»Gebt zu, daß ich meine Sache nicht schlecht gemacht habe, Monsieur Molines.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das habt Ihr nicht. Ich muß anerkennen, daß Eure Berechnungen nicht ungeschickt sind. Natürlich hängt alles davon ab, was Ihr zu Anfang hineingesteckt habt.«
»Hineingesteckt? Ich hatte nichts, Molines, weniger als nichts. Die Armut, in der wir auf Monteloup lebten, war nichts im Vergleich zu dem Elend, das ich nach dem Tode Monsieur de Peyracs erfuhr.«
Das Nennen dieses Namens bewirkte ein Schweigen, das lange anhielt. Da das Feuer nachließ, nahm Angélique ein Holzscheit aus dem neben dem Kamin stehenden Kasten und legte es auf die Glut.
»Ich muß Euch noch von Eurer Silbermine berichten«, sagte Molines schließlich im gleichen ruhigen Ton. »Sie hat in diesen letzten Jahren viel zum Unterhalt Eurer Familie beigetragen, aber es ist nur billig, daß nun, nachdem Ihr wieder aufgetaucht seid, Euch und Euren Kindern deren Erträgnisse zufließen.«
»Ist denn die Mine nicht enteignet und andern zugeteilt worden wie alle Güter des Grafen Peyrac?«
»Sie ist der Raffgier der königlichen Kontrolleure entgangen. Diese Mine stellte damals Eure Mitgift dar. Die Eigentumsverhältnisse sind einigermaßen unklar geblieben .«
»Wie alle Dinge, mit denen Ihr Euch befaßt, Meister Molines«, sagte Angélique lachend. »Ihr habt ein beachtliches Geschick, gleichzeitig mehreren Herren zu dienen.«
»Durchaus nicht«, protestierte der Verwalter mit leicht gekränkter Miene, »ich habe nicht mehrere Herren, sondern mehrere Geschäfte.«
»Ich erfasse und würdige die Nuance, Meister Molines. Reden wir von dem Geschäft du Plessis-Bellière Sohn. Ich erkläre mich mit der mir auferlegten Verpflichtung bezüglich des Kästchens einverstanden. Ich bin bereit, mir die Summe der dem Herrn Marquis auszusetzenden Rente zu überlegen. Als Gegenleistung fordere ich die Ehe und die Anerkennung als Marquise und Mitbesitzerin der meinem Gatten gehörigen Ländereien und Titel. Ebenso verlange ich, seiner Verwandt- und Bekanntschaft als seine legitime Frau vorgestellt zu werden. Ich verlange auch, daß meine beiden Söhne im Hause ihres Stiefvaters Aufnahme und Schutz finden. Schließlich möchte ich über das Vermögen und die Sachwerte aufgeklärt werden, über die er verfügt.«
»Hm . da werdet Ihr freilich nur sehr geringe Vorteile entdecken, Madame. Ich will Euch nicht verhehlen, daß mein junger Herr sehr verschuldet ist. Er besitzt außer diesem Palais zwei Schlösser, das eine in der Touraine, das er von seiner Mutter geerbt hat, das andere im Poitou, aber die Ländereien beider Schlösser sind verpfändet.«
»Solltet Ihr etwa die Geschäfte Eures Herrn schlecht geführt haben, Monsieur Molines?«
»Ach, Madame! Selbst Monsieur Colbert, der täglich fünfzehn Stunden arbeitet, um die Finanzen des Königreichs wieder in Ordnung zu bringen, vermag nichts gegen die Verschwendungssucht des Königs, die alle seine Berechnungen über den Haufen wirft. Ebenso verpraßt der Herr Marquis die durch den Aufwand seines Herrn Vaters ohnehin schon zusammengeschmolzenen Einkünfte mit kriegerischen Unternehmungen oder höfischen Vergnügungen. Der König hat ihm zu wiederholten Malen einträgliche Ämter zukommen lassen. Aber er hat sie alsbald wieder verkauft, um eine Spielschuld zu bezahlen oder eine Equipage zu kaufen. Nein, Madame, das Geschäft du Plessis-Bellière ist für mich kein interessantes Geschäft. Ich widme mich ihm aus ... sagen wir, sentimentaler Gewohnheit. Erlaubt mir, Eure Bedingungen niederzuschreiben, Madame.«
Eine Zeitlang hörte man im Raum nur das Kratzen der Feder, das das Echo zum Knistern des Feuers bildete.
»Wenn ich heirate«, dachte Angélique, »wird Molines mein Verwalter. Wie seltsam! Das hätte ich nie gedacht. Er wird bestimmt versuchen, seine langen Finger in meine Geschäfte zu stecken. Ich werde auf der Hut sein müssen. Aber im Grunde ist es sehr gut so. Ich werde in ihm einen glänzenden Berater haben.«
»Darf ich mir erlauben, Euch eine zusätzliche Klausel vorzuschlagen?« fragte Molines, indem er den Kopf hob.
»Zu meinen oder zu seinen Gunsten?«
»Zu Euren Gunsten.«
»Ich dachte, Ihr vertretet die Interessen Monsieur du Plessis’?«
Der Greis lächelte, ohne zu antworten, und nahm seinen Kneifer ab. Dann lehnte er sich in seinen Sessel zurück, richtete den gleichen lebhaften und durchdringenden Blick auf Angélique wie zehn Jahre zuvor und sagte:
»Ich halte es für eine sehr gute Sache, daß Ihr meinen Herrn heiratet. Ich glaubte nicht, Euch jemals wieder zu begegnen. Doch Ihr seid da, jeder Wahrscheinlichkeit zum Trotz, und Monsieur du Plessis sieht sich gezwungen, Euch zu heiraten. Ihr werdet mir zubilligen, Madame, daß ich nichts mit den Umständen zu schaffen habe, die Euch zu diesem Entschluß führten. Aber es geht jetzt darum, daß diese Verbindung ein Erfolg wird: in seinem Interesse, im Eurigen und, meiner Treu, im meinigen, denn das Glück des Herrn ist zugleich das des Dieners.«
»Ich bin ganz Eurer Ansicht, Molines. Worin besteht also diese Klausel?«
»Daß Ihr die Vollziehung der Ehe fordert .«
»Die Vollziehung der Ehe?« wiederholte Angélique und riß die Augen auf wie ein eben aus der Klosterschule entlassener Zögling.
»Mein Gott, Madame ... ich nehme doch an, Ihr versteht, was ich meine?«
»Ja ... freilich ... ich verstehe«, stammelte Angélique, »aber Ihr habt mich überrascht. Es ist doch selbstverständlich, daß Monsieur du Plessis, wenn er mich heiratet .«
»Es ist absolut nicht selbstverständlich, Madame. Wenn Monsieur du Plessis Euch heiratet, geht er keine Neigungsehe, sondern vielmehr eine Zwangsehe ein. Wird es Euch sehr verwundern, wenn ich Euch anvertraue, daß die Gefühle, die Ihr in Monsieur du Plessis weckt, von Liebe weit entfernt sind, daß sie eher an Unwillen, ja geradezu an Wut grenzen?«
»Ich kann es mir denken«, murmelte Angélique mit einem gespielt gleichgültigen Achselzucken. Aber zugleich fühlte sie sich peinlich berührt bei dem Gedanken an Schmähungen, mit denen Philippe sie bedacht haben mußte, als er seinem Verwalter anvertraut hatte, in welcher Falle er gefangen saß.
In heftigem Ton rief sie aus:
»Nun und? Was macht es mir schon aus, daß er mich nicht liebt! Alles, was ich von ihm will, ist sein Name, sind seine Titel. Das übrige kümmert mich nicht. Soll er mich verschmähen und mit der Stallmagd schlafen, wenn es ihm Vergnügen macht. Ich jedenfalls werde ihm nicht nachlaufen!«
»Das wäre falsch, Madame. Ich glaube, Ihr kennt diesen Edelmann schlecht, den Ihr zu heiraten gedenkt. Im Augenblick ist Eure Position sehr stark, deshalb haltet Ihr ihn für schwach. Aber später müßt Ihr ihn auf irgendeine Weise beherrschen, andernfalls ...«
»Andernfalls ...?«
». werdet Ihr unsagbar unglücklich sein.«
Ein harter Ausdruck trat in das Gesicht der jungen Frau. Sie sagte kalt:
»Ich bin bereits unsagbar unglücklich gewesen, Molines. Ich habe nicht die Absicht, es von neuem zu werden.«
»EbendeshalbbieteichEucheinVerteidigungsmittel. Hört mich an, Angélique. Ich bin alt genug, um schonungslos mit Euch zu reden. Nach Eurer Vermählung werdet Ihr über Philippe du Plessis keine Macht mehr haben. Dann wird er im Besitz des Geldes und des Kästchens sein. Das Argument des Herzens hat für ihn keinerlei Bedeutung. Deshalb müßt Ihr es erreichen, ihn durch die Sinne zu beherrschen.«
»Das ist eine gefährliche Macht, Meister Molines, und eine sehr verwundbare.«
»Es ist eine Macht. An Euch liegt es, sie unverwundbar zu machen.«
Angélique fühlte sich aufgewühlt. Es fiel ihr nicht ein, sich über derartige Ratschläge aus dem Munde eines strengen Hugenotten zu ärgern. Molines’ ganzes Wesen war von einer listigen Weisheit geprägt, die sich nie von Prinzipien hatte leiten lassen, sondern einzig von den Schwankungen der den materiellen Interessen verhafteten menschlichen Natur. Auch diesmal hatte er sicherlich recht. Angélique erinnerte sich plötzlich der Anwandlungen von Angst, die Philippe in ihr ausgelöst hatte, und auch des Gefühls der Hilflosigkeit, das sie angesichts seiner Gleichgültigkeit, seiner eisigen Ruhe empfand. Sie wurde sich bewußt, daß sie insgeheim die Absicht hatte, ihn schon in der Hochzeitsnacht zu unterwerfen. Wenn eine Frau einen Mann in ihren Armen hält, ist sie sehr mächtig. Immer kommt einmal der Augenblick, da die Abwehr des Mannes angesichts des Abgrunds der Lust erlahmt. Er wird schwach und blind. Eine Frau muß diesen Augenblick zu nutzen wissen. Später wird selbst der härteste Mann wider seinen Willen immer zur Quelle seiner Wollust zurückkehren wollen. Angélique wußte es: Wenn sich Philippes wundervoller Körper mit dem ihren vereinigte, wenn dieser gleich einer Frucht nachgiebige und frische Mund mit dem ihren verschmolz, würde sie die feurigste und wissendste aller Geliebten werden. Gemeinsam würden sie in der Anonymität des Liebeskampfes Wonnen genießen, die Philippe am nächsten Tag vielleicht abstreiten würde, die sie aber sicherer miteinander verbinden mußten als irgendeine leidenschaftliche Erklärung.