich nicht und schien aus einem üblen Traum zu erwachen.

»Gut, Madame, ich werde Euch heiraten! Seid so gütig, Euch morgen abend in meinem Palais in der Rue Saint-Antoine einzufinden. Ihr werdet dort mit meinem Verwalter die Vertragsbedingungen besprechen.«

Angélique reichte ihm nicht die Hand. Sie wußte, daß er sie verweigern würde.

Sie verschmähte die Mahlzeit, die der Diener ihr servieren wollte, und ging entgegen ihrer Gewohnheit nicht zu den Kindern hinauf, sondern zog sich sogleich in ihr Zimmer zurück.

»Laß mich allein«, sagte sie zu Javotte, die hereinkam, um sie zu entkleiden.

Sie löschte die Kerzen, denn sie hatte Angst, in einem der Spiegel ihr Bild zu erblicken. Lange Zeit lehnte sie regungslos in der Nische des Fensters. Aus dem schönen Garten drangen durch das Dunkel die Düfte fremdländischer Blüten zu ihr herein.

Belauerte sie das schwarze Gespenst des Großen Hinkenden mit der eisernen Maske?

Aber sie versagte es sich, sich umzuwenden, in ihr Inneres zu blicken. »Du hast mich allein gelassen! Was konnte ich da tun?« schrie sie dem Gespenst ihrer Liebe zu. Sie sagte sich, daß sie bald die Marquise du Plessis-Bellière sein würde, aber es lag keine Freude in diesem Triumph. Sie spürte nur, daß es wie ein Riß durch ihr ganzes Sein ging, daß ihr etwas Unwiederbringliches verlorengegangen war.