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»Im Gegenteil, Liebste. Eine große Dame darf sich nicht dadurch lächerlich machen, daß sie ihren Gatten liebt und ihm treu ist. Aber ich verstehe Euch schon. Wenn Ihr die Marquise du Plessis-Bellière seid, wird es Euch nicht eben gut anstehen, unter Euren Liebhabern einen Polizisten namens Desgray zu haben!«

»Oh, warum sucht Ihr nach Gründen?« protestierte Angélique.

Sie hätte gern gelacht, aber es gelang ihr nicht, ihrer Bewegung Herr zu werden. Und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie von neuem murmelte:

»Warum nach Gründen suchen? Wer vermag das Herz einer Frau und das Warum ihrer Leidenschaften zu ergründen?«

Er erkannte das Echo seiner eigenen rauhen, erschöpften Stimme von damals, als er im Gerichtssaal aufgestanden war, um den Grafen Peyrac zu verteidigen.

Stumm schloß er seine Arme um sie und drückte sie an sich.

»Ihr seid mein Freund, Desgray«, murmelte sie mit klagender Stimme. »Ich habe keinen besseren und werde nie einen besseren haben. Sagt mir, Ihr, der Ihr alles wißt, sagt mir, daß ich seiner nicht unwürdig geworden bin. Er war ein Mann, der sein Mißgeschick und die Armut in solchem Maße überwunden hatte, daß er die Geister der andern beherrschte, wie wenige Menschenwesen es vermögen ... Aber ich, was habe nicht auch ich alles überwunden? Ihr allein wißt, von wo ich zurückkehre, Desgray. Erinnert Euch und sagt mir: Bin ich jenes einzigartigen Willenphänomens unwürdig, das der Graf Peyrac war? Wird er nicht in der Kraft, die ich entwickelt habe, um seine Söhne dem Elend zu entreißen, die seine wiedererkennen, wenn er wiederkäme .?«

»Oh, zerbrecht Euch doch nicht den Kopf, meine Liebe!« sagte Desgray in seinem trägen Ton. »Wenn er wiederkäme . nun ja, wenn er wiederkäme, würde er, soweit ich diesen Mann kenne, Euch zunächst einmal eine hübsche Tracht Prügel verabfolgen. Alsdann würde er Euch in seine Arme nehmen und Euch so liebhaben, daß Ihr um Gnade winselt. Danach würdet Ihr beide Euch nach einem ruhigen Fleckchen Erde umsehen, um dort auf Eure goldene Hochzeit zu warten. Beruhigt Euch, mein Engel. Und geht Euren Weg weiter.«

»Ist es nicht wunderlich, Desgray, daß ich die Hoffnung nicht in mir ersticken kann, ihn eines Tages wiederzusehen? Es ist behauptet worden, daß ... nicht er es gewesen sei, den man auf der Place de Grève verbrannt habe.«

»Hört nicht auf Schwätzereien«, sagte er hart. »Man neigt immer dazu, ein außergewöhnliches Wesen mit einem Kranz von Legenden zu umgeben. Er ist tot, Angélique. Gebt Euch keinen törichten Hoffnungen mehr hin, das nutzt die Seele ab. Blickt nach vorn und heiratet Euren kleinen Marquis.«

Sie erwiderte nichts. Ihr Herz wurde von einem maßlosen, kindlichen Schmerz gepeinigt.

»Ich kann nicht mehr!« stöhnte sie. »Ich bin zu traurig. Umarmt mich, Desgray!«

»Oh, diese Frauen!« brummte er. »Sie erzählen einem von ihrer größten Liebe, von einem einzigartigen Wesen. Und im nächsten Augenblick bitten sie einen, sie zu umarmen. Was für eine Sippschaft!«

Ein wenig brutal streifte er die Ärmel ihres Mieders bis zu den Ellbogen hoch, und sie spürte, wie seine behaarten Hände unter ihre Achseln glitten, deren heimliche Wärme er zu genießen schien.

»Ihr seid verteufelt appetitanregend, das kann ich nicht leugnen, aber ich werde Euch nicht umarmen.«

»Weshalb?«

»Weil ich Besseres zu tun habe, als Euch zu lieben. Und wenn ich Euch einmal genommen habe, so nur, um Euch einen Dienst zu erweisen. Ihr hattet meinen Seelenfrieden einmal zuviel strapaziert.«

Langsam zog er seine Hände zurück, wobei er sich die Zeit nahm, unterwegs über ihre Brüste zu streichen.

»Grollt mir nicht, meine Schöne, und gedenkt meiner ... zuweilen. Ich werde es Euch danken. Viel Glück, Marquise der Engel!«

Schon zu Anfang hatte Philippe ihr gesagt, daß die Hochzeit auf Schloß Plessis stattfinden würde. Es lag ihm nichts daran, die Zeremonie sonderlich prunkvoll zu gestalten. Das paßte vortrefflich zu Angéliques Absichten, denn es gab ihr die Möglichkeit, das berüchtigte Kästchen unauffällig aus seinem Versteck zu holen. Manchmal brach ihr der kalte Schweiß aus, wenn sie sich fragte, ob es sich wohl noch am gleichen Platz befinde, im Ziertürmchen des Schlosses. Wenn jemand es nun entdeckt hatte? Aber das war wenig wahrscheinlich. Wer konnte schon auf den Gedanken gekommen sein, sich auf einer Dachrinne herumzutreiben, die kaum für ein Kind breit genug war, und in das Innere eines Türmchens von so harmlosem Aussehen zu spähen? Und sie wußte, daß im Laufe der letzten Jahre am Schloß Plessis keinerlei bauliche Veränderungen vorgenommen worden waren. Es bestand also alle Aussicht, daß sie den Einsatz für ihren Triumph an seinem Platz vorfinden würde. Am Tage der Hochzeit würde sie ihn Philippe übergeben können. Die Vorbereitungen für die Abreise nach dem Poitou verursachten eine Folge unruhiger Tage. Man nahm Florimond und Cantor samt ihrem ganzen »Hofstaat« mit: Barbe, Javotte, Flipot, Leichtfuß, die Hunde, den Affen, die Papageien. Mit den Koffern und der Dienerschaft wurden eine Kutsche und zwei Wagen benötigt. Daran sollte sich Philippes Gefolge anschließen.

Er selbst tat, als habe er mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen, und besuchte weiterhin die Bälle und Empfänge des Hofs. Wenn man auf seine Heirat anspielte, runzelte er verwundert die Stirn, als müsse er sich erst besinnen, und rief dann in verächtlichem Ton: »Ach so, ja, richtig!«

Während dieser letzten Woche sah Angélique ihn kein einziges Mal. Durch kurze Briefchen, die Molines übermittelte, gab er ihr seine Anweisungen. Sie habe an dem und dem Datum aufzubrechen. Er werde sie an dem und dem Tage treffen. Er werde mit dem Abbé und Molines erscheinen. Die Trauung werde dann sofort stattfinden.

Angélique spielte zunächst die fügsame Gattin. Später, beschloß sie, würde man diesem Grünschnabel schon einen anderen Ton beibringen. Schließlich brachte sie ihm ein Vermögen zu, und durch die Trennung von der kleinen Lamoignon hatte sie ihm das Herz nicht gebrochen. Sie würde ihm zu verstehen geben, daß sie zwar ein wenig brutal habe vorgehen müssen, daß dies ihnen beiden aber von Nutzen sein werde und sein sauertöpfisches Gehaben deshalb lächerlich sei.

Erleichtert und zugleich enttäuscht, daß er nicht kam, bemühte sie sich, nicht allzuviel an ihn zu denken. Das »Problem Philippe« trübte ihre Freude, und wenn sie nachdachte, wurde sie sich bewußt, daß sie Angst hatte. Es war besser, nicht nachzudenken.

Die Wagen legten die Strecke nach Poitiers in weniger als drei Tagen zurück. Die Straßen waren vom Frühlingsregen aufgeweicht, aber es gab keine Zwischenfälle, abgesehen von einem Achsenbruch kurz vor der Ankunft in Poitiers. Vierundzwanzig Stunden blieben sie dort. Am Morgen des übernächsten Tages begann sich Angélique in der Gegend, durch die sie rollten, zurechtzufinden. Man kam ziemlich nahe an Monteloup vorbei, und sie mußte sich zurückhalten, um dort nicht schnell einen Besuch abzustatten, aber die Kinder waren müde und verschmutzt. Man hatte in der vergangenen Nacht in einer schlechten, von Flöhen und Ratten heimgesuchten Herberge geschlafen. Auf Plessis würde man den nötigen Komfort vorfinden.

Angélique legte den Arm um die Schultern ihrer kleinen Jungen und atmete beglückt die reine Luft der blühenden Fluren. Es kam ihr unbegreiflich vor, daß sie so viele Jahre in einer Stadt wie Paris hatte leben können. Sie stieß immer wieder Freudenlaute aus und nannte die Namen der Weiler, durch die sie fuhren und deren jeder ihr eine Episode aus ihrer Kindheit ins Gedächtnis rief.

In den letzten Tagen hatte Angélique ihren Söhnen ausführlich von Monteloup und den herrlichen Spielen erzählt, mit denen man sich dort vergnügen konnte. Florimond war fast davon überzeugt, daß man im alten Schloß ein kleines Mädchen namens Madelon und einen kleinen Jungen namens Gontran vorfinden würde.