Im Gesicht des Haushofmeisters zuckte es. Er war feuerrot geworden.
»Er sollte sich schröpfen lassen«, dachte Angélique.
»Ich habe es tatsächlich erfahren, und es hat mir Euer geringschätziges Verhalten verständlich gemacht. Deshalb also habt Ihr Euch geweigert, meine Frau zu werden? Ihr habt Euch meiner geschämt.«
Er löste seinen Kragen, der ihn in seinem Zorn zu ersticken drohte. Nachdem er tief Atem geschöpft hatte, fuhr er fort:
»Ich weiß nicht, aus welchen Gründen Ihr, die Ihr von so hoher Abkunft seid, einen so tiefen Fall getan habt, daß ich Euch als arme Magd kennenlernte, die sich sogar vor ihrer eigenen Familie versteckte. Aber ich kenne die Welt gut genug, um zu ahnen, daß Ihr das Opfer schmutziger und verbrecherischer Intrigen gewesen seid, wie sie in Adelskreisen gang und gäbe sind. Und nun wollt Ihr in diese Welt zurückkehren .? Nein, ich kann mich noch nicht damit abfinden. Deshalb spreche ich weiterhin in einem vertraulichen Ton mit Euch, der Euch vielleicht schon zuwider ist ... Nein, Ihr werdet nicht verschwinden, grausamer noch, als wenn Ihr gestorben wärt. Wie könnt Ihr, deren Scharfsinn und gesunden Menschenverstand ich bewundert habe, für die Schwächen dieser Welt, auf die Ihr Euch beruft, so blind sein? Die gesunde Atmosphäre, deren Ihr bedürft, um Euch zu entfalten, das brüderliche, herzliche Wohlwollen, dem Ihr bei uns begegnet seid - seht, ich stehe nicht an, mich mit einem Meister Bourgeaud auf die gleiche Stufe zu stellen -, wie könnt Ihr das so leichten Herzens von Euch weisen? Ihr werdet vereinsamen zwischen diesen Intriganten, deren Seichtheit und Gemeinheit Euren Wirklichkeitssinn, Eure Freimütigkeit verkümmern lassen werden, oder Ihr verkommt gleich ihnen .«
Angélique legte ihre silberne Bürste gelassen auf den Frisiertisch. Sie hatte Audigers Eheszenen satt. Wie lange würde sie sich wohl noch die Sermone des Haushofmeisters anhören müssen? Sie warf einen Blick auf dessen volles, glattes Gesicht mit den ehrlichen Augen, den schönen Lippen, und fand, es sei schade um einen Mann, der zugleich so sympathisch und so engherzig sei. Mit einem entschlossenen Seufzer stand sie auf.
»Mein lieber Freund .«
Er erfaßte die Bedeutung ihrer Geste und erhob sich gleichfalls.
»Die Frau Marquise bedeutet dem Haushofmeister, daß er verabschiedet ist .?«
Er wurde bleich. Sein Gesicht verhärtete sich, seine Stimme bebte.
»Illusionen!« sagte er grollend. »Ich habe mir immer nur Illusionen über Euch gemacht. Wie konnte ich nur daran denken ... Ihr, meine Frau! Armer Tor, der ich war! Es ist schon so ... Ihr paßt in Eure Welt. Eine Dirne, die sich herumzerren läßt.«
Mit zwei Schritten war er bei ihr, faßte sie um die Taille und stieß sie auf den Diwan. Keuchend, in rasendem Zorn, packte er mit der einen Hand ihre Handgelenke und preßte sie gegen die Brust der jungen Frau, während er mit der andern den Morgenrock, das feine Hemd aufriß, um sie zu entblößen.
Im ersten Augenblick hatte Angélique sich aufgebäumt, aber alsbald erstarrte sie und blieb regungslos liegen. Der Mann, der mit einem Kampf gerechnet hatte, wurde sich allmählich bewußt, wie sinnlos und lächerlich seine Heftigkeit war, und lockerte verstört die Umklammerung. Seine scheuen Augen suchten Angéliques Gesicht, das aber gleich dem einer Toten still und starr blieb.
»Warum wehrt Ihr Euch nicht?« stammelte er.
Sie starrte ihn aus ihren grünen Augen an. Nie war Audigers Gesicht dem ihren so nah gewesen. Ernst tauchte sie in diesen bronzefarbenen Blick, in dem nacheinander Verwegenheit, Verzweiflung, Leidenschaft aufglühten und erloschen.
»Ihr seid ein sehr nützlicher Gehilfe gewesen, Audiger«, murmelte sie, »das muß ich anerkennen. Wenn es das ist, was Ihr wollt, so nehmt mich. Ich werde mich nicht verweigern. Ihr wißt ja, ich zögere nie, wenn die Stunde gekommen ist, meine Schulden zu begleichen.«
Er betrachtete sie stumm. Nur langsam drang der Sinn ihrer Worte in sein Bewußtsein. Unter sich spürte er diesen geschmeidigen, festen Körper, dessen zugleich fremder und vertrauter Duft ihm die Besinnung raubte. Sie war vollkommen ruhig. Aber selbst diese Hingabe hatte etwas Kränkendes. Es war eine seelenlose Hülle, die sie ihm darbot.
Er erfaßte es. Mit einem erstickten Schluchzer richtete er sich auf und wich taumelnd ein paar Schritte zurück. Er ließ sie nicht aus den Augen.
Sie hatte sich nicht gerührt und lag halb auf dem Diwan ausgestreckt, ohne auch nur den Versuch zu machen, mit der zerrissenen Spitze ihres Morgenrocks die Brust zu bedecken oder das Hemd herunterzuziehen, das er ungestüm bis zu den schönen, perlmutterglänzenden Schenkeln hochgezogen hatte. Er konnte die Beine sehen, die genauso vollkommen waren, wie er sie sich vorgestellt hatte, lang, wohlgeformt, mit sehr kleinen Füßen, die sich vom Samt der Kissen wie köstliches Schnitzwerk aus rosigem Elfenbein abhoben. Audiger atmete tief.
»Gewiß werde ich es mein ganzes Leben lang bedauern«, sagte er mit erstickter Stimme, »aber ich werde mich wenigstens nicht verachten müssen. Adieu, Madame! Ich will kein Almosen von Euch.«
Und er ging hinaus.
Angélique blieb noch eine Weile liegen, tief in Nachdenken versunken. Dann richtete sie sich langsam auf und musterte ihre mitgenommene Kleidung. Ihr Spitzenkragen war verdorben.
»Der Teufel hole die Männer!« murmelte sie verärgert.
Sie erinnerte sich, wie sehr sie auf dem Ausflug nach der Javel-Mühle gewünscht hatte, Audiger möge ihr Liebhaber werden. Aber damals hatten die Dinge anders gelegen. Zu jener Zeit war Audiger reicher als sie gewesen, und der Kragen, den sie an jenem Tag trug, hatte sie nicht drei Livres gekostet .
Mit einem kleinen Seufzer setzte sie sich wieder vor ihren Frisiertisch.
»Ninonde Lenclos hat recht«, dachte sie bei sich. »Was in der Liebe die meisten Mißverständnisse verursacht, ist die Tatsache, daß die Uhren der Begierde nicht immer im gleichen Augenblick schlagen.«
Am nächsten Morgen überbrachte ihr eine Bedienerin der Schokoladenstube zur »Spanischen Zwergin« eine kurze Botschaft Audigers, der sie bat, abends in das Lokal zu kommen, um mit ihm die Bücher zu prüfen. Der Vorwand kam ihr recht fadenscheinig vor. Der arme Junge hatte offenbar nach einer schlaflosen Nacht seine Würde und Seelengröße zum Teufel gejagt und versuchte nun, doch noch in den Genuß des Almosens zu kommen, das sie ihm angeboten hatte. Angélique wich nicht aus. Entschlossen, ihm durch diese erste und letzte Willfährigkeit ihre Dankbarkeit zu bezeigen, begab sie sich zu der Verabredung.
Sie traf den Haushofmeister in dem kleinen, neben der Gaststube liegenden Büro an. Er war in Reithosen und Jagdstiefeln und wirkte sehr ruhig, ja geradezu munter. Er vermied jede Anspielung auf das Scharmützel vom Abend zuvor und begann völlig ungezwungen zu reden.
»Vergebt mir, Madame, daß ich Euch bemüht habe, aber es schien mir angebracht, vor meiner Abreise alle Fragen unserer Schokoladefabrikation durchzusprechen, wenn wir auch unserem Geschäftsführer Marchandeau volles Vertrauen schenken können.«
»Ihr wollt verreisen?«
»Ja. Ich habe soeben eine Verpflichtung für die Franche-Comté unterzeichnet, wo Seine Majestät in diesem Frühjahr, wie es heißt, irgendeine Stadt erobern will. Ich breche erst in acht Tagen auf, aber inzwischen soll ich mich um die Verproviantierung des Regiments von Monsieur du Bellay kümmern. So werde ich in dieser letzten Woche wohl keine Zeit für eine Zusammenkunft mit Euch finden, und deshalb wollte ich den letzten freien Abend dazu benützen, gemeinsam mit Euch festzustellen, wie unsere Geschäfte stehen.«
Über eine Stunde lang gingen sie zusammen mit Marchandeau die Kontobücher durch, worauf sie sich in den Fabrikationsraum begaben, um die Maschinen zu prüfen, und in die Vorratskammern, um die Reserven an Kakao, Zucker und Gewürzen zu kontrollieren. In einem passenden Augenblick stand Audiger auf und ging hinaus, als müsse er einen andern Faszikel mit Rechnungen holen. Doch wenige Augenblicke darauf hörte Angélique den Trab eines sich entfernenden Pferdes, und sie begriff, daß Audiger aufgebrochen war und daß sie ihn nie wiedersehen würde.