»Was du da getan hast, ist unwürdig, ist grauenhaft ...!«
Tränen rannen über ihre Wangen, und während sie die Stirn an die Scheiben lehnte, auf denen eine frev-lerische Hand das Wappen des Grafen Peyrac gelöscht hatte, schwor sie sich, daß dies die letzten Tränen der Schwäche sein sollten, die sie jemals vergießen würde.
Als Madame Morens sich am folgenden Abend im Palais der Rue Saint-Antoine einfand, hatte sie einiges von ihrem Stolz zurückgewonnen. Sie war entschlossen, nicht durch nachträgliche Skrupel die Folgen einer Handlung aufs Spiel zu setzen, die zu vollbringen sie soviel Überwindung gekostet hatte.
»Wer A sagt, muß auch B sagen«, hätte Meister Bourgeaud sicherlich festgestellt.
Erhobenen Hauptes betrat sie einen großen Salon, der nur vom Kaminfeuer erleuchtet wurde. Es war niemand im Raum. Sie konnte in Ruhe ihren Mantel ablegen, sich demaskieren und ihre Hände über das Feuer halten. Obwohl sie sich jeglicher Beklemmung erwehrte, spürte sie, daß ihre Hände kalt waren und daß ihr Herz klopfte.
Nach einer Weile hob sich eine Portiere, und ein alter, schlicht in Schwarz gekleideter Mann näherte sich ihr und begrüßte sie ehrerbietig. Angélique hatte keinen Augenblick daran gedacht, daß der Verwalter der du Plessis-Bellière der Sieur Molines sein könne. Als sie ihn erkannte, stieß sie einen Ausruf der Überraschung aus und ergriff spontan seine beiden Hände.
»Oh, Monsieur Molines! Ist das denn möglich: Wie bin ich glücklich, Euch wiederzusehen!«
»Ihr ehrt mich sehr, Madame«, erwiderte er, indem er sich abermals verbeugte. »Wollt gefälligst auf diesem Sessel Platz nehmen.«
Er selbst setzte sich an ein vor den Kamin gerücktes Tischchen, auf dem Schreibtafeln, ein Tintenzeug und ein Sandbecher verteilt waren.
Während er eine Feder zuschnitt, betrachtete ihn Angélique, noch immer verblüfft über diese Erscheinung. Er hatte sich nicht sehr verändert. Seine Züge waren fest geblieben, sein Blick war noch immer lebhaft und prüfend. Nur sein Haar, auf dem ein Käppchen aus schwarzem Tuch saß, war vollkommen weiß geworden. Unwillkürlich stellte sich Angélique neben ihm die robuste Gestalt ihres Vaters vor, der so oft in das Heim des hugenottischen Verwalters gekommen war, um mit ihm über die Zukunft seiner Kinderschar zu beratschlagen.
»Könnt Ihr mir etwas über meinen Vater berichten, Monsieur Molines?«
Er blies die kleinen Hornsplitter vom Tisch, die er abgeraspelt hatte.
»Dem Herrn Baron geht es ausgezeichnet, Madame.«
»Und die Maulesel?«
»Die vom letzten Jahr machen sich sehr gut. Ich glaube, daß der Herr Baron mit diesem kleinen Geschäft recht zufrieden ist.«
Angélique sah sich wieder als unberührtes, ein wenig starrsinniges, aber lauteres junges Mädchen neben Molines sitzen. Er war es gewesen, der ihre Heirat mit dem Grafen Peyrac ausgehandelt hatte. Heute trat er ihr als Philippes Sachwalter gegenüber. Wie eine Spinne, die geduldig Fäden webt, war Molines stets mit ihrem Lebensfaden verknüpft gewesen. Es war beruhigend, ihm hier wieder zu begegnen; es war das Zeichen, daß ihr Leben wieder seine ursprüngliche Richtung einschlug.
»Erinnert Ihr Euch«, sagte sie versonnen, »Ihr wart am Abend meiner Hochzeit in Monteloup bei uns. Ich war schrecklich böse auf Euch. Und dennoch habe ich es Euch zu verdanken, daß ich eine Zeitlang sehr glücklich gewesen bin.«
Der Greis warf ihr einen Blick über seinen dicken Schildpattkneifer zu. »Sind wir hier, um uns in rührselige Betrachtungen über Eure erste Ehe zu verlieren oder um den Vertrag für die zweite auszuhandeln?«
Die junge Frau errötete.
»Ihr seid hart, Molines.«
»Auch Euch muß ich hart nennen, Madame, wenn ich an die Mittel denke, mit denen Ihr meinen jungen Herrn dahin gebracht habt, Euch zu heiraten.«
Angélique holte tief Atem, aber ihr Blick wandte sich nicht ab. Sie fühlte, daß die Zeit vorüber war, da sie noch als schüchternes Kind, als armes junges Mädchen zu dem allmächtigen Molines aufgeschaut hatte, der das Schicksal ihrer Familie in seinen Händen hielt.
Sie war eine Geschäftsfrau, mit der sich zu unterhalten Monsieur Colbert nicht für unter seiner Würde hielt und deren klare Vernunftschlüsse den Bankier Pennautier entwaffnet hatten.
»Molines, Ihr habt mir einmal gesagt: >Wenn man ein Ziel erreichen will, muß man bereit sein, etwas von seiner eigenen Person zu opfern.< So glaube ich, daß ich bei dieser Angelegenheit etwas sehr Kostbares verlieren werde: meine Selbstachtung ... Aber was hilft’s! Ich habe ein Ziel vor mir.«
Der Greis verzog seine strengen Lippen zu einem feinen Lächeln.
»Wenn meine bescheidene Billigung Euch ein wenig zu trösten vermag, Madame, so gewähre ich sie Euch.«
Nun lächelte auch Angélique. Sie würde sich immer mit Molines verstehen. Diese Gewißheit gab ihr Mut für die Verhandlungen über den Kontrakt.
»Madame, in dieser Angelegenheit müssen wir uns um größtmögliche Klarheit bemühen. Der Herr Marquis hat mir zu verstehen gegeben, daß dabei sehr viel auf dem Spiele steht. Deshalb werde ich Euch zunächst die verschiedenen Bedingungen darlegen, zu denen Ihr Eure Zustimmung geben sollt. Dann werdet Ihr mir die Eurigen nennen. Alsdann setze ich den Kontrakt auf und verlese ihn vor den beiden Parteien. Zuvor, Madame, werdet Ihr noch einen feierlichen Eid ablegen, daß Ihr das Versteck eines gewissen Kästchens kennt, in dessen Besitz der Herr Marquis zu gelangen wünscht. Erst nach dieser eidlichen Versicherung erlangt das Schriftstück Gültigkeit ...«
»Ich bin bereit, es zu tun«, versicherte Angélique.
»In wenigen Augenblicken wird Monsieur du Plessis mit seinem Hausgeistlichen erscheinen. Inzwischen wollen wir die Situation klären. Im guten Glauben also, daß Madame Morens ein Geheimnis bewahrt, an dem er höchlichst interessiert ist, erklärt sich der Marquis du Plessis-Bellière bereit, Madame Morens, geborene Angélique de Sancé de Monteloup, zu ehelichen, und zwar unter den folgenden Bedingungen: Nach vollzogener Eheschließung, das heißt sofort nach der kirchlichen Trauung, werdet Ihr das besagte Kästchen in Gegenwart zweier Zeugen übergeben, die vermutlich der Priester, der die Trauung vornimmt, und ich selbst, Euer ergebener Diener, sein werden. Alsdann wünscht der Herr Marquis, frei über Euer Vermögen verfügen zu können.«
»Oh, Verzeihung!« sagte Angélique scharf. »Der Herr Marquis wird über soviel Geld verfügen, wie er mag, und ich bin bereit, die Summe der Rente festzulegen, die ich ihm jährlich zukommen lasse. Aber ich bleibe alleinige Besitzerin und Verwalterin meiner Habe. Ich lehne es ab, ihn auf irgendeine Weise daran teilnehmen zu lassen, denn ich möchte nicht so hart gearbeitet haben, um plötzlich, wenn auch mit einem großen Namen, wieder völlig verarmt dazustehen. Ich weiß zu gut, wie groß diese hochmögenden Herrn im Verschwenden sind!«
Ohne eine Miene zu verziehen, änderte Molines den Wortlaut einiger Zeilen. Darauf bat er Angélique, ihm einen möglichst detaillierten Bericht über die verschiedenen Geschäfte zu geben, die sie betreibe, und ihm einige bedeutende Persönlichkeiten zu nennen, von denen er sich die Richtigkeit ihrer Aussagen bestätigen lassen könne. Diese Vorsichtsmaßregel empfand Angélique nicht als kränkend, denn seitdem sie sich mit den Gebräuchen des Finanz- und Handelswesens vertraut gemacht hatte, wußte sie nur zu gut, daß jedes Wort nur in dem Maße Gültigkeit besaß, in dem kontrollierbare Fakten es stützten. Einigermaßen stolz berichtete sie dem Verwalter von ihren Unternehmungen und genoß es, daß sie sich bei dieser Unterhaltung dem schlauen alten Fuchs gewachsen fand. Sie sah, daß seine Augen bewundernd aufleuchteten, nachdem sie ihm ihre gegenwärtigen Beziehungen zur Ostindischen Gesellschaft geschildert hatte, und wie sie dazu gekommen war.